Jesus betet
Beten im Geist Jesu verändert. Uns und unsere Wirklichkeit. Gemeinsam beten wirkt verändernd. Jesus betet. Immer wieder, an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten hält er inne, unterbricht den Gang des Alltages. Aus dem Gebet schöpft er Klarheit und Kraft für sein Handeln. Jesu Vorbild im Beten wirkt. Einer seiner Jünger sagt zu Jesus: Herr, lehre uns beten, wie auch Johannes seine Jünger beten gelehrt hat. Beten stiftet also Kommunikation, will gelernt sein, braucht Anleitung, Unterstützung, Hilfestellung und verbindet mit der Tradition derer, die vor uns gebetet haben und nach uns beten werden.
Herr, lehre uns beten
Lehre uns. Mehrzahl. Dieses uns zeigt schon, dass es nicht um individuelle Befindlichkeiten und Wünsche geht. Lehre uns, wie wir zu einem gemeinsamen Bitten, Beten, Denken und Handeln kommen. Jesu Bezugspunkt beim Beten ist die Gemeinde, die Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger. Sie bitten und beten gemeinsam zu Jahwe, ihrem Gott. Leite uns an, dass wir neben dem Blick auf uns selbst auch die Menschen neben uns liebevoll, aufmerksam, mit Einfühlung und Respekt im Blick haben und dementsprechend aneinander handeln. Großes erbitten die Jüngerinnen und Jünger von Jesus mit der Bitte nach einem gemeinsamen Gebet. Letztlich geht es um die Klarheit und Klärung des Gemeinsamen, das Gemeinschaft untereinander stiftet, das verbindlich verbindet und letztlich diese Verbindlichkeit auch einfordert.
Kurz und prägnant ist die Antwort Jesu, wie Lukas sie beschreibt. Keine lange Litanei, klare Worte und Sätze und im Anhang eine Kurzerläuterung, wie die Praxis ausschauen kann und soll. Du darfst dich deinem Nächsten, deiner Nächsten nicht entziehen.
Jesus beginnt beim Vater
Vater, dein Name werde geheiligt. Vom Vater ist die Rede. Dieser ist Dreh- und Angelpunkt. Nicht Jesus selbst drängt in den Vordergrund, will Verherrlichung und Anbetung. Jesus verweist auf den gemeinsamen Vater und macht uns dadurch zu Geschwistern. Der gemeinsame Vater verbindet uns, bindet uns in Verantwortung aneinander. Wer also Vater oder unser Vater sagt, sagt auch Bruder und Schwester. Und das könnte leicht ins Auge gehen. Nicht nur die nette Nachbarin oder der Arbeitskollege ist da gemeint. Es könnte durchaus auch der bettelnde Obdachlose sein, der die Hand entgegenstreckt, der rumänische Bettler, der allwöchentlich mit gesenktem Blick und leerem Becher vor dem Supermarkt sitzt und an dem wir mit vollen und übervollen Einkaufswägen vorbeifahren. Der uns beschämt wegschauen lässt, weil wir dann unseren Vater doch lieber nicht so konkret hätten oder den lieben Jesus auf die Kirche beschränkt wollen wissen, wo wir als Brüder und Schwestern unter uns sind, uns beim Friedensgruß die Hand geben und unsere kleine Welt für in Ordnung befinden.
Jesus lehrt uns beten. So richtig. Vater. Dein Name werde geheiligt. Da schwingt aus der Tradition für den gläubigen Juden Jesus und auch für seine Jüngerinnen und Jünger der Satz mit: Du sollst neben mir keine anderen Götter haben. Was ist uns noch heilig oder was halten wir außer Gott noch hoch und heilig. Unser Haus, das neue Auto, meine Ruhe, die mir heilig ist, dass das Geld am Sparbuch wächst. Was sind unsere neuen Götzen, vor denen wir niederknien, denen wir uns unterwerfen und die unser Denken und Tun in Besitz genommen haben. Der Profit ist zum neuen Hauptgott aufgestiegen. Da raten uns Experten dann, bei der Geldanlage breit zu streuen. Da macht sich Enttäuschung breit, dass die Zinsen niedrig sind und unser Geld nicht so wächst, wie wir es gerne hätten. Und vergessen dabei, dass Geld aus sich heraus nicht die Kraft hat zu wachsen, sondern immer ausgebeutete Menschen braucht, die das Kapital der anderen vermehren.
Uns selbst im Blick vergessen wir da auf Jesu Umgang mit Geld und Reichtum. Nimm, was du hast, verkaufe es und gib das Geld den Armen und komm und folge mir nach, rät er dem reichen Jüngling. Wie gehen wir mit dem, was wir haben um, angesichts dessen, dass die Reichtümer der Welt so ungleich verteilt sind?
Dein Reich komme. Starke Worte für unsere Welt. Wir fühlen uns als Herr bzw. Frau unseres Lebens. Wir treffen die Entscheidungen, wissen, was gut für uns ist, da lassen wir uns von niemandem dreinreden. Wir wollen unser Leben selbst in der Hand haben, gestalten, versichern, planbar machen.
Eine neue Praxis des Miteinander
Das Brot, das wir nötig haben, gib uns Tag für Tag. Was haben wir nötig, um zu leben? Zu Essen, zu trinken, ein Dach über dem Kopf und eine Arbeit, die uns ernährt. Das sind doch eigentlich keine überzogenen Wünsche. Die Erde hat genug Brot für alle ihre Kinder. Das Menschenrecht zu essen, satt zu werden, gehört zu den Grundrechten. An der Verletzung dieses Grundrechtes sind alle reichen Staaten beteiligt. Weltweit stirbt alle fünf Sekunden ein Kind an Hunger, schreibt Jean Ziegler. Während wir Nahrungsmittel verheizen, zu Sprit verarbeiten oder mit Spekulation auf Getreide ein mehr an Profit erwirtschaften wollen. Umgeben von Überfluss, trainiert auf Wegwerfkonsum, begeistert, dass wir in alle Teile der Erde fliegen können ohne uns fragen zu müssen, auf wessen Kosten, stört es uns wenig dass wir die Grundlagen des Brotes, die Erde, langsam aber sicher zu Tode bringen.
Da kann uns das Gebet Jesu, aufmerksam gebetet, wieder verweisen auf unser aufeinander Angewiesensein als Menschen. Wir können uns der Verantwortung füreinander nicht entziehen. Und diese Verantwortung hört eben nicht im eigenen Haus, im eigenen Dorf, in der eigenen Stadt oder in Österreich auf. Auf dieser Welt gibt es keine seligen Inseln, solange Menschen sterben müssen, weil andere den Hals nicht vollkriegen können. „Die Armen sind ein Problem für die Gesellschaft. Schlimmer sind die Reichen, sie koppeln sich ab, sie interessiert die Gesellschaft nicht“ schreibt Aristoteles.
Die Reichtümer der Erde könnten 12 Milliarden Menschen ernähren, sagt Jean Ziegler. Dazu braucht es die radikale Bereitschaft zu Teilen. Und das will uns Jesu Gebet lehren. Im Beten verändern wir die Wirklichkeit in einem ersten Schritt, weil wir von einer gemeinsamen Wirklichkeit, die sich an den Gaben des Vaters orientiert, sprechen. Was wir haben will geteilt werden, zum Leben aller. Was bedeutet das für unsere Art zu leben, wo wir auf Pensionsvorsorge, Lebensversicherung setzen, uns mit Lachs, Hummer und exotischen Früchten eindecken, exklusive Getränke schlürfen, uns von niemandem abhängig machen wollen.
Als Menschen sind wir immer wieder auf Vergebung angewiesen. Aneinander zu scheitern, uns unser Menschsein, unser menschlich sein vorzuenthalten kommt immer wieder in unserem Leben vor. Jesus verweist auf die konkrete Praxis, uns immer wieder zu vergeben. Nicht siebenmal sondern siebenundsiebzig Mal. Unrecht und menschenunwürdige Verhältnisse brauchen einen befreienden Umgang. Die himmelschreiende Ausbeutung der arbeitenden Menschen, das Vorenthalten des gerechten Lohnes, wenn Arbeitgeber bei Lohnverhandlungen ihr erstes Angebot weit unter der Inflation ansetzen und damit signalisieren, dass ihnen die geleistete Arbeit weniger Wert ist als im Vorjahr, das Bereichern der einen auf Kosten der anderen – all das muss zu unserem Anliegen werden. Wir sind im Lichte des gemeinsamen Vaters füreinander verantwortlich. Konkrete Vergebung wirkt in eine neue Praxis des Miteinanders.
Unsere Verantwortung
Und wir dürfen und müssen uns gerade als BewohnerInnen der westlichen Welt, die ihren Reichtum und Wohlstand auf Kosten der restlichen Welt aufgebaut hat, immer wieder belästigen lassen. Für viele Menschen ist das tägliche Brot keine Selbstverständlichkeit. Arme, Taglöhner, Leute die keine Arbeit haben, Bettler, Straßenkinder, die Liste ließe sich beliebig verlängern.
Es liegt an uns, im Gebet unseren Blick immer wieder zu schärfen, das Anklopfen wahrzunehmen, hinzuhören und hinzuschauen, was wir miteinander brauchen für ein gutes Leben und gutes Arbeiten. Und wir dürfen das Brot, um das wir Tag für Tag bitten, einander nicht vorenthalten. Brot wird erst zum Leben, wenn es geteilt wird. So schreibt Bertolt Brecht und verweist so auf den Auftrag Jesu. Denn im Teilen können alle Anteil bekommen am täglichen Brot. Dem Brot, das vielen Menschen tagtäglich immer noch vorenthalten wird, auch weil wir im Teilen noch säumig sind. Die Bitte um das Brot Tag für Tag ist die Bitte um Gerechtigkeit für alle. Denn nur innerhalb einer weltweiten Gerechtigkeit ist auch unser Überleben sicher. Gib uns daher heute und morgen und übermorgen unsere tägliche Solidarisierung mir den Armen und Ärmsten, bei uns und weltweit.
Lehre uns beten, lehre uns teilen, lehre uns ein geschwisterliches Leben in einer individualisierten, menschenfeindlichen kapitalistischen Welt, deren oberster Götze der Profit ist. Lehre uns, loszulassen von unseren Wünschen im Vertrauen, dass das Leben im Miteinander besser gelingt.
Vater unser, dein Wille geschehe
Lukas zeigt uns noch wesentliche Handlungsmöglichkeiten für die gemeindliche Praxis. Wir dürfen einander in Anspruch nehmen, beanspruchen, uns „belästigen“ lassen. Konkret dürfen wir bitten, anklopfen, und beten und vertrauen, dass uns aufgetan wird und dass wir bekommen, was wir brauchen. Jederzeit, auch mitten in der Nacht. Denn darum geht es wesentlich. Bitten um das, was wir wirklich brauchen, aufeinander zugehen und uns für unsere Grundbedürfnisse gemeinsam verantwortlich fühlen. Darauf zu vertrauen, dass ein gemeinschaftliches Leben trägt und gelingt, weil wir letztlich einander Gutes wollen und Gutes brauchen.
Gott Jahwe ist das Korrektiv wenn wir miteinander unsere Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte benennen und bündeln. Denn ein Leben aus dem Geist Jahwes verweist uns auf radikale Gemeinschaft, die nicht durch Kaufkraft Lebensmöglichkeit schafft sondern durch unbedingte solidarische Geschwisterlichkeit. Jesus will, dass wir aus dem Geist Gottes heraus Mensch werden und solidarisch bleiben. Tag für Tag.
© Mag. Fritz Käferböck-Stelzer
Norbert Riebartsch (2010)
Marita Meister (2001)
Regina Wagner (1998)