Der Evangelist Matthäus hat im 13. Kapitel seines Evangeliums mehrere Gleichnisse und Parabeln vom Reich Gottes überliefert. Eines davon, das kürzeste, ist das vorhin gehörte Gleichnis vom Schatz und der Perle. Es ist ein sog. Doppelgleichnis, in dem der Grundgedanke in zweifacher Hinsicht ausgesprochen wird. Da wird von einem Mann erzählt, der bei einem Bauern beschäftigt war, wohl als Tagelöhner. Beim Pflügen des Ackers stößt er auf einen Schatz, der, von wem auch immer, vergraben worden war. Dann gräbt er ihn wieder ein. Und damit er ihn nachher wieder findet, wird er die Fundstelle markiert haben. Voll Freude, heißt es, geht er hin und verkauft alles, was er besitzt, und erwirbt den Acker. Dem Besitzer Ackers erzählt er nichts über die Hintergründe des Ankaufs. Nach damaligem jüdischem und römischem Recht hätte der bisherige Eigentümer Anspruch auf den Schatz gehabt, zumindest auf die Hälfte. Der Finder hat also auf listige Weise seinem Glück nachgeholfen, indem er den Schatz so lange verbarg, bis der Acker ihm gehörte. Man darf annehmen, dass er den Schatz später verkaufte, um von dem erworbenen Geld leben zu können.
Dann gibt es in dem Gleichnis einen Mann, der mit Perlen handelt und der sich auf ihren vorteilhaften Umsatz versteht. Möglicherweise weniger zufällig als bei dem Schatzfinder entdeckt er eine überaus wertvolle Perle. Sie muss so kostbar gewesen sein, dass er sein ganzes Vermögen in den Erwerb dieser Perle steckt. Perlen galten damals neben dem Gold als höchst wertvoll, wertvoller als Diamanten. Vom römischen Schriftsteller Plinius wissen wir, dass es Perlen in Millionenwert gab. In beiden Fällen läuft die Geschichte folgendermaßen ab. Finden. Alles verkaufen. Zu großem Reichtum gelangen.
Klug und entschieden handeln.
Bleiben wir zunächst noch auf der profanen Ebene, weil wir erst dann einschätzen können, welche Aussagekraft diese Geschichte für das Reich Gottes hat. Beide, der eine, der einen kostbaren Schatz gefunden hat, und der andere, der eine sehr wertvolle Perle erwerben konnte, handeln äußerst zielbewusst. Sie wissen die einmalige Gelegenheit, zu ungeheurem Reichtum zu gelangen, entschlossen zu nutzen. Nachdem ihnen der hohe Wert ihres Fundes bewusst geworden ist, setzen sie alles daran, ihn gewinnbringend für sich umzusetzen. Was in dieser Geschichte erzählt wird, könnte sich wirklich so zugetragen haben. Es gibt solche Menschen, die auf unerwartete Weise ihr Glück machen. Dabei denke ich nicht so sehr an einen hohen Lottogewinn oder an ein im Glücksspiel gewonnenes Auto. Ich denke vielmehr an das, was unser menschliches Leben wertvoll macht. Da finden Menschen, manchmal auf eine ganz unerwartete Weise, einen Schatz, vor dem alles andere verblassen muss, was es sonst noch in ihrem Leben an Wertvollem gibt. So, wenn jemand einen Menschen gefunden hat, zu dem er sagen kann: Du bist mein ganzes Glück. Für dich werde ich, sollte es dir einmal schlecht ergehen, alles andere zurückstellen, für gering erachten. Dies will das Wort der Treue bei der Eheschließung sagen: Ich stehe zu dir in guten und in schlechten Tagen. Koste es, was es wolle! Vielleicht kennen auch Sie Menschen, die Einbußen, etwa in ihrem Beruf oder in den ihnen angebotenen Aufstiegsmöglichkeiten, in Kauf nehmen, um dem geliebten Menschen zur Seite zu stehen.
Mit dem Himmelreich ist es wie . . .
Wie in anderen Gleichnissen und Parabeln wird auch im Gleichnis von dem Schatz und der Perle ein Bezug hergestellt zwischen dem irdischen und dem göttlichen Bereich. Gefragt wird, wie das, was Menschen in dieser Welt für wertvoll halten, sich zu dem verhält, was den Wert des Reiches Gottes ausmacht. Das Gleichnis deutet es an: Wenn schon Menschen wissen, was wahrhaft wertvoll ist in ihrem Leben und dafür einen hohen Einsatz wagen, dann müsste das Reich Gottes erst recht für erstrebenswert erachtet werden. Wenn schon Menschen alles verkaufen, damit sie mit dem gefundenen Schatz und der erworbenen Perle zu großem Reichtum kommen, um wie viel mehr müsste dann alles andere gering eingeschätzt werden, wenn es um das Reich Gottes geht. Darum sagt Jesus: Mit dem Himmelreich verhält es sich wie mit einem kostbaren Schatz, den jemand findet, und es ist zu vergleichen mit einer wertvollen Perle, die einer erwirbt. Darin liegt der Vergleichspunkt, das "Wie". Es ist das kluge und entschiedene Handeln der beiden, das auf das Suchen und Finden des Reiches Gottes hingedeutet wird. Der Schatz, den einer findet, und die Perle, die einer sucht, weisen über sich hinaus auf den Reichtum, den Menschen in Gott suchen und finden, und den sie sich innerlich, in ihrem Herzen, zu eigen machen sollen.
Das Reich Gottes ist mitten unter uns.
Der Schatz und die Perle, die mit dem Reich Gottes verglichen werden, dürfen nicht so gedeutet werden, als hätten wir es mit etwas Gegenständlichem zu tun. Darin wird vielmehr eine Beziehung ausgedrückt. Etwas, was sich zwischen Gott und Mensch ereignet. So lesen wir auch bei Augustinus, der in der kostbaren Perle die Liebe zu Gott und zum Mitmenschen gesehen hat. "Ich glaube", schreibt er, "das ist die Perle, die der Kaufmann nach der Schilderung des Evangeliums gesucht hat … das ist die kostbare Perle der Liebe, ohne die dir nichts nützt, so viel du auch hast, und die dir genügt, wenn du sie und sonst nichts besitzt." Durch die mitmenschliche Liebe wird dies wahr gemacht. So Augustinus: "Denn wenn du den Bruder, den du siehst, liebst, wirst du zugleich Gott schauen, denn du wirst die Liebe schauen, und in ihrem Innersten wohnt Gott" (Homilie zu 1 Joh 5,7).
Als Jesus einmal von Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, hat er ihnen geantwortet: "Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es an äußeren Zeichen erkennen könnte. Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es!, oder: Dort ist es. Denn das Reich Gottes ist mitten unter euch" (Lk 17, 20 f.). Das Reich Gottes ist nicht mit Händen zu greifen, nicht festzulegen auf bestimmte äußere Merkmale. Schon gar nicht darf man in ihm einen Gottesstaat auf Erden sehen wie die Reiche dieser Welt. "Das Reich Gottes ist mitten unter euch" hat Martin Luther übersetzt: "Das Reich Gottes ist inwendig in euch". Edith Stein hat gebetet: "Du näher mir als ich mir selbst und innerlicher als mein Innerstes". Wir finden Gott in seinem in uns wirkenden Gottesgeist. Wir können ihn wahrnehmen in dem in der Tiefe unseres Herzens verborgenen Schatz. Alles verkaufen, um diesen Schatz zu gewinnen ist gleichnishaft gesprochen und kann nicht bedeuten, dass wir die Welt mit all ihren schönen Dingen und Kostbarkeiten verachten müssten. Nach Ignatius von Loyola sollen wir Gott in allen Dingen suchen und finden.
"Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit."
Dieses Wort steht in dem Abschnitt der Bergpredigt, wo Jesus über das kleingläubige Sorgen spricht, das uns allzu sehr in Beschlag nehmen könnte. Suchet z u e r s t das Reich Gottes! Im Unterschied zu dem Tagelöhner, der zufällig einen Schatz findet, sucht der Kaufmann nach Perlen, und als er eine besonders wertvolle findet, verkauft er alles, was er besitzt. So ist es auch mit dem Reiche Gottes, das es zu suchen gilt, weil es weitaus größer und kostbarer ist als alles in dieser Welt. Wenn wir vor allem das Reich Gottes suchen, dann gewinnen wir die nötige Distanz zu den Dingen dieser Welt. An dem, was wir dann zum Leben brauchen - so verheißt es Jesus - werden wir keinen Mangel haben. "Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere hinzu gegeben werden."
Wenn Jesus sagt, dass es uns zuerst um das Reich gehen soll, alles andere werde uns hinzu gegeben, dann darf man das "zuerst" nicht so deuten, als gäbe es neben dem Trachten nach dem Gottesreich noch ein an zweiter Stelle stehendes Gleichwichtiges. Das, was uns hinzu gegeben wird, erscheint nebensächlich im Blick auf das Reich Gottes, das mit Jesus in diese Welt gekommen ist. Darum brauchen wir uns nicht allzu ängstlich um Vordergründiges zu sorgen. Die Suche nach dem Gottesreich stellt eine radikale Alternative dar zu einem rein auf das Irdische fixierten Denken und Handeln. Wenn es uns vor allem um das Reich Gottes zu tun ist, dann gewinnen wir die nötige Distanz zu den Gütern dieser Welt, die deswegen nicht wertlos werden. Mary Ward hat das einmal so ausgedrückt: "Gib dich mit nichts weniger zufrieden als mit Gott."
Das Reich Gottes ist keine rein jenseitige Größe. Es bricht überall da auf, wo wir Liebe, Friede, Versöhnung leben, wo wir nach den Weisungen des Evangeliums zu leben versuchen. Die Konkretisierung "Gerechtigkeit", ein Schlüsselwort der Bergpredigt fordert uns auf, uns mit aller Entschiedenheit einzusetzen für das Reich Gottes mit seiner neuen Wertordnung. Ebenso entschieden, so konsequent wie der Tagelöhner und der Kaufmann im Gleichnis Jesu.
Bernhard Zahrl (2011)
Wolfgang Jungmayr (2002)