Staunen
Schaut euch doch jetzt erst einmal um! Die Kirche ist mit Gaben geschmückt, die wir zwar hier hin gebracht, die wir aber nicht gemacht haben. Blumen, Kohl und Gemüse, Kartoffeln und Korn - ich kann jetzt gar nicht alles aufzählen. Selbst die Gaben, die schön verpackt sind, sind uns zugewachsen. Sie werden bearbeitet, in eine Form gebracht, wir haben sie aber auch nur - empfangen. Ich stelle das staunend fest. Mit großen Augen.
Erntedankfest. Das Totenglöckchen ist diesem Tag schon oft geläutet worden. Schließlich leben wir, selbst auf dem Land, mit Supermärkten, Einkaufszentren - und ganz vielen Angeboten. Sie flattern uns mit der Zeitung ins Haus. Selbst Bohnen sind nicht davor gefeit, in einen Kampf gezogen zu werden. Wir regeln alles über den Preis. Das muss nicht immer gut sein - wir tun es trotzdem. Dass gesät und geerntet wird, bekommen wir kaum mit. Selbst, wenn nicht weit von uns ein Acker ist. Wir rümpfen dann nur die Nase, wenn gejaucht wird. Ansonsten: Wir zahlen an der Kasse, bar oder mit Karte. Engpässe sind in unserem Weltbild nicht vorgesehen - gehungert wird anderswo. Auch das stelle ich staunend fest. Mit großem Entsetzen.
Das ist wohl das größte Geschenk dieses Tages, auch die größte Aufgabe, die er stellt,
das Staunen wieder zu lernen - und achtsam mit den Dingen umzugehen, die selbstverständlich geworden sind. Schaut euch doch jetzt erst einmal um!
Vögel unter dem Himmel und Lilien auf dem Feld
Ich weiß, dass jetzt bei vielen ein müdes Lächeln übers Gesicht huscht. Selbst Landwirte haben ausgefeilte betriebswirtschaftliche Systeme, um ihre Produkte in den Griff zu bekommen. Ihre Produkte, ihre Produktpalette. Das Wort ist verführerisch. Letztlich entscheiden Produktmengen, Kennzahlen und Subventionen über Erfolg und Misserfolg.
Staunen ist keine Kategorie, die bewertet werden könnte.
Aber Erzeuger und Verbraucher - so heißen die Menschen wohl, die in diesem Spiel vorkommen - leben von etwas, das ihnen gegeben wird. Es gibt zwar eine Saatgutforschung, aber Saatgut wird nicht gemacht - es gibt hochtechnische Mähdrescher, aber die Ernte wird nicht gemacht. Wir säen und wir ernten - als Beschenkte. Dieser Blick ist zwar ungewöhnlich, weil für alles gezahlt wird, aber wie wollen wir denn nennen, was wir einsetzen, aber nicht in der Hand haben? Als Beschenkte, nur als Beschenkte, können wir "danke" sagen. Wer Ansprüche hat, kann allenfalls klagen. Es ist dieser kleine Blick hinter die Kulissen, der auch den Verstand schärft.
Jesus zumindest lenkt unsere Blicke auf die Vögel unter dem Himmel und auf die Lilien auf dem Feld. Jetzt heißt es, die Augen aufzumachen, genau hinzuschauen und sich verzaubern zu lassen. Widersprüche sind nicht möglich, auch nicht angezeigt. Die Vögel unter dem Himmel wie auch die Lilien auf dem Felde sind beschenkt. Sie arbeiten nicht, sie rechnen nicht, sie bilanzieren nicht. Sie kennen kein Soll, sie kennen kein Haben. Sie brauchen auch kein Budget, keine Kostenkontrolle. Die Vögel haben den Himmel für sich - und die Lilien überschütten die Erde mit Farben. Rechnungen schreiben sie auch nicht. Sie sind einfach da. Ich kann sie nicht bezahlen. Den Vögeln sehe ich nach. Sie sind schnell, zu schnell für meine Fotokunst. Aber den Lilien rücke ich mit meiner Digitalkamera auf den Leib. Wenigstens ein Bild will ich haben. Ein Bild! Ein Bild davon, was es heißt, beschenkt zu sein.
Warum erzählt Jesus eigentlich von Vögeln und Lilien? Schließlich ist es seine große Antrittsrede, die er gerade hält. Hat es nichts Programmatisches zu sagen? Was Großes, Weltbewegendes? Mit Vögeln unter dem Himmel und Lilien auf dem Feld ist doch kein Staat zu machen, oder?
Ich kann jetzt sagen: Typisch Jesus. Ich wusste immer schon, dass weltfremd ist, was aus seinem Munde kommt. Ich kann aber auch sagen: Typisch Jesus. Endlich bringt einer mal auf den Punkt, was unter uns Menschen zu sagen ist.
Beschenkt
Jesus erzählt doch von Vögeln unter dem Himmel und von den Lilien auf dem Felde, weil er uns - beschenken will. Oder: uns die Augen öffnen möchte, alles das zu sehen und wahrzunehmen, was uns geschenkt ist. Dass auch das ein gutes, großes, großartiges Geschenk ist, was uns Arbeit macht oder beschert, wissen die zu gut, die arbeitslos geworden sind und mit ihrer Situation schwer oder gar nicht fertig werden. Geschenkt ist eigentlich alles: unser Leben, unsere Beziehungen, unsere Arbeit, unsere Träume. Es gibt nichts, was selbstverständlich ist, nichts, was wir nur in unserer Hand hätten.
Während wir unsere Möglichkeiten abwägen, Pläne und Karrieren schmieden, Erreichtes und noch nicht Erreichtes bilanzieren, werden uns - heute - mit der größten Selbstverständlichkeit, Vögel und Lilien vor die Augen gemalt. Und die Worte Jesu sind ebenso einfach wie eindrücklich: Seht euch die Vögel des Himmels an! Lernt von den Lilien auf dem Feld! Es könnte sein, dass wir größere Lehrmeister nicht finden - und auch nicht brauchen.
Herr und Frau Sorge
Nun zeigt uns Jesus allerdings Vögel und Lilien nicht nur, um uns als Beschenkte zu entdecken - was ja schon viel ist -, sondern uns die Sorge zu nehmen, unser Leben selbst abzusichern. Sorgt nicht, sagt er. Sorgt euch nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.
Wenn Herr oder Frau Sorge zu uns kommen, verlieren wir den Kopf. Wetten, dass wir uns am Ende immer als Verlierer, ja, als Versager fühlen? Wir haben es nicht geschafft. Wir haben es wieder einmal mehr nicht geschafft. Hinzu kommt: Wir müssten es doch eigentlich können. Herr oder Frau Sorge bringen immer ihre Kinder mit, den Zweifel und die Angst. Wir spüren, wie es eng wird. Immer enger. Sind diese Besucher erst einmal im Haus, werden wir sie auch so schnell nicht wieder los. Sie setzen sich ungefragt hin und bleiben einfach sitzen.
Ich weiß, dass für viele Menschen die Sorgen ständige Begleiter sind. Wer nur wenig Geld zur Verfügung hat, kann schon an der Frage verzweifeln, was er seinen Kindern zum Anziehen kaufen kann. Zu schweigen davon, was sich selbst. Selbst die preiswertesten Lebensmittel werden in der Hand abgewogen. Oft wieder zurückgelegt. Es gibt Armut unter uns. Bei Kindern - und auch bei alten Menschen. Zunehmend. In einem reichen Land. Lobbys haben Arme nicht. Ob die Vögel unter dem Himmel und die Lilien auf dem Felde trösten? -
Oh Gott, sage ich.
Seine Gerechtigkeit
Jesus spricht nicht nur von Vögeln und von Lilien: er spricht von der Gerechtigkeit, er spricht von dem Reich Gottes.
Wer die Vögel unter dem Himmel sieht, wer die Pracht der Lilien bestaunt: muss der nicht auch die Not sehen? Sich ihr stellen? Die Vögel und die Lilien: sie geben kein gutes Gewissen. Sie sind eher Ansporn und - manchmal - auch ein Stachel im Fleisch: Menschen sind mehr als sie. Sagt Jesus.
In der so berühmten Bergpredigt hat Jesus seine Antrittsrede gehalten. Sie taugt nicht für romantische Verklärung. Der, der den Vögeln den Himmel und den Lilien die Farbpracht gab, hat uns Menschen alles gegeben - und anvertraut (!) -, was wir zum Leben brauchen. Genug zum Leben. Genug für das kleine, manchmal auch für das große Glück.
Schaut euch doch jetzt erst einmal um: Die Kirche ist mit Gaben geschmückt, die wir zwar hier hin gebracht, die wir aber nicht gemacht haben. Blumen, Kohl und Gemüse, Kartoffeln und Korn - ich kann jetzt gar nicht alles aufzählen. Aber seht ihr, was ich sehe? Es ist genug für alle da!
Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr das alles braucht.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.