Lesung aus dem Buch Jesaja.
Ich will singen von meinem Freund,
das Lied meines Liebsten von seinem Weinberg.
Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fruchtbaren Höhe.
Er grub ihn um und entfernte die Steine
und bepflanzte ihn mit edlen Reben.Er baute in seiner Mitte einen Turm
und hieb zudem eine Kelter in ihm aus.
Dann hoffte er, dass der Weinberg Trauben brächte,
doch er brachte nur faule Beeren.
Und nun,
Bewohner Jerusalems und Männer von Juda,
richtet zwischen mir und meinem Weinberg!
Was hätte es für meinen Weinberg noch zu tun gegeben,
das ich ihm nicht getan hätte?
Warum hoffte ich, dass er Trauben brächte?
Und er brachte nur faule Beeren!
Jetzt aber will ich euch kundtun,
was ich mit meinem Weinberg mache:
seine Hecke entfernen,
sodass er abgeweidet wird;
einreißen seine Mauer,
sodass er zertrampelt wird.
Zu Ödland will ich ihn machen.
Nicht werde er beschnitten,
nicht behackt,
sodass Dornen und Disteln hochkommen.
Und den Wolken gebiete ich, keinen Regen auf ihn fallen zu lassen.
Denn der Weinberg des Herrn der Heerscharen
ist das Haus Israel
und die Männer von Juda sind die Pflanzung seiner Lust.
Er hoffte auf Rechtsspruch –
doch siehe da: Rechtsbruch,
auf Rechtsverleih –
doch siehe da: Hilfegeschrei.
Die heutige Perikope aus dem Jesaja-Buch ist das “Weinberglied”, kunstvolle Poesie inmitten der Prophetenliteratur. Es leitet die Immanuel-Verheißung im Kap. 7 des Buches ein. In dieser Poesie besingt der Prophet das Schicksal eines Gutsbesitzers und seines Weinberges, der aber zu nichts nutze ist. So gibt der Weinbergbesitzer selbst seinen eigenen Besitz dem Verfall preis.
Im Laufe des Textes werden die Bilder klar: Der Weinbergbesitzer ist Gott selbst, der Weinberg das Haus Israel, in dessen Mitte die Pflanzungen, die Männer Israels.
Hintergrund ist der Verfall des auserwählten Volkes, dessen Untergang durch den Propheten vorhergesagt wird. Aber der Verfall ist nicht das Ende, wie das weitere Buch zeigt: Gott ist Immanuel - Gott-mit-uns, der rettet und weiterführt - aber erst nach Strafe und Bedrängnis.
Der Text Jesaja 5,1-7 wird in der Exegese als so genanntes "Weinberglied" bezeichnet. "Weinberg" ist in der alttestamentlichen und altorientalischen Literatur oftmals eine Umschreibung für "Liebhaber". Beschrieben wird in diesem Weinberglied eine Liebe, welche trotz allen Werbens keine Gegenliebe erfährt. Verschiedene Propheten bedienen sich auch dieses Bildes, um das oftmals "einseitige" Verhältnis zwischen Gott (JHWH) und den Israeliten zu beschreiben.
Stilistisch spricht zuerst ein Erzähler (= Prophet) über seinen Freund und dessen Weinberg (Verse 1 und 2). Anschließend kommt der Freund selbst zu Wort (Verse 3 bis 6) und im Vers 7 spricht wieder der Freund (= Prophet).
Vers 7 ist ein Gerichtswort, denn Israel hat die Liebe zu Gott und zum Nächsten nicht gelebt. Die Liebe Gottes scheitert hier, aber Gottes Werben um Israel, sein Werben um den Menschen, hört trotzdem nicht auf.
Die alttestamentliche Lesung dieses Sonntags ist dem Buch des Propheten Jesaja entnommen und wird das Weinberglied genannt. Dieses bildet eine geschlossene Einheit und dürfte etwas älter sein als der Textzusammenhang, in dem es nun steht.
Das Weinberglied bedient sich einer im Alten Testament beliebten Metapher: mit dem Bild des Weinbergs wird das Verhältnis zwischen Geliebten beschrieben (vgl. Hld 8, 11), der/die Geliebte ist der kostbare Besitz eines/einer Liebenden. Bei einigen Propheten und im Psalm 80 wird dieses Bild auf die Beziehung Jahwes zu seinem Volk angewandt.
In unserem Text wechselt der Sprecher vom Propheten, der von einem Freund und dessen Weinberg erzählt (Verse 1 bis 2) zum Besitzer des Weinbergs (Verse 3 bis 6) und zurück zum Propheten (Vers 7).
Der erste Abschnitt entfaltet, was der Besitzer alles für den geliebten Weinberg getan hat (Verse 1 bis 2),
der zweite die Ratlosigkeit des enttäuschten Besitzers/Liebhabers (Verse 3 bis 4);
der dritte Abschnitt listet auf, was der sich betrogen fühlende Besitzer in seiner Enttäuschung und Wut zu tun gedenkt;
der vierte Anschnitt wendet den Vergleich auf die aktuelle Situation an, das ist kurz vor dem Fall Israels im syrisch-efraimitischen Krieg im Jahre 722.
Das Lied, das so frohgestimmt begonnen hat, endet mit einem Gerichtsspruch über das Haus Israel, bzw. läßt die Hörer ein hartes Urteil über sie selbst fällen.
Martin Stewen (2020)
Bernhard Zahrl (2002)
Hans Hütter (1996)