Am ersten Tag der Woche
Maria von Magdala geht zum Grab. Es ist der erste Tag der Woche, es ist noch dunkel. Sie ist allein. Allein auch mit sich. Ich versuche, mit vorzustellen, wie leer ihr Kopf jetzt ist -aber auch, wie voll er ist mit Erinnerungen, Enttäuschungen und Hoffnungen. Dann sieht Maria, dass der Stein weggenommen ist. Eine unheimliche Erfahrung. Sie versteht noch nicht, dass es ein Zeichen ist:
Der Stein, der die Welt der Lebenden von der der Toten trennt - weggenommen.
Der Stein, der Leben abschließt - weggenommen.
Der Stein, der Herzen schwer macht - weggenommen.
Wie sich dieses Wort anhört: w e g g e n o m m e n !
Ich habe mich gefragt, warum das Evangelium so sehr betont, dass es der erste Tag ist. Wäre nicht jeder Tag gleich gut - oder gleich schlecht? Aber die Spur führt weit zurück. Sie führt zu dem Anfang. Zu dem Anfang von allem. Zu dem Anfang der Schöpfung. Wir hören die erste Worte: Es werde Licht! Und wir hören auch das erste Staunen: Siehe, es ward Licht!
Ob der weggenommene Stein etwas mit Licht zu tun hat? Am Ostermorgen wird es hell. Das Leben wird hell. Darum muss es auch noch dunkel sein, als Maria zum Grab geht. Noch ist es Nacht. Nacht auch im Herzen, im Kopf, in den Gliedern.
Hier halte ich ein. Wie viele Menschen wohl, allein, alleingelassen, zu einem Grab gehen? Ihre Hoffnungen begraben? In Sorgen zergehen? Einsam und verlassen sind? Selbst bei strahlendem Sonnenschein kann sich Nacht breitmachen - und eisige Kälte. Der Tod hat viele Gesichter!
Ich möchte darum heute Morgen mit Maria von Magdala ihren Weg mitgehen.
Sie soll nicht allein sein. Ich bin dann auch nicht allein...
Entdeckungen in Etappen
Aber lassen wir uns von Johannes diesen Morgen erzählen! Die Jünger, zu Hilfe gerufen, kommen nur bis zu den sorgfältig abgelegten Leinenbinden und dem Schweißtuch. An diesem Ort ist Jesus nicht. Nicht mehr. Zwar rennen die Jünger - aber weit kommen sie nicht. Johannes zelebriert diese Geschichte geradezu. Mit Wettlauf, Ersten und Zweiten. Wir stoßen trotzdem nur auf eine große Leere.
Dann wird unser Blick auf Maria gelenkt. Sie steht draußen. Im Abseits. Sie sieht in das leere Grab. Engel fragen sie, warum sie weint. Sind Engel die einzigen Wesen, die menschlich sind? Maria möchte nur wissen, wohin man Jesus gelegt hat. Mehr - oder anderes - kann sie sich nicht vorstellen, als dass ihn jemand weggenommen, verlegt hat. Eine Antwort bleibt aus. Wir sehen aber, wie sie sich umdreht. Langsam? Ruckartig? Wie umgewendet? Hinter ihrem Rücken muss etwas geschehen sein. Sie trifft auf den - Gärtner. Oder auf den, den sie für einen Gärtner hält. Dann nimmt die Geschichte ihre unerwartete Wendung - Wendung im tiefsten Sinn des Wortes: Maria wird von Jesus angesprochen. Viele Worte werden nicht gemacht. Maria nennt ihn nur "Rabbuni". Es klingt zärtlich, vertraut, liebevoll! Dass sie ihn mit einem Kosenamen anreden darf!
Unerwartete Begegnung
Auf diese Begegnung hat der Evangelist die Geschichte zielstrebig hingeführt. Er ist auch der einzige, der die Geschichte so erzählt. Der Weg zum Grab, ratlose und rastlose Jünger, Engel, die eigentlich nichts sagen - und dann die Begegnung! Die Begegnung von Jesus und Maria. Alles dreht sich jetzt um die Wendung. "Sie wandte sich um"!
Ostern wird, wenn ich mich umdrehe! Wenn ich nur den Tod sehe, ganz und gar in seinen Bann gerate - dann kann mir der Auferstandene nicht begegnen. Begegnet er mir aber, muss der Tod meinen Blick, mein Herz, meine Gedanken frei geben. Maria dreht sich um - und sieht dem Leben ins Gesicht. Umdrehen ist auch ein schönes Wort. Es drückt Bewegungsfreiheit aus - und Richtungswechsel. Es zeigt auch, dass nichts beim Alten bleiben muss. Weder beim alten Blick noch bei der alten Erstarrung. Nur wer sich umdreht, kann Neues sehen!
Jetzt schaue ich zurück. Ich habe auf den weggenommen Stein geschaut, glaubte, hinter ihm das Geheimnis zu entdecken, aber dann habe ich gesehen, was Ostern ausmacht: Jesus möchte mir begegnen. Der Stein - ein Hingucker. Sagen kann der nichts. Er bleibt auch immer nur ein Stein. Aber ich kann mich wenden. Ich kann mich umdrehen. Ich bin kein Stein. Hinter meinem Rücken hat sich Jesus zu mir gewandt.
Auf dem Weg zu einer neuen Schöpfung
Ich hatte mir vorgenommen, heute Morgen mit Maria von Magdala mitzugehen. Sie soll nicht allein sein. Dachte ich. Ich bin dann auch nicht allein.
Aber es ist etwas Unerwartetes geschehen: Sie hat mich mitgenommen. In einen Garten. So wird man die Szene wohl sehen müssen - mit Gartengrab und Gärtner. Was aber zwischen den Zeilen mitschwingt - und blüht wie Blumen in einem Garten, ist, dass uns das Evangelium ins Paradies führt. An jenen Anfang, in der die Schuld noch nicht geboren war - und der Tod noch nicht war.
Immer deutlicher wird, was an diesem ersten Tag der Woche geschieht: Als Jesus aufersteht, werden alle Ängste, Schuldverstrickungen, Resignationen und Verfluchungen überwunden. Ins Unrecht gesetzt. Ihrer Macht beraubt. Es wird Licht! Wir sehen eine neue Schöpfung.
Wenn ich mir nicht vorgenommen hätte, heute Morgen mit Maria von Magdala mitzugehen - ich hätte das nie zu Gesicht bekommen!
Und ganz nebenbei geht mir auf, dass ich, wenn ich einen Menschen in seiner Verzagtheit, Trauer und Einsamkeit annehme, von ihm einen neuen Blick auf das Leben geschenkt bekomme. Es ist tatsächlich so: Wie oft wollte ich schon einen Menschen trösten - und wurde getröstet? Wie oft schon wollte ich einen Menschen auffangen - und wurde aufgefangen?
Das ist das Geheimnis von Ostern!
Maria hat das übrigens den Jüngern Jesu sagen sollen. Nicht schlecht zu wissen, dass die nicht alles wussten - und auch nicht immer die Ersten waren.
Maria aber wächst mir immer mehr ans Herz.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.