Lesung aus dem Buch Éxodus.
In jenen Tagen
murrte die ganze Gemeinde der Israeliten
in der Wüste gegen Mose und Aaron.
Die Israeliten sagten zu ihnen:
Wären wir doch im Land Ägypten
durch die Hand des Herrn gestorben,
als wir an den Fleischtöpfen saßen
und Brot genug zu essen hatten.
Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt,
um alle, die hier versammelt sind,
an Hunger sterben zu lassen.
Da sprach der Herr zu Mose:
Ich will euch Brot vom Himmel regnen lassen.
Das Volk soll hinausgehen,
um seinen täglichen Bedarf zu sammeln.
Ich will es prüfen,
ob es nach meiner Weisung lebt oder nicht.
Ich habe das Murren der Israeliten gehört.
Sag ihnen:
In der Abenddämmerung
werdet ihr Fleisch zu essen haben,
am Morgen werdet ihr satt werden von Brot
und ihr werdet erkennen,
dass ich der Herr, euer Gott, bin.
Am Abend kamen die Wachteln
und bedeckten das Lager.
Am Morgen lag eine Schicht von Tau
rings um das Lager.
Als sich die Tauschicht gehoben hatte,
lag auf dem Wüstenboden etwas Feines, Knuspriges,
fein wie Reif, auf der Erde.
Als das die Israeliten sahen,
sagten sie zueinander: Was ist das?
Denn sie wussten nicht, was es war.
Da sagte Mose zu ihnen:
Das ist das Brot, das der Herr euch zu essen gibt.
(Lektionar 2018 ff. © 2024 staeko.net)
Im größeren Zusammenhang gesehen wird das Volk Israel von Mose und Aaron aus der Sklaverei Ägyptens herausgeführt. Im Kapitel 13 bis 15 geht die Rettung am Schilfmeer voraus, die Prophetin Miriam geht tanzend und Pauke schwingend voraus. "Singt dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch erhaben! Rosse und Wagen warf er ins Meer." Das Volk befindet sich nun in der Wüste auf dem Weg zum Sinai, wo es die Grundlagen ihres Lebens, die Zehn Gebote erhalten soll.
Der Grundbestand des Kapitels will uns erzählen, wie das Volk auf dem viele Jahre dauernden Zug durch die Wüste ernährt wurde: Gott hat sie mit dem wunderbaren Manna versorgt.
Drei Motive werden hier angesprochen, das Murren des Volkes, das Manna in der Wüste und das Wüstenmotiv als solches.
a) Das Murren des Volkes:
Das Murren ist in dieser Situation als ein revoltierender Aufschrei in Todesangst, als Klage und Anklage zu verstehen. In der Vergangenheit, "an den Fleischtöpfen Ägyptens", war das Leben gesichert. Angesichts des nahen Untergangs wird den Führern Mose und Aaron vorgeworfen, sie hätten das Volk erst in diese Situation gebracht.
Das Murren wendet sich in einer tieferen Dimension letztendlich an Jahwe selbst, weil das Volk in der Wüste nicht mehr das Handeln Gottes erkennt. Anders als von Mose, wird darin von Gott kein Tadel gesehen. Es gilt nicht als sündhafte Auflehnung oder als Ungehorsam Jahwes gegenüber. Klage und Anklage erscheinen eher als lebensnotwendig: Nur wer Not und Todesangst empfindet und sie hinausschreit, kann Rettung erfahren. Jahwe beantwortet dies, indem er Manna vom Himmel regnen lässt.
b) Das Manna in der Wüste:
Volksetymologisch kommt das Wort Manna vom hebräischen "man". Die Israeliten fragen: "Was ist das?" (hebr.: man hu) Das nähere Aussehen von Manna gleicht einem 30 – 60 cm langen Doldenblütler. Die Samen sind hellbraune Kügelchen, die frisch einen unangenehmen Geruch haben, aber getrocknet ein wohlriechendes schmackhaftes Gewürz ergeben, ähnlich dem Geschmack des Korianders. Es kommt noch heute auf der Sinaihalbinsel und bis hinein in den Iran, in Steppen- und Wüstengebieten vor. Allerdings nur in sehr kleinen Mengen, es könnte also keine größere Wandergruppe längere Zeit ernähren. Das Manna war weiß, (besser hell) ist genießbar und schmeckt süßlich.
Das Wunder besteht nun darin, dass das ganze Volk Israel 40 Jahre lang davon leben kann. Jeder darf nur so viel nehmen, wie er täglich benötigt, ansonsten verdirbt es.
Der Wachtelfang scheint dagegen nur eine einmalige Zusatzkost gewesen zu sein. Die Wachteln sind im Frühjahr als Zugvögel auf dem Weg nach Norden und benötigen nach langer Flugzeit eine mehrstündige Rast, in der sie leicht gefangen werden können. Sie werden noch heute in Ägypten, im Negeb und auf der Sinaihalbinsel gefangen und als Leckerbissen gegessen, bzw. verkauft.
Nach Joh 6,23–49 ist das Manna zwar auch "Brot vom Himmel", es ersetzt aber nur das gewöhnliche Brot und kann nicht ewiges Leben garantieren. Jesus stellt es dem neuen Himmelsbrot gegenüber, seinem eigenen Leib als eucharistische Speise, die ewiges Leben gewährt. Offb 2,17 scheint an das in der Bundeslade aufbewahrte Manna anzuspielen.
c) Das Motiv der Wüste:
Wüste, das ist ausgemergelter Boden, endloser Sand, trockener Fels, glühende Hitze am Tag, Kälte in der Nacht, Sand, der mir überall in den Gliedern hängt. Wüste bedeutet Leere, lebensfeindlicher Raum, fremd, Einsamkeit und grenzenlose Öde. Der Mensch in der Wüste ist hilflos, mit seinen Möglichkeiten am Ende, ohne Wasser, ohne Nahrung, ist er dem Tod ausgesetzt. Nirgendwo erfährt er so intensiv wie dort, Grenzen der Abhängigkeit.
Je länger wir in dieser Wüste sind, desto mehr spüren wir, wie wir uns dort selbst ausgeliefert sind. Ich kann nicht mehr davonlaufen. Mein Leben steht auf dem Spiel. Die Wüste wird für mich der Ort und die Stunde der Wahrheit. Wer bin ich? Worauf baue ich mein Leben? Auf Jahwe, oder auf mich selbst?
Und darin wird die Wüste zur Chance für mich und für uns. Selbsttäuschungen lösen sich in nichts auf. Die falschen Götter unseres Lebens werden entlarvt. Ich muss alles loslassen, Besitz, gesellschaftliches Ansehen, alles was mir wichtig ist. Ich erkenne mich selbst, komme mir selbst und dem eigenen Ich wieder nahe. An einem Ort, wo ich dem Tode nahe bin, komme ich dem Leben wieder nahe – Paradox.
Joachim Schröter (2003)
Das Volk murrt. Dieses Murren drückt einerseits Unzufriedenheit aus über die drückenden äußeren Schwierigkeiten und zeigt doch vor allem den Mangel an Glauben und Gottvertrauen. Moses muß sich sogar gegen Verdrehungen und Unwahrheiten wehren. Denn es ist kaum anzunehmen, daß die Ägypter, die zwar selbst große Fleischesser waren, ihren Arbeitssklaven "Fleischtöpfe" zur Verfügung stellten.
Das Verhalten des Volkes ist eindeutig aufmüpfig und beleidigend; aber Gott sieht über diese unhöfliche Form der Aufforderung hinweg und wirkt seine Wunderzeichen, indem er natürliche Wirklichkeiten in seinen Dienst nimmt.
Schon Herodot, Aristoteles und Plinius erwähnen Wachtelschwärme, die in Ägypten und den umliegenden Ländern häufig sind. Diese Zugvögel treten in großen Schwärmen auf und sind, wenn sie sich zur Rast niederlassen, leicht zu fangen.
Auch beim Mannawunder geht die Darstellung nicht auf natürliche Hintergründe ein. Wahrscheinlich handelt es sich um eine sirupartige Ausscheidung von Blattläusen, die auf der von den Beduinen heute noch so genannten Manna-Tamariske leben. Dieses Sekret ist anfangs durchsichtig wie Tau und verändert sich dann in der Sonne. Aber dieses Manna ist jahreszeitlich begrenzt und kommt nur in kleinen Mengen vor. Das bedeutet: wer dieses Tamariskenmanna als historischen Kern des Bibeltextes annimmt, muß die Erzählung für ziemlich übertrieben halten.
In der 1. Lesung wird uns erzählt, wie Jahwe sein Volk, das er aus der ägyptischen Unterdrückung in die Freiheit geführt hat, nicht im Stich läßt und es mit Nahrung versorgt.
Die Erzählung lebt von symbolträchtigen Momenten: Dem Gegensatz von Knechtschaft und Freiheit stehen die Gegensatzpaare Ägypten und Wüste, Wohlergehen und Hunger gegenüber. Wenn es ums Überleben geht, denken die Menschen sehr konkret "irdisch", realistisch. Die Erzählung betont das Überirdische. Die Nahrung kommt auf wunderbare Weise von oben, vom Himmel. Die Sorge Gottes umfaßt sowohl das Geistige wie auch das Leibliche. Er ist um die Freiheit seines Volkes bemüht, hat aber auch Mitgefühl für seine konkreten Nöte.
An diesem Text haben mehrere Generationen geschrieben, modifiziert und gefeilt. Die Erfahrung der Israeliten in der Wüste wurden offenbar von Menschen, die unter ganz anderen Umständen gelebt haben, nachempfunden. In dieser Erzählung haben sich viele Menschen wiedergefunden, die in der Entbehrung die Erfahrung gemacht haben, daß Gott für sie sorgt, sie führt, und daß der Weg in die Freiheit des Volkes Gottes sich trotz aller Härte lohnt.
Gastautor*in (2003)
Lopez Weißmann (2000)
Hans Hütter (1997)