Stille - Totenstille
Es ist still geworden. Jesus hat seinen Weg vollendet. Wir stehen heute unter dem Kreuz und an seinem Grab. Das ist eine radikale Anfrage an uns Christen: Was machen wir mit dieser Botschaft vom Leiden und Sterben Jesu?
Ich spüre, dass wir da vor einem doppelten Geheimnis stehen: zum Einen trifft uns der Tod Jesu. Zum Anderen stellt er uns aber auch unsere eigene Einstellung zum Sterben in Frage. Was bleibt, wenn ein Mensch so sterben muss? Wie grausam kann das Leben sein?
Angesichts des Leides und Todes von vielen, das uns in den letzten Wochen über die Medien vermittelt wurde und auch angesichts eigener Erfahrungen mit Leid und Tod in unserer engeren Umgebung kann es leicht sein, dass wir verstummen. Da weiß man nicht mehr, was man sagen soll. Der Tod erschüttert uns bis ins Innerste. Er schnürt uns die Kehle zu. Wir sind doch gewohnt zu handeln, zu reden, unser Leben zu gestalten. Solange wir nur etwas tun und bewegen können, solange hoffen wir. Wir suchen nach Auswegen und ertragen sogar Umwege, nur um wieder neue Perspektiven zu entdecken. Es ist gut und schön und gottgewollt, dass wir unser Leben und unsere Welt zum Besseren hin gestalten. Dafür lohnt sich unser Einsatz im Geiste Gottes. Aber was geschieht, wenn wirklich alles zu Ende geht. Wenn Kreativität und Schaffen nicht mehr möglich sind? Was geschieht, wenn uns alle Handlungsmöglichkeiten genommen sind und nur noch eines sicher ist, todsicher, nämlich das Ende?
Den Schmerz Gott entgegen schreien
Genau hier zeigt uns die Textstelle aus dem Brief an die Hebräer, die wir heute in der Lesung gehört haben, dass Gott uns einen Bruder gegeben hat, der auch das kennt. Jesus reiht sich nicht in die Zahl der Hohenpriester, die fremdes Blut geopfert haben. Jesus weiß nicht nur theoretisch, dass es Leid gibt. Nein! Er weiß genau wie sich Schmerz und Tod anfühlen. Er weiß nicht nur, dass es weh tut, sondern auch wo und wie sehr es weh tut. Er reiht sich in die große Zahl der Psalmenbeter des Alten Testaments ein. Jesus brachte mit lautem Schreien und unter Tränen Gebete und Bitten vor Gott. Genau so steht es im Brief an die Hebräer. Erinnern wir uns da nicht an die vielen Klagepsalmen, in denen Menschen all ihre Not hinausgerufen haben. Sie hatten keine Angst, dass Gott ihnen deshalb böse sein könnte. In unendlich vielen Bildern schildern sie Gott ihr Leid und beten es sich von der Seele. Genauso tut es Jesus und wird uns darin zum Vorbild.
Trauen wir selbst Gott zu, dass er unser Klagen und Schreien aushält? Wenden wir uns an ihn mit all dem Schmerz, der uns selbst manchmal trifft, oder klagen wir lieber über Gott, dass er dies zulassen kann?
Jesus hat sich mit lautem Schreien und unter Tränen an Gott gewendet.
Katharsis - Reinigung und Umkehr
Wenn jemand lange geweint und geklagt hat, dann tritt manchmal eine ganz tiefe Ruhe ein. Wenn diese Katharsis, diese Reinigung erfolgte und Gott alles übergeben wurde, was unlösbar, unerträglich und unverständlich ist und bleibt, dann kann der Mensch still werden. Dann kann er wieder hören lernen; hören auf die ganz leisen Worte, die in seinem Herzen aufsteigen. Wer in solchen Stunden des Leidens Gehorsam lernt, den will Gott von der Angst befreien. Wer alles Gott übergeben hat, der kann dann still werden in ihm. Jesus ist auf diesem Weg zur Vollendung gelangt. Er ist aber durch diesen Weg, den er uns vorgelebt hat, auch für uns zum Urheber des ewigen Heiles geworden.
Radikales Umdenken
Der Weg zum Vater führt über das Kreuz. Der Querbalken zeigt uns die Spannung an in der wir stehen. Wir wollen etwas tun, wir wollen handeln. Doch dazu ist es manchmal schon zu spät. Der Längsbalken weist uns den Weg nach oben. Er zeigt uns, dass Gott sich in allem finden lässt. Er ruft uns auf, in den schwersten Stunden Gott unser Leid entgegen zu schreien. Er ruft uns auf, im Leiden Gehorsam zu lernen. Keinen blinden Gehorsam! Nein, vielmehr das feste Vertrauen zu lernen, dass Gott alle Wege mitgeht! Im Leiden können wir das Wichtigste lernen: Wer loslässt, wird gehalten; wer verzeiht, dem wird verziehen; wer auf Gewalt verzichtet, erfährt Barmherzigkeit; wer sein Leben hingibt, der gewinnt es. Diese Dynamik Gottes widerspricht dem Denken des Menschen. Dazu ist diese radikale Umkehr nötig, zu der Jesus schon am Beginn seines Wirkens aufruft. Oft ist es das Leid, das uns hellhörig und gehorsam genug macht, uns auf diesen Weg Jesu einzulassen.
Jesus, du hast alleine gelitten.
Du hast Gott dein Leid entgegengerufen.
Du bist deinen Weg gegangen
und hast dein Kreuz getragen.
Geschunden und gemartert verzeihst du deinen Missetätern.
Jesus, wir danken dir,
dass du uns Bruder geworden bist im Leiden und Sterben.
Wir danken dir,
dass du uns den Weg weist,
wie auch wir zur Vollendung gelangen können.
Wir werden wahrscheinlich auch keine Antwort bekommen auf die vielen "Warums".
Sie werden offen bleiben.
Aber lass dann in unseren hörenden und gehorchenden Herzen ein Ja aufsteigen:
Ja, Vater, in deine Hände lege ich mein Leben.