Jesus von Nazareth ist bei seinen Landsleuten zunächst gescheitert, da sie sich den erwarteten Messias in politischen Denkmustern vorstellten. Jesus erweist sich als anderer Messias, als anderer König, sein Reich ist nicht von dieser Welt, will aber diese Welt verändern. Am Kreuz kommt es zur Entscheidung, wer ihn als den wahren erkennt und anerkennt.
Der andere Messias
Lukas erkennt: Das eigentliche Hindernis für die Israeliten, Jesus als Messias anzuerkennen, liegt in den fehlgeleiteten Erwartungen an den verheißenen Messias. Die überwiegende Mehrheit des Volkes erwartete von ihm den Aufbau eines irdischen Großreiches, das den anderen Völkern an Macht weit überlegen sein würde. Der Glanz dieses Reiches wurde in ihren Vorstellungen so hoch eingeschätzt, dass die Nachbarvölker herbeiströmen würden, um Israel zu huldigen.
Lukas bemüht sich, den Blick von diesen Bildern rein weltlicher Erwartungen und Vorstellungen umzulenken auf die wahre Würde und Größe des verheißenen Messias. Seine Größe, seine Würde, seine Kraft finden sich eindeutig im Wesen, Charakter und Handeln Jesu. Ein Leben lang hat Jesus sich in Wort und Tat als der Messias und „Sohn des Vaters“ ausgewiesen. Für jeden, der sich innerlich nicht verschlossen hatte, war sichtbar und überprüfbar, welche Liebe, Güte, Barmherzigkeit von ihm ausging: im Eintreten für Ausgestoßene und Abgelehnte, im Heilen Unheilbarer, im Sieg über Dämonen, Tod und Naturgewalten, in der sichtbaren Wertschätzung jedes einzelnen Menschen.
Der andere König
Jesus trug keine Kleider aus Samt und Seide, keine goldene Krone. Aber sein Herz war vergoldet, seine Worte enthielten Balsam für jedes Menschenherz, seine Mahnungen waren frei von Verurteilung. Viele Israeliten nahmen bei ihren Betrachtungen über den verheißenen Messias den Herzensbereich gar nicht intensiv in den Blick, da ihre Augen auf die Errichtung eines irdischen Reiches ausgerichtet waren. Hier will Lukas eine Änderung herbeiführen. Denn er glaubt daran, dass Menschen normalerweise davon überzeugt sind, dass Größe, Adel und Würde eines Menschen von der Qualität des Herzens abhängen. So beschreibt Lukas Seite um Seite in den Berichten seines Evangeliums, wie Jesus niemanden von seiner Liebe und seinem Erbarmen ausschloss, wie er den Verirrten nachging, sich weigerte Böses mit Bösem zu vergelten, wie er seiner Güte und Barmherzigkeit keine Grenzen setzte.
In dieser Haltung verharrt er konsequent auch auf seinem Leidensweg, der an Grausamkeit nicht mehr überboten werden konnte. Jesus ist an Kraft, Größe, Würde nicht zu übertreffen. Bei allem, was ihm grausam und würdelos angetan wird, bleibt er gerade durch seinen Verzicht auf Wiedervergeltung, die ihm möglich gewesen wäre, der wahre und wirkliche Sieger, auch wenn er eine Dornenkrone trägt und ans Kreuz genagelt ist. Niemand kann ihn in die Knie zwingen. In all seinen Leiden und noch im Sterben erweist er sich souverän als der von Gott gesandte Erlöser, indem er dem um Gnade bittenden Mitgekreuzigten bedingungslos seine Aufnahme ins Paradies zusichert. Lukas ist es wichtig, in den Blick zu bringen: Wer Jesu Leben offen und unvoreingenommen betrachtet, kann erkennen: Nicht nur in guten Tagen, auch im bitteren Leid weicht Jesus nicht ab von seiner Aufgabe, für die er im Einklang mit dem Vater auf die Welt kam, sich als Messias auszuweisen, als Bote der unendlichen Liebe Gottes zu uns Menschen.
Das andere Königreich
Als Messias suchte Jesus damals und sucht er auch heute Anhänger, die von seiner Gesinnung geprägt mit ihm am Reich Gottes bauen, damit es nicht nur aufs Jenseits beschränkt bleibt. Es soll sich vielmehr ausweiten über die ganze Erde. In diesem Reich, in dem Christus König und Herrscher ist, werden nicht Gewalt, Ruhmsucht, Herrschenwollen, gnadenloses Streben nach endlosem Reichtum, Wiedervergeltung auf Heller und Pfennig den Ton angeben. Nein, Jesu Wesensart, sein von Güte, Milde und Wohlwollen geprägter Charakter bestimmen das Klima in diesem Reich. Güte und Barmherzigkeit werden nicht als Schwäche, sondern als Tugend ausgelegt und angestrebt. Innerlich teilzuhaben an diesem Reich haben sich zur Zeit des Lukas schon viele aus verschiedenen Ländern aufgemacht. Jubel, Anerkennung, Freude, Lob und Dank bringen sie dem König dieses Reiches, Jesus Christus, entgegen.
Der verspottete König
Den Blick für die Würde Jesu und seine Einladung, ihn nachahmend mit ihm an seinem Reich zu bauen, kann man bei Unachtsamkeit sehr schnell aus dem Auge verlieren.
Was veranlasste eigentlich die Führer des Volkes zu ihrem Verhöhnen und Spotten? Sie haben doch erreicht, was sie im Geheimen beschlossen hatten, nämlich Jesus töten zu wollen. Ihr Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Warum sind sie damit nicht zufrieden? Warum fühlen sie sich getrieben, spöttisch und verhöhnend Jesus zu verlachen? Lukas weist mit seinem Bericht über die Spottenden jeweils auf eine schäbige Seite hin, der Menschen verfallen können. Viele der Führer des Volkes sind seit längerem verärgert über Jesus und innerlich wütend auf ihn. Gleichzeitig wurmt es sie, dass es Anhänger gibt, die an Jesus glauben und ihm vertrauen. Diesen und allen noch Unentschiedenen, aber doch eher mit Jesus Sympathisierenden müssen sie unbedingt beweisen, dass sie die Gegner Jesu, im Recht sind. Ihren durch Jesu innere Haltung, Wirken und Handeln angekratzten Ruf und ihr gesunkenes Ansehen bei vielen können sie nicht ertragen. In ihrer aufgestauten Verärgerung kennen sie keinerlei Maß mehr. Dass Jesus qualvoll hingerichtet wird, ist ihnen nicht genug, befriedigt ihre Rachegefühle nicht. Jesus soll nach ihren Wünschen mindestens noch als Gauner öffentlich dastehen und damit ohne Würde sterben. Der Wut im Innern kein Maß setzen, sich im Schmähen gegenseitig übertrumpfen, das nimmt den Volksführern das letzte Fünkchen Menschlichkeit aus ihren Herzen.
Das Motiv der Soldaten, das sie zum Spott treibt, ist ein anderes: Der Krieg hat sie verroht. Das Leid eines Menschen rührt ihr Herz nicht mehr an. Sie sind innerlich kalt und gefühllos geworden. Es gehört zu ihrem Kriegshandwerk, Unterlegene zu demütigen und zu misshandeln. So reichen sie neben ihrem Spott dem durch den hohen Blutverlust sehr durstig gewordenen Jesus Essig als Getränk.
Beim höhnenden Mitgekreuzigten schließlich wird noch ein drittes Motiv angesprochen. Dieser höhnende Mitgekreuzigte bleibt in seiner Gesinnung ein Halunke. Mit seinen spöttischen Worten versucht er Jesus zu reizen und anzustacheln, von seiner Machtfülle, die er aus der Sicht des Verbrechers eventuell haben könnte, Gebrauch zu machen. Dem Verbrecher geht es dabei nicht um Jesus, um das Ende seiner Leiden. Für sich will der Verbrecher etwas herausschlagen. Für sich will er Jesu eventuelle Macht in Gang setzen.
Der wahre König
Lukas möchte uns einladen, Jesus und uns selbst in den Blick zu nehmen. Wo wir Anklänge der Spottenden in unserem Charakter oder Verhalten entdecken, haben wir die Möglichkeit wie der zweite mitgekreuzigte Schächer, in uns zu gehen und Jesus um sein Erbarmen zu bitten. Er wird seine Barmherzigkeit auch uns schenken und uns erneut senden, mit ihm am Ausbau seines Reiches mitzuwirken, am Reich der Güte, Herzlichkeit, des Wohlwollens und der Zuwendung zum Nächsten. In diesem Reich, das vom Jenseits kommend sich auf Erden ausbreiten soll, ist Christus König. Seine Gesinnung in uns aufnehmen und mit all unserem Wollen ihn nachahmen, ist die schönste Form, ihn zu loben und ihm zu danken. Dies neu zu bedenken, sind wir heute vom Evangelisten Lukas und von der Kirche eingeladen.
Bernhard Zahrl (2019)
Manfred Wussow (2004)
Lorenz Walter Voith (1998)