Auf einem Berg in Galiläa
Mit dem Bericht der Himmelfahrt Jesu und der Aussendung der Jünger in alle Welt durch den Auferstandenen beschließt der Evangelist Matthäus sein Evangelium. Auf diesen Endpunkt ist im Grunde sein gesamtes Evangelium ausgerichtet. Es geht dem Seelsorger Matthäus darum, den Gläubigen ihren Anteil am Erlösungswerk Jesu ins Herz zu schreiben. Jesus hat seinen Auftrag in Treue zu Gottes Willen erfüllt. Davon kann sich jeder durch die vorangestellten Berichte des Evangelisten vom Leben und Wirken Jesu überzeugen. Jesu Werk ist vollbracht. Nun gilt es, sein Werk fortzusetzen durch die, die an ihn, den Christus, glauben.
Schon die Tatsache, dass Matthäus den Berg, wohin Jesus die Jünger bestellt hat, nicht mit Namen benennt, macht deutlich, dass es dem Evangelisten nicht um die Wiedergabe des äußeren Verlaufs der Himmelfahrt Jesu geht. Vielmehr sollen die Gläubigen das Geschehen im Zusammenhang der gesamten Heilsgeschichte betrachten. Der Berg spielte im Leben des Volkes Israel und im Leben Jesu eine wichtige Rolle.
Der Berg der Gesetzgebung
Ein erstes Mal steht schon gleich am Anfang der Heilsgeschichte des Volkes Israel sehr markant ein Berg im Mittelpunkt: Der Sinai beim Durchzug durch die Wüste. Israel war es gelungen, unter der Leitung des Mose aus Ägypten zu fliehen. Am Sinai kommt es dann zu einer gewaltigen Begegnung des Volkes mit seinem Gott. Der Bund, den Jahwe mit Abraham geschossen hatte, wird auf das ganze Volk ausgeweitet. Dieser neue Bundesschluss enthält das Angebot Gottes, dem Volk beizustehen, sofern die Israeliten ihrem Gott die Treue halten. In den zehn Geboten empfangen die Israeliten Weisungen, wie menschliches Leben in Herzlichkeit und gegenseitiger Fürsorge gelingen kann und gelebt werden soll. Denn die Weisungen Gottes in den zehn Geboten unterscheiden sich gewaltig von den Normen und Regeln die unter den anderen Völkern üblich und gängig sind. Nicht mehr das Recht des Stärkeren und des Gewalttätigen soll gelten, sondern das Gebot der Liebe, Hilfsbereitschaft und Fürsorge.
Der Berg der Versuchung
Ein zweites Mal steht im Zusammenhang mit der Heilsgeschichte ein Berg im Mittelpunkt bei der Versuchung Jesu. Der Teufel bietet alles auf, um Jesus in die Falle zu locken. Hoch über alle Geschöpfe und Reiche der Welt wird Jesus vom Versucher gestellt. Alles wird Jesus gleichsam zu Füßen gelegt. Aber nicht um zu herrschen ist Jesus in die Welt gekommen, sondern um Gottes Sicht von der Welt und dem Zusammenleben der Menschen zu verkünden.
Der Berg der Seligpreisungen
So lässt Matthäus im Gegenüber zum Berg der Versuchung Jesus den Berg der Selig-Preisungen besteigen. Sie, die Selig-Preisungen, enthalten, wonach die Menschen nach Gottes Willen streben sollen. Wer die Selig-Preisungen zu seiner Lebensnorm erhebt, der steigt in Wahrheit empor, Gott und dem Himmel entgegen. Vom Inhalt her geben die Selig-Preisungen wieder, was bereits am Berg Sinai in den zehn Geboten niedergeschrieben worden war.
Der Berg der Verklärung und der Berg Golgota
Und dann sind noch zwei Berge auf dem Hintergrund heilsgeschichtlicher Betrachtung in den Blick zu nehmen: Der Berg der Verklärung und der Berg Golgota. Auf den Berg der Verklärung führt Jesus die erwählten Jünger vor dem Antritt seines Weges nach Jerusalem. Das Erlebnis der Verklärung soll den Jüngern helfen, bei der Kreuzigung Jesu nicht an ihrem Herrn und Meister irre zu werden.
Der Berg der Himmelfahrt
Da der Berg in der Heilsgeschichte also immer wieder von Bedeutung war, ist es nicht verwunderlich, dass Matthäus die Himmelfahrt Jesu auf einen Berg verlegt. Dieser nicht mit Namen näher bezeichnete Berg und das Geschehen dort haben viel gemeinsam mit den Ereignissen am Sinai. Wie Mose und das Volk beim Auszug aus Ägypten Jahwe als den erlebten, der wahrhaft Macht hat, so erlebten die Jünger die Macht Jesu im Wirken seiner Wunder. Am Sinai setzt dann nach Hast und Flucht ein Innehalten ein, um über den Glauben und das Verhältnis zu Gott eingehender nachzudenken. Im Errichten des heiligen Zeltes mit der Bundeslade wird in der Wüste ein religiöser Mittelpunkt geschaffen, um neben dem privaten Gebet des einzelnen einen Ort zu haben, wo man gemeinsam mit Liedern, Psalmen, Opfern Gott lobt, dankt, verehrt und sich ihm anvertraut. Und mit Hilfe der zehn Gebote konnte jeder sein Leben und Handeln überprüfen und immer neu ausrichten.
Der Berg der Himmelfahrt ist nach all der Aufregung über das Ende Jesu ebenfalls ein Ort der Besinnung, an den die Gläubigen oft zurückdenken sollen. Jesus erinnert die Jünger daran, dass ihm alle Macht gegeben ist. Die Jünger sollen sich bewusst sein, durch wen sie beauftragt werden, in wessen Namen sie auftreten. Aus dem Munde Jesu selbst empfangen sie den Auftrag, allen Völkern die Heilsbotschaft zu verkünden und in der Taufe mit dem Hl. Geist auszustatten, damit sie fähig werden, den Weisungen Jesu zu folgen. Die Kirche, das Reich Gottes, soll sich entwickeln über alle Völker hinweg als ein Reich, in dem nicht die Macht regiert sondern die Liebe und die Sorge umeinander und füreinander. Um dieses Ziel deutlich in den Blick zu bringen, wird im Evangelium eigens erwähnt, dass sich der Berg der Himmelfahrt Jesu in Galiläa befand. Galiläa war jenes Gebiet in Israel, das stark mit Heiden und vielerlei Religionen durchsetzt war. Ihnen soll verkündet werden, dass sie alle ohne jede Ausnahme in das Erlösungswerk Jesu und in Gottes Erbarmen eingeschlossen sind, sich aber auch beteiligen sollen, Gemeinschaften der Liebe und des gegenseitigen Wohlwollens aufzubauen.
Der Berg der Sendung
Christi Himmelfahrt, ein wichtiges Fest! Es lädt ein innezuhalten, um uns neu bewusst zu werden, dass wir in Gottes Güte, Liebe und Erbarmen fest eingeschlossen sind, dass wir aber auch unsererseits gesendet sind, am Aufbau des Reiches Gottes teilzunehmen. Die wenigsten von uns sind berufen, in ferne Länder aufzubrechen bis an die Grenzen der Erde. Aber wie in Galiläa umgeben uns Menschen vieler Nationen mit unterschiedlichen Religionen. Werden sie von unserer Liebe und Hilfsbereitschaft unter uns selbst und zu ihnen so berührt und beeindruckt, dass sie den Wert des Christentums erkennen und schätzen lernen?