Lass warm und hell die Kerzen heute flammen
In dieser Nacht ist es hell, warm, freundlich. In unserer Kirche. Es ist schön, sich umzuschauen. Mit den Augen zu wandern. Ein kleines Stück heile Welt, ein wenig vom Paradies. Wir spüren das. Wir genießen das. So manche Erfahrung, die wir auch heute mitbringen, ist eher dunkel, kalt, unbarmherzig. Der Weihnachtsfrieden ist brüchig. Wir ahnen auch die dunklen Schatten über dem noch nicht einmal begonnenen neuen Jahr.
Am 19. Dezember 1944 schrieb Dietrich Bonhoeffer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamtes in Prinz-Albrecht-Str. in Berlin seiner Verlobten, Maria von Wedemeyer, einen Brief. Ihm legte er „ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen“ als „Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister“ bei. Es ist das Gedicht, später auch das Lied: Von guten Mächten wunderbar geborgen.
Bonhoeffer bittet:
Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
Die du in unsre Dunkelheit gebracht.
Führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
So lass uns hören jenen vollen Klang
Der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
All deiner Kinder hohen Lobgesang.
Bonhoeffer hat den Tod vor Augen. Nicht einmal vier Monate später wird er aufgehängt. Im KZ Flossenbürg. Wie viele Menschen wurden ins Unheil gestürzt – wie viele Menschen haben andere ins Unheil gestürzt. Entschuldigung. Ich formuliere, als sei es vergangen. Wie viele Menschen werden ins Unheil gestürzt – wie viele Menschen stürzen andere ins Unheil. Ich sage das so. Aber ich verstehe es nicht.
Da fährt ein LKW in den Weihnachtsmarkt …
Da fliehen Menschen übers Meer …
Da liegen die Leichen auf den Straßen von Aleppo…
Bonhoeffer schreibt von dem, was ihm in den letzten Abenden einfiel. Vielleicht ist die Angabe „Abend“ auch alles andere als beiläufig. Die Zelle ist zugesperrt. Nur eine Funzel brennt. Aber Bonhoeffer sieht ein Licht, erzählt von dem Leben, traut der göttlichen Verheißung. Auch eine Erfahrung in der Nacht.
„Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,
Die du in unsre Dunkelheit gebracht.“
Die du in unsere Dunkelheit gebracht. Das ist Gegenwart - nicht vergangen, abgetan, überholt. Das ist jetzt. Unsere Dunkelheit ist ins Licht gestellt, wir sind – im Licht!
Uns ist ein Kind geboren
Jesaja sagt das auch! In der alttestamentlichen Lesung dieser Nacht hören wir ihn. Schreckliche Zeiten. Kleinlaut und mutlos lassen die Menschen die Geschichten über sich ergehen, die andere für sie machen. Aber es kündet sich Neues an! Hört!: „Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht; über denen, die im Land der Finsternis wohnen, strahlt ein Licht auf.“
Viele Menschen leben im Dunkel, sie wohnen im Land der Finsternis. Die Tag- und Nachtzonen der Welt sind subjektiv sehr unterschiedlich verteilt und leider auch festgelegt. Eine verkorkste Welt. Zerrissen, gelähmt, ausgebeutet. Doch das Licht breitet sich aus. Es strahlt sogar auf! Superlativ!
Manchmal suchen Menschen für ihre Wege die Dunkelheit. Sie wollen nicht entdeckt, nicht erkannt werden. Auch alles, was unter die Teppiche gekehrt wird, soll nicht ans Licht. Meisterschaftsspiele der besonderen Art. Jetzt aber werden alle Untaten publik, sichtbar – und Menschen können von dem reden, was sie bedrückt und klein macht. Es gibt ein Gegenüber! Es gibt einen Raum! Das Licht bringt auf einmal eine große Offenheit mit, auch über allem Dunklen den Mantel des Schweigens zu zerreißen. Bestimmt und beharrlich. Dunkelheit hat viele Gesichter, viele Schatten, viele Konturen – selbst im hellen Sonnenschein. Was Jesaja sieht, ist eine Offenbarung: Alle Gewalt, alles Böse, alle Angst – vorbei. „Jeder Stiefel, der dröhnend daherstampft, jeder Mantel, der mit Blut befleckt ist, wird verbrannt, wird ein Fraß des Feuers.“
Gott beginnt seine Geschichte mit Menschen neu
Die Erde atmet auf. Sie muss nicht mehr die Toten verstecken. Sie kann grünen und blühen – wie das Paradies. Kinder lachen. Sie haben eine Zukunft. Es gibt auch keinen Krieg mehr. Und keine Kriegsgewinner. Die Aktien der Rüstungsindustrie sind nichts mehr wert. Aber keiner vermisst – das Unheil.
Jesaja schenkt den Menschen unerwartet, auch überraschend, einen weiten Blick.
„Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns geschenkt. Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter; man nennt ihn: Wunderbarer Ratgeber, Starker Gott, Vater in Ewigkeit, Fürst des Friedens. Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende. Auf dem Thron Davids herrscht er über sein Reich; er festigt und stützt es durch Recht und Gerechtigkeit, jetzt und für alle Zeiten. Der leidenschaftliche Eifer des Herrn der Heere wird das vollbringen.“
Gott beginnt seine Geschichte mit Menschen neu. Er wird Mensch! Ein Kind. Mit „denn“ fängt der große Satz an: Denn uns ist ein Kind geboren. Ihm Ohr habe ich jetzt Händel, den „Messias“. Es muss ins Herz gesungen werden: Denn uns ist ein Kind geboren.
Was alles auf diesem Kind lastet? Kaum, dass es geboren wird. Wunderbarer Ratgeber... Starker Gott... Vater in Ewigkeit... Fürst des Friedens... Wenn es noch eine Hoffnung für Menschen geben kann, dann ein Kind. Wehrlos, schutzbedürftig, immer erst am Anfang. Keine Erfahrungen, kein Wissen, kein Besserwissen. Gott beginnt seine Geschichte mit Menschen neu. Er wird Mensch! Er wird Kind! Gott kann von vorne anfangen.
Weiß Jesaja, was er sieht, ahnt, sagt?
Friede bei den Menschen seiner Gnade
Als Josef und Maria sich auf den Weg nach Bethlehem machen, wissen sie noch nicht, was sie dort erwartet, was ihnen dort begegnet. Die Geschichte mit der Steuer ist schon für Lukas eher ein Kunstgriff als ein gesichertes Wissen. Irgendwie müssen die beiden nach Bethlehem – in die Stadt Davids. Hier verdichten sich Verheißungen und Träume. Von dem Wunderkönig, der der Welt die Gerechtigkeit wieder zurückgibt, die ihr auf unendlich langen und irrigen Wegen abhanden gekommen ist. Der Frieden schenkt. Für alle Zeiten. Unabhängig von den Mächtigen, von den Meinungsforschern, von den Hasenfüßen.
Was erzählt Lukas eigentlich?
„Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft,
und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.“
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass der Name Jesus in dieser Geschichte nicht einmal genannt wird? Es ist ein Junge, das erste Kind der Maria. In Windeln gewickelt, in eine Krippe gelegt. Ein Kind armer, einfacher Leute. Ein Kind wie jedes andere auch. Eine Geschichte, sparsam mit Worten, ohne hohen Ton. Nicht einmal fromm.
Es sind die Engel, die den Hirten sagen, was in Bethlehem wirklich geschehen ist! Jetzt gerät Lukas in Fahrt. Himmlischer Glanz über der Weide. Fernab von der nächsten menschlichen Behausung. Hier sind nur die Hirten und die Schafe. Mit beiden ist kein Staat zu machen! Weder mit den Hirten, diesem Pack – sagen viele -, noch mit den Schafen – dummes Vieh. Warum muss gerade hier der Himmel aufgehen?
„Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr.
Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt.“
Der Retter ist geboren! Seine Zeichen? Windeln und die Krippe. Mehr nicht. Allerweltszeichen. Auch nichts Himmlisches. Was Maria nicht sagen konnte, was Josef nicht zu sagen wagte, das erfahren die Hirten. Gott offenbart sich doch tatsächlich auf Umwegen, auf einer Weide. Nicht in einem Palast, einer Gelehrtenstube, einer Bibliothek. Gott kommt zu einfachen Leuten, zu armen Leuten und ist selber einfach und arm.
Aber die Engel finden die Worte, die so einfach und schön sind, dass wir sie immer wieder, eigentlich sonntäglich singen: „Verherrlicht ist Gott in der Höhe, und auf Erden ist Friede bei den Menschen seiner Gnade“.
All deiner Kinder Lobgesang
Dietrich Bonhoeffer hat in seinem – letzten – Weihnachtsgruß eine Bitte, aber auch eine Gewissheit geschenkt.
„So lass uns hören jenen vollen Klang
Der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
All deiner Kinder hohen Lobgesang.“
Ob er an die Engel gedacht hat, an das himmlische Heer? An den großen Lobgesang? Ich denke schon. Als Christen hören wir die Engel, wir sehen den Glanz des Himmels, wir betten uns darein. Wir werden umhüllt. Das hat etwas von Schutz, das hat auch etwas von Schönheit. Mit der Welt, „die unsichtbar sich um uns weitet“, ist Gottes Welt gemeint. Aus ihr kommt der volle Klang.
Ihr begegnen wir mit Lobgesang „all deiner Kinder hohen Lobgesang“. Bonhoeffer spielt hier mit den Worten „Klang“ und „Lobgesang“ und verbindet so Himmel und Erde. Das ist der Weihnachtsgeschichte abgelauscht.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
In dieser Nacht ist es hell, warm, freundlich. In unserer Kirche. Es ist schön, sich umzuschauen. Schön, sich anzuschauen. Ein kleines Stück heile Welt, ein wenig vom Paradies.
Wenden wir uns einander zu - Wünschen wir jetzt einander:
Frohe Weihnachten
Und der Friede Gottes,
der Nächte hell macht,
der gebe unserem Leben Klarheit.
In Christus Jesus,
unserem Herrn.
Amen.