Jesu Bitte um Einheit
In der Bibel sind uns zwei Gebete von Jesus überliefert: Das "Vater unser" und das Gebet Jesu im heutigen Evangelium um Kraft für alle, die ihm angehören, damit sie immer wieder die Einheit suchen und um das Eins-Sein ringen.
Eins-Sein oder Eins-Werden lässt sich nicht von außen planen und managen. Wir können die Einheit noch so sehr wollen und wünschen; wenn der andere sich verweigert, sind wir machtlos. Und umgedreht können die anderen sich in ihrer Mühe ein Bein ausreißen; wenn ich mich nicht bewege, bleibt ihre Mühe mir gegenüber erfolglos. Es ist vielleicht ganz gut, sich immer wieder einmal den krassen Gegensatz in dieser Situation vor Augen zu halten. Auf der einen Seite kann enorme Mühe um Einheit stehen. Sie ist jedoch schon dann zum Scheitern verurteilt, wenn der andere sich nicht rührt. Er muss nicht einmal einen kleinen Schritt dagegen unternehmen. An diesem Punkt wird in besonderer Weise deutlich, dass und wie sehr wir Menschen im Bereich des Miteinanders auf gegenseitig wohlwollendes Reagieren angewiesen sind. Nur wo Menschen das Miteinander suchen und anstreben, wird Eins-Sein möglich. Es muss von innen her gewollt und gesucht werden.
Leben vollzieht sich im Miteinander
Gott sei Dank gibt es in uns eine ganz natürliche Sehnsucht nach Einheit. Niemand möchte nur für sich allein leben. Diesen Zustand würden wir eher empfinden wie ein "tot sein, noch bevor wir gestorben sind". Leben vollzieht sich im Miteinander.
Neben der Sehnsucht nach Einheit spüren wir in uns gleichzeitig den Drang nach Freiheit, Individualität und Selbstständigkeit. Wir wehren uns gegen Vereinnahmung und Gleichmacherei. Dieser Drang in uns ist gut; denn er hilft uns, Persönlichkeit zu entfalten und uns vom anderen abzuheben.
Einheit und Freiheit, Miteinander und Individualität müssen sich nicht gegenseitig ausschließen oder im Wege stehen. Wenn der Wunsch nach Einheit der Freiheit und Individualität Raum lässt und anbietet, ist die Individualität geradezu von allerhöchstem Nutzen für das Gemeinsame.
Unterschiedliche sich ergänzende Begabungen
Jeder von uns hat seine besonderen Fähigkeiten. Keiner hat alles und kann alles; keiner kann nichts und hätte nichts, durch das er sich einbringen könnte. Der eine z.B. hat mehr Zeit als andere. Diese wiederum stehen vielleicht finanziell besser da. Es gibt die top Fitten und in besonderer Weise Beweglichen, die alles im Handumdrehen erledigen. Dann wieder gibt es die sehr praktisch Veranlagten, die oft aus Nichts oder Wenigem Erstaunliches auf die Beine stellen, und daneben die, die mehr in der Welt des Denkens und der Ideen zuhause sind. Ihnen liegt das theoretische Planen oder etwas austüfteln besonders.
Wir unterscheiden uns auch im Charakter. Da finden sich die bewundernswert Mutigen, Geduldigen, Einfühlsamen, die Großzügigen, Bereitwilligen, Beherzten oder womit sich sonst die einzelnen jeweils auszeichnen. Niemand ist ein Nichts. Jeder von uns ist mit einem Plus ausgestattet.
Dieses persönliche Mehr und Besondere in das Gemeinsame einbringen, darauf kommt es an. Denn auf diese Weise lassen sich vorhandene Lücken und Schwächen beheben und ausgleichen. Je umfassender und tiefer Menschen untereinander eins sind, umso weniger sind vorhandene Defizite, Schwächen, Schicksale, Leiden und Lasten ein wirkliches Problem. Wir müssen die Einheit nur wirklich suchen und von innen her anstreben, weil sie sich von außen nicht erzwingen lässt.
Gott als das Verbindende
Alle Gedanken, die wir uns bisher um Einheit und das Eins-Sein gemacht haben, könnten auch von Nicht-Christen gedacht werden. Die Sehnsucht in uns, möglichst in einem Miteinander zu leben, kann jeden Menschen anregen und bewegen, sich Überlegungen zum Wert der Einheit und des Gemeinsamen hinzugeben.
Wenn Jesus ein eigenes Gebet um das Eins-Sein der Christen an den Vater richtet, dann muss er damit ein besonderes Anliegen verfolgt haben. Er benennt es mit den Worten: "Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, sollen auch sie in uns sein". Jesus möchte also mehr als ein allgemein gängiges Miteinander der Menschen und Christen untereinander.
Das Eins-Sein der Christen, ihre Gemeinschaft, soll nach Jesu Vorstellungen einem Ehebund nahe kommen. Die sich miteinander verbindenden Christen sollen Gott als lebendigen Partner ins Bemühen um Gemeinschaft einbeziehen. Das, was Gott als das Besondere und ihn Auszeichnende in den Bund und die Gemeinschaft einbringen will, ist jene einmalige Kraft und Gnade, die nur er schenken kann. Gott als die nirgendwo sonst zu findende Kraftquelle sollen Christen nicht auslassen.
Jesus spricht sein Gebet nicht, weil er in besonderer Weise fromm ist. Der Stil seines Gebetes ist eine Art Bestürmen des Vaters. Er, Jesus, der erfahren hat, welche Kraft aus der Verbindung mit Gott fließt, indem er sie in sein Leben einbezog, möchte, dass auch die Christen sich mit Gott verbinden und am eigenen Leibe erfahren, welche Kraft und welcher Segen für sie von Gott ausgeht. Die Kraft von oben brauchen wir in unserem Bemühen um Einheit, damit wir nicht müde werden oder gar erlahmen. Wir brauchen sie umso mehr, wenn wir dem Wunsch und Willen Jesu nachkommen wollen, uns in großer Fülle, mit Tiefgang und in weitem Umfang das Eins-Sein und Miteinander zu erwerben.
Einheit als besondere Herausforderung
Jesus möchte verhindern, dass wir uns zu schnell mit einer allgemein erträglichen, aufs Ganze gesehen aber verdünnten und wässerigen Einheit zufrieden geben. Immer wieder mit Zähigkeit an der Einheit der Christen bauen, dazu will uns Jesus animieren. Wach und aufmerksam sollen wir bleiben für jede sich uns bietende Gelegenheit, das Unsere zum Wohl und Nutzen anderer einzubringen. Dabei verlangt und erwartet Jesus nicht, dass wir uns überfordern. Aber energische Anstrengungen mutet er uns zu. Für Lässigkeit und Laxheit ist ihm das Eins-Sein zu wichtig.
Lassen wir uns von Jesus neu ansprechen und herausfordern. Gehen wir ans Werk, durch unseren Beitrag das Miteinander zu fördern. Jesus und der Vater werden uns dabei helfen und begleiten. Ermöglichen wir in unserem Rahmen Gemeinsamkeit, Miteinander und Eins-Sein. Und hl. Geist möge die mit Leitung Beauftragten in den christlichen Kirchen inspirieren, dass auch auf Weltebene die Christen mehr und mehr zur Einheit und zum Eins-Sein finden.