Karrieresprung
"Was hätte ich für eine Karriere machen können!". Sagte die junge Frau. Ihre Augen lachten. Sie hatte ein tolles Examen hingelegt. Was sie anpackte, gelang ihr. Bei Vorgesetzen und Kollegen war sie sehr beliebt.
Aber alles, was sie erzählte, roch nach Vergangenheit. Ich wagte nicht zu fragen. Ein Karriereknick? Ich kenne viele Geschichten. Auch Geschichten von Neid, Intrige und Mobbing. Doch dann sagte sie, als hätte sie meine stille Frage gehört, nur: Ich habe ein Kind adoptiert. Es ist schwer behindert. Ihre Augen lachten noch immer. Dann meinte sie, fast beiläufig, sie habe jetzt ihr Glück gefunden. Die erfolgreichen Geschäftsabschlüsse, die Feiern danach, das unehrliche Getue - sie brauche es nicht mehr. Fast flapsig meinte sie, sie habe einen Karrieresprung gemacht.
Jesus sagt: "Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt …"
Ob die Frau diesen Satz gekannt hat? Ich weiß nicht einmal, ob sie damit einverstanden wäre, dieses Wort mit ihrem Leben zu verbinden. Aber sie hat, vielleicht auch nur unbewusst, eine Perspektive entdeckt für ihr Leben, die einem Gottesgeschenk gleich kommt. Jesu Wahrheit war immer schon inkognito. Wenn er davon spricht, dass ein Mensch seine Seele verlieren kann, geht es ihm darum, seine Seele zu gewinnen!
Schiefe Bahn
Jesu Wort ist viel menschlicher, als es die harte Auseinandersetzung, die er mit Petrus führt, vermuten lässt. Auch alles, was er zu seinem eigenen Leidensweg sagt, lässt uns nicht ratlos zurück, sondern schenkt uns einen ungetrübten Blick auf unser Leben. Was unsere Schuld angeht, aber auch unsere Hoffnung. Es gilt, eine neue Welt zu gewinnen.
Ich denke jetzt an einen Trauerbesuch. Die Geschwister hocken traurig zusammen. Ihr Bruder hat sich das Leben genommen. Jetzt muss die Beerdigung vorbereitet werden. Ein letzter Liebesdienst. Ich bin verstummt. Wo ich doch sonst um Worte nicht verlegen bin. Ich sehe die Eltern vor mir. Sie haben immer nur in Andeutungen geredet. Der Kummer nahm ihnen erst die Lebensfreude, dann immer mehr auch das Leben. Die letzte Etappe bleibt ihnen erspart. Umso hilfloser drehen sich die Gedanken jetzt im Kreis. Was war doch der Bruder für ein Mensch? Er ging bis an die Grenzen, fragte auch nicht groß, ob jeder Zweck die Mittel heiligt. Er ist in krumme Geschäfte geschliddert, er hat es nicht einmal gemerkt. Selbstbewusst, von Erfolg geradezu berauscht, zog er die Schlinge immer fester um seinen Hals. Am Ende fielen die Gläubiger über ihn her wie Hyänen über ein Kadaver. Gute Freunde hatte er noch nie, die falschen kannten ihn auf einmal nicht mehr. Als er die Welt nicht mehr für sich vereinnahmen konnte, legte er sich vor den Zug. Außer einer neuen Verspätung der Pendler blieb von seiner Geschichte nichts - nur Entsetzen und Hilflosigkeit.
Ich höre Jesus sagen: "Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele verliert?"
An einem Sarg ist kein Leben abzurechnen. Aber in dieser schrecklichen Situation, in der sich Gefühle, Worte und Gesten verheddern, kommt aus dem Evangelium eine große Kraft. Jeder wusste, was geschehen war. Viele hatten in schlaflosen Nächten die Geschichte durchgekaut. Aber sie fanden das Wort nicht, das ihnen geholfen hätte, diesem Menschen noch einmal zu begegnen. Jetzt war die Wahrheit ausgesprochen, von der Jesus einmal gesagt hat, dass sie frei macht: Unser Bruder hat in seinem kurzen Leben die ganze Welt gewinnen wollen und ist ihr doch erlegen. Gott sei seiner Seele gnädig.
Die Spuren, die er in seinem Leben hinterlassen hat, verlieren sich so schnell nicht. Ich weiß. Er hat Menschen zu Opfern gemacht. An seinem Grab haben wir ihrer vor Gott gedacht.
Gewinn und Verlust
Zwei kleine Geschichten. Ob sie mitten aus dem Leben gegriffen sind? Ich weiß es nicht. Beide sind auf ihre Weise einmalig: Eine Frau verzichtet auf eine glänzende Karriere, um ihr Leben mit einem behinderten Kind zu teilen - ein auf Erfolg programmierter Mensch gerät auf die schiefe Bahn und geht unter. Auf den ersten Blick haben sie nichts gemeinsam. Unterschiedlicher könnten die Geschichten nicht sein.
Die Sehnsucht, die ganze Welt zu gewinnen, ist uns Menschen schon früh vertraut. Manchmal sagen wir, nicht einmal nur im Scherz: Was kostet die Welt. Diese Unbefangenheit ist ein Motor unzähliger und wichtiger Entdeckungen. Jeder Mensch braucht sie. Wir wissen sogar: Wer die Welt nicht gewinnt, gewinnt sich auch nicht. Ich kenne Menschen, die daran kaputtgehen. Bei den einen ist es die 100. Bewerbung, die unbeantwortet bleibt, bei anderen die Leere, die sich nach einer Trennung einstellt. Mit Jesu Wort sollten wir es uns nicht zu einfach machen. Er hat keine Angst vor der Welt. Er liebt sie. Er liebt sie so sehr, dass er sein Leben für sie gibt.
Aber wir kennen die Angst, nicht nur die Welt zu verlieren, sondern uns selbst. Das steckt in dem alten Wort "Seele". Ich bin doch mehr als 186 cm Länge und 90 kg Lebendgewicht, mehr als die Falten im Gesicht und das Wissen im Kopf. Schlimmeres als seine Seele zu verlieren, gibt es nicht. Wer seine Seele verliert, ist tot - selbst wenn vor der Garage ein teurer Flitzer steht und eine Yacht in Ibizza ankert.
Dass es ein behindertes Kind ist, das über den wahren Reichtum befindet, stellt die Welt auf den Kopf. Denn, bis in die Bilder und Worte hinein, die sich Augen und Ohren erobern, zählt in unserer Welt nur der Erfolg. Er schafft Gewinner und verflucht die Verlierer. Er verhext Zahlen und okkupiert die Nachrichten. Er verspricht Leben, treibt es aber mit dem Tod.
Auch wer sich nicht Christ nennt, versteht Jesu Wort. Auf Anhieb: "Was hilft es denn dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, sich selbst aber verliert?"
Der Verwirrung Herr werden
Zwei Geschichten habe ich erzählt. So schön und traurig, wie das Leben manchmal ist. Die dritte Geschichte aber steht im Evangelium. Sozusagen eine Urgeschichte: eine Geschichte von dem Weg Jesu. Dass er leiden wird, bringt Petrus auf die Palme. Schließlich hat er seinen Meister und Herrn doch Christus genannt, den Sohn des lebendigen Gottes. Der kann doch nicht untergehen! In mir wehrt sich auch alles. Er soll nicht sterben, er soll die Welt verwandeln. Ich warte doch schon so lange darauf.
Was jetzt geschieht, lässt sich in Worte kaum fassen. Ist Petrus denn wirklich einer, der die Welt verwirrt? Als er so freimütig und unbefangen Jesus als Christus bekennt, ja, sein ganzes Leben auf ihn setzt, ist er für mich zum Vorbild geworden. Eben wie ein Fels, auf den ich mich stellen kann. Fest, unbeirrbar, allen Stürmen trotzend. Das Bild gefällt mir immer mehr, je länger es mir vor Augen ist. Es tut meiner Seele gut. Wo es doch so viel Zweifel, Bedenken und Widersprüche in meinem Leben gibt.
Als Jesus aber von seinem Leidensweg redet, kann Petrus ihm nicht folgen. Mir wird auch bewusst, warum: Als Sohn Gottes, als Christus, muss er Erfolg haben, die ganze Welt im Sturm gewinnen, allem Bösen ein Ende bereiten. Aber sagt Jesus nicht auch von sich: "Was nutzt es dem Menschensohn, die ganze Welt zu gewinnen, wenn er seine Seele verliert?"
So sagt Jesus: Weg von mir, Satan. Ich merke: es ist eine Versuchungsgeschichte, in der das Leben auf dem Spiel steht. Später verstehe ich wie mein Freund Petrus, dass der Tod nur durch Liebe zu überwinden ist. Dass Gott meine Welt liebt. Dass er meine Seele wie ein kostbares Geschenk in seiner Hand hält.
Ich sehe die Frau vor mir, die das behinderte Kind angenommen hat als ihr eigenes, ich gehe in Gedanken aber auch noch einmal an das Grab des Mannes, der seine Seele verloren hat. Dass Gott beide Geschichten vollendet, erbitte ich von ihm. Im Namen Jesu.
Erfolg ist kein Name Gottes. Aber seine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
der bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.