"Fürchtet euch nicht”
Die Schweiz kennt jeder als ein Land, das für gewöhnlich auf dem internationalen Parkett nicht viel von sich reden macht, schon gar nicht negativ. Man hat vielleicht ein paar Ideen oder Ferienerinnerungen, wenn man an diese Nicht-EU-Insel denkt, aber das war’s für gewöhnlich auch schon. Seit ein paar Wochen hingegen ist die Schweiz nun in aller Munde - auch wenn ich meine, nicht aus rühmlichen Anlass.
Was ist passiert? Anfangs des Jahres 2006 gab es aus verschiedenen Kreisen Widerstand gegen Baugesuche für Minarette auf bestehenden muslimischen Gebetsräumlichkeiten in drei Schweizer Gemeinden und gegen den Plan für den Bau eines Islamischen Zentrums in Bern. Der Streit spitzte sich zu bis hin zur Lancierung einer Initiative mit dem Titel "Gegen den Bau von Minaretten”.
Am 1. Mai 2007 wurde die eidgenössische Volksinitiative offiziell gestartet. Lanciert wurde sie von Politikern zweier rechter Parteien und verschiedener Komitees. Im Juli 2008 reichten Vertreterinnen und Vertreter des InitiativKomitees weit über 100.000 gültige Unterschriften in Bern ein. Damit musste das Anliegen vor das Stimmvolk: Die Vorlage kam bekanntlich am 29. November 2009 zur Abstimmung und wurde von 57,5 % der Abstimmenden angenommen.
"Der Bau von Minaretten ist verboten” - um diesen kurzen knappen Satz, der neu nun in der Bundesverfassung stehen wird, brennt seitdem international eine heftige Kontroverse. Schon an dem Sonntagnachmittag waren weltweit die Nachrichtenkanäle von diesem Thema beherrscht.
Umfragen auf den Straßen europäischer Großstädte und durch Meinungsforschungsinstitute zeigen ständig neu, dass auch in manchem anderen Land eine Abstimmung ähnlich wie in der Schweiz ausgegangen wäre, gäbe es dort diese poltitischen Instrumente.
Das Kind im Brunnen
Besonders erschüttert die Schweiz nun, dass Vorhersagen der Meinungsforscher vor Monaten und bis kurz vor der Abtsimmung zunächst einmal ganz anders ausgesehen haben, und nun fragt man sich weit herum: Wie konnte das passieren - die Analysen kochen hoch.
Eines beherrscht dabei die Diskussion: der Begriff der Angst. Wenn sich mal in einem Gespräch jemand outet als einer, der der Initiative zugestimmt hat - und das geschieht meist nur sehr zaghaft -, hört man schnell von ganz merkwürdigen Ängsten, die bei genauem Anschauen seltenst einen vernünftigen Grund haben. Sie sind aber trotzdem da. Also muss die Politik nun dringendst mit ihnen rechnen.
Was macht aber diese Angst aus? Objektiv gesehen erkenne ich nichts am Islam hier in Europa, was mich ängstigen müsste. Und noch mehr: Die Botschaft der Engel an die Hirten in der Heiligen Nacht beginnt mit dem Zuruf "Fürchtet euch nicht” - Worte, die nicht nur den Hirten von damals gegolten haben. Was ist los? Ein Hinweis kann uns weiterführen, den Sie vielleicht kennen.
Am 2.12.09 schrieb Franz Josef Wagner, Chef-Kolumnist der Bild-Zeitung, folgende Zeilen:
"Liebe Minarette, ich fühle mich nicht von Euch bedroht. Bedroht fühle ich mich von unseren leeren, einsamen, christlichen Kirchen, von Klassenzimmern ohne Kreuze, Religionsunterricht als Hobby. Grotesk, dass das Bundesverfassungsgericht entscheiden musste, dass der Sonntag der ‘Arbeitsruhe und seelischer Erhebung’ gehört. Die Moscheen sind voll, unsere Kirchen sind leer. Unser Gott ist die Toleranz, die Diskussion, die Konferenz, die Konfliktforschung.
[...] Ich habe Angst, dass unsere Kirchen Ruinen werden, unsere Pfarrer arbeitslos und die Bibel bei Ebay verramscht wird. Ich habe keine Angst vor Minaretten, ich habe Angst, dass unser Gott in Deutschland ein Fremder wird."
Und Schweizer dürfen diese Sorge für ihr Land ruhig teilen.
Fade geworden?
Das Problem ist - auf den Punkt gebracht - nicht die Stärke des Islams in Europa, sondern eine vielerorts auszumachende Schwäche des Christentums. Es reicht nicht, das Christentum als Kulturträger anzuerkennen, unseren Lebensraum das "christliche Abendland" zu nennen oder christliche Parteien zu wählen. Das Christentum ist zu allererst eine Botschaft, die jede/n einzelne/n Getaufte/n dazu beruft, selbst "Salz der Erde", "Licht der Welt" zu sein. Das lässt sich nicht delegieren.
Wenn wir diese Verantwortung grundlegend und wirklich wahrnehmen, wenn wir bereit sind, Jesu Streben nach einem Reich der Gerechtigkeit und des Friedens mit Hirn und Herz zu erfassen, werden wir mit Hoffnung und Zuversicht, kurz: mit Selbstvertrauen beschenkt. Dann braucht niemand Angst zu haben. Und schon gar nicht vor einer Religion, die sich auf dieselben Stammväter beruft wie das Christentum.
Stephanus macht’s vor
Wir feiern heute das Fest des Hl. Stephanus. Unmittelbar nach den zumeist schönen stimmungsvollen Weihnachtstagen kommt gleich blutiger Ernst in die Verkündigung der Frohbotschaft. Und diese große Nähe von neuem Leben und Märtyrertod führt uns überdeutlich vor Augen: In der Nachfolge Jesu Christi zu stehen, sein Leben im Licht der Frohbotschaft zu sehen, ist eben nichts für die leichte Schulter, sondern Herausforderung an unsere Existenz.
Aber erst daraus erwächst, was für das Christentum hier und heute wichtig ist: nicht eine christliche Leitkultur eines Landes, nicht christliche Politik einer Partei, sondern zuerst christliches Selbstbewusstsein eines jeden Einzelnen.
Im alttestamentlichen Psalm 31 heißt es: "In deine Hände lege ich voll Vertrauen meinen Geist; du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott." Wer die Meinung des Psalmisten wie der hl. Stephanus im Herzen trägt, der hat keine Angst vor dem Fremden, der weiß, dass das christliche Abendland nicht auf den Schultern politischer Interessenten, sondern in Gottes Händen ruht.
Wer aus christlicher Hoffnung und Zuversicht selbstbewusst ist, der kann Fremdes anschauen, zulassen, als bereichernd erfahren, weil ihm nichts genommen werden kann.
Wer aus christlicher Hoffnung und Zuversicht selbstbewusst ist, baut voller Tatendrang mit an diesem Reich Gottes des Friedens und der Gerechtigkeit, das hier auf Erden schon erfahrbar sein soll.
Wer aus christlicher Hoffnung und Zuversicht selbstbewusst ist, hat Ideen und Visionen, wie es weitergehen kann. Stephanus rief den Umstehenenden sein Bekenntnis zu: "Ich sehe den Himmel offen und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen." - Und was sehen Sie?