Lesung aus dem Buch der Sprichwörter.
Eine tüchtige Frau, wer findet sie?
Sie übertrifft alle Perlen an Wert.
Das Herz ihres Mannes vertraut auf sie
und es fehlt ihm nicht an Gewinn.
Sie tut ihm Gutes und nichts Böses
alle Tage ihres Lebens.
Sie sorgt für Wolle und Flachs
und arbeitet voll Lust mit ihren Händen.
Nach dem Spinnrocken greift ihre Hand,
ihre Finger fassen die Spindel.
Sie öffnet ihre Hand für den Bedürftigen
und reicht ihre Hände dem Armen.
Trügerisch ist Anmut,
vergänglich die Schönheit,
eine Frau, die den Herrn fürchtet,
sie allein soll man rühmen.
Gebt ihr vom Ertrag ihrer Hände,
denn im Stadttor rühmen sie ihre Werke!
Die alttestamentliche Lesung ist dem Buch der Sprichwörter entnommen. Die ausgewählten Verse gehören zu dem Abschlussgedicht, mit dem das ganze Buch endet. Es handelt sich bei den Versen 10-31 um ein Akrostichon, d.h. im Hebräischen folgen die Anfangsbuchstaben der einzelnen Verse dem hebräischen Alphabet.
Das Gedicht über die tüchtige Frau (31,10-31) und die Aussagen über Frau Weisheit (Kap 1-9) sind wechselseitig aufeinander zu beziehen. Sie bilden den Deuterahmen des gesamten Buches. Die tüchtige, weise und JHWH-fürchtige (Jahwe-fürchtige) Frau ist eine Form der Inkarnation der präexistenten Weisheit, durch die JHWH die Welt erschaffen hat und deren Freude es ist, bei den Menschen zu sein (8,22-31). Sie ist ein Paradigma gelungener menschlicher Existenz, welche die gute Schöpfungsordnung im Lebenshaus der Menschen verwirklicht.
Ludger Schwienhorst-Schönberger, Das Buch der Sprichwörter, in: Erich Zenger u.a., Einleitung in das Alte Testament, Stuttgart 1995, S. 258
Das Bild, das von der Frau in den Versen 10-31 gezeichnet wird, unterstreicht die vielfältigen Aktivitäten der Frau. Sie spielt eine wesentliche Rolle in ihrem Umkreis. Dabei ist auffällig, dass ihr Wirkungskreis sich nicht auf den häuslichen Bereich beschränkt, sondern auch den wirtschaftlichen Bereich umfasst. Die Frau tritt als Geschäftspartnerin auf, sie produziert, verkauft, sorgt sich um die ihr Anvertrauten und sie hat ein Herz für die Armen.
Die für die Lesung vorgesehenen Verse bevorzugen eher die häuslichen Tätigkeiten der Frau. In der Anmerkung zur 1. Lesung im Schott (1983) ist folgerichtig zu lesen: "Eine solche Frau ist liebende Gattin, sorgende Hausfrau, ein wirklicher "Schatz", das Glück ihres Hauses." - Um einerseits der Vollständigkeit des Gedichts Rechnung zu tragen, andererseits aber auch die Vielfältigkeit des Frauenbildes in der Bibel deutlich zu machen, empfehle ich, die Verse 10-31 durchgehend zu lesen, eventuell mit einem Hinweis auf die Gedichtstruktur im Hebräischen. (Siehe "Ungekürzte Fassung").
Die Kapitel 10 bis 31 des Buches der Sprüche sind Texte, die gleichsam vom "prallen Leben" handeln - wie kaum ein zweiter Abschnitt der Bibel. Es geht in diesen Texten um das rechte Handeln im Alltag. In den ersten Versen des 31. Kapitels kommt eine Mutter zu Wort. Die weiteren Verse führen in das Alltagsleben einer Familie.
Historisch dürfte der Text wohl am königlichen Hof entstanden sein. Formal handelt es sich (beim Urtext!) um ein alphabetisches Gedicht, bei dem jede neue Textzeile mit dem jeweils im Alphabet folgenden Buchstaben beginnt. Dieses Stilmittel sollte zum leichteren Merken des Textes (für Rezitationen etc.) beitragen.
Das (männliche!) Frauenbild war ausgerichtet auf eine Frau, welche den Alltag bewältigt. Dezidiert gewarnt wird im Text, nur auf das Äußere einer Frau zu schauen. Das kann täuschen und ist vergänglich. Dem Schreiber des Textes kommt es vielmehr auf die „vielbeschworenen“ inneren Werte an. Das Wort „gottesfürchtig“ steht als Synonym für Ehrfurcht, Gehorsam, Treue und Liebe Gott gegenüber.
Als erste Lesung wird das Ende des Buches der Sprichwörter geboten: Das Lob der tüchtigen Frau. Allerdings verstümmelt die liturgische Textfassung das kunstvolle Lied. Sie wählt jene Verse aus, die das traditionelle Frauenbild verfestigen. Es empfiehlt sich daher, den Text ungekürzt oder eine eigene Versauswahl vorzutragen.
Der hebräische Text läßt jeden Vers mit einem anderen Buchstaben des Alphabetes beginnen, sodaß die tüchtige Frau von A bis Z besungen wird. Auffallend ist das Frauenbild, das hier beschrieben wird. Diese Frau ist sehr tatkräftig, selbständig, sie hat Freude am Schaffen.
Der Abschluß des Sprichwörterbuches steht in Beziehung zu den Kapiteln 1 bis 9, also zum Beginn des Buches. In diesen geht es um positive und negativ gezeichnete Frauengestalten sowie die personifizierte Weisheit eine wichtige Rolle. Am Ende des Buches verkörpert die hier beschriebene Frauengestalt die Weisheit selbst.
Christiane Herholz (2002)
Bernhard Zahrl (1999)
Hans Hütter (1996)