"Ein Herz und eine Seele.“...
Der Evangelist Lukas, der neben seinem Evangelium auch die Apostelgeschichte geschrieben hat, ist darum bemüht, die Weiterentwicklung des Heilswerks zu beschreiben, das mit Jesus begonnen hat. Dabei lenkt er die Augen der Gemeindemitglieder auf das, was sich bewährt hat. Das Gelungene sollen die Gläubigen der neuen Gemeinden betrachten und selbst anstreben. In der Lesung haben wir gehört, wie sich das Leben in der Jerusalemer Urgemeinde nach der Himmelfahrt Jesu gestaltete. Zwei Charakterzüge stellt Lukas dabei in den Vordergrund: Es war eine Gemeinschaft, die zusammenhielt und füreinander eintrat; und es war eine missionarisch ausgerichtete Gemeinde.
Lukas schwärmt von der Urgemeinde. „Sie war ein Herz und eine Seele“, schreibt er. Wie sehr uns bei diesen Worten „ein Herz und eine Seele sein“ selbst das Herz in Sehnsucht aufgehen mag, so müssen wir doch genauer hinschauen, was Lukas dabei im Auge hatte und zur Nachahmung empfehlen möchte. Es wäre sicher eine Illusion, sich von der Urgemeinde das Bild zu entwerfen: Alle hätten sich nur in den Armen gelegen, niemand hätte dem anderen widersprochen, Konflikte seien erst gar nicht aufgekommen, da alle einmütig einer Meinung waren. Und Kummer und Sorgen hätte es in dieser Gemeinde nicht mehr gegeben, da in wachsamer Fürsorge und in Preisgabe des eigenen Besitzes alle Not aus der Welt geschafft wurde. Hätte die Urgemeinde so gelebt, hätte sie sich zu einem Klub der Seligen sich sonnenden, aber sonst träger Erdenbürger entwickelt, von denen weder persönliche Weiterentwicklung noch vertiefende Gestaltung des Reiches Gottes ausgegangen wäre. So bleibt die Frage: Was hat Lukas an der Urgemeinde fasziniert, was meint er mit „Sie war ein Herz und eine Seele“?
„Ein Herz und eine Seele sein“ muss nicht heißen: in einer konfliktfreien Zone leben, nicht sehr verschiedene Meinungen und Vorstellungen entwickeln, wie Anstehendes anzupacken und zu bewältigen ist.
Einheit in Vielfalt
„Ein Herz und eine Seele sein“ bedeutet im biblischen Sinn: einen gemeinsamen Geist haben, nämlich die Gesinnung Jesu; beseelt sein von seinem Wesen und Charakter. Wo dies der Fall ist, werden unterschiedliche Ideen und Vorstellungen begrüßt und gewünscht. Vielfalt ist etwas sehr Schönes und Bereicherndes. Einheit bei Vielfalt entwickelt sich und besteht darin: Interesse füreinander aufbringen, sich austauschen und gemeinsamen überlegen, wie man sich gegenseitig ergänzen und unterstützen kann und vor welchen Gefahren man sich unbedingt hüten muss. Nicht die Vielfalt zerstört Einheit, sondern Desinteresse aneinander oder das Rangeln darum, unbedingt als der Bessere zu gelten, als der Überlegene dazustehen. Wohlwollen füreinander aufbringen, auch kleine Beiträge wertschätzen, Mühe anerkennen, selbst wenn sie nicht besonders erfolgreich war, das schafft Einheit bei größter Vielfalt und Unterschiedlichkeit.
Entwicklung, Wachstum, Entfaltung wird es in einer Gemeinde sodann nur geben, wenn auch Auseinandersetzungen ihren Platz haben dürfen – da, wo sie nötig sind. Der Tod aller Lebendigkeit und Einheit in der Familie oder Gemeinde ist das Verstummen, das eher wortlose Nebeneinander-her-leben, wo jeder stumm und ohne gegenseitigen Austausch seiner Wege geht. Auseinandersetzungen müssen ja nicht giftig und gemein verlaufen. Und temperamentvoll heißt nicht automatisch: wütend, zornig und verletzend. Es wäre schade, wenn bei gegensätzlichen Meinungen jede Emotion unterdrückt würde. Denn Emotionen zeigen an, was den einzelnen bewegt, wie sehr ihm sein Anliegen am Herzen liegt. Auseinandersetzungen, die zwar emotional, aber dennoch fair ausgetragen werden, zerstören nicht, sondern fördern die Einheit, weil sie in der Regel am Ende zu Kompromissen führen, mit denen beide Seiten dann gut und zufrieden leben können.
Verantwortlicher Umgang mit Besitz
Sicher hat uns beim Hören der Lesung aufhorchen lassen, dass Lukas davon berichtet, dass „alle, die Grundstücke und Häuser besaßen, ihren Besitz verkauften“, um mit dem Erlös die Armen zu unterstützen, damit niemand Not leide. Hier gilt es zu bedenken: Die Christen der ersten Generation waren der Überzeugung, die von Jesus angekündigte Wiederkunft werde schon morgen oder übermorgen stattfinden. So sahen sie in der Aufgabe und dem Veräußern ihres Besitzes kein Problem. Als sie spürten, die Naherwartung der Wiederkunft Jesu ist ein Trugschluss, wurde dieses Verhalten eingestellt. Was aber blieb, war die grundsätzliche Bereitschaft, Armen aus der Not zu helfen. Und in Gemeinden, wo dies nicht konsequent geschah – auch das gab es -, wird in den Briefen der Apostel und selbst in der Apostelgeschichte darauf hingewiesen, dass die Sorge um die Armen, das Eintreten für Entrechtete eindeutig zum Schwerpunkt christlichen Verhaltens gehört.
Lukas, so dürfen wir seinen Bericht für uns interpretieren, kommt es wohl nicht darauf an, uns aufzufordern, das äußere Verhalten der Urgemeinde im Einzelnen nachzuahmen, sondern er möchte aufzeigen, wie die Urgemeinde sich vom Geist Jesu bestimmen ließ. Jesu Verhalten war den einzelnen ein Vorbild, nach dem jeder strebte. Dies sollen alle Gemeinden verinnerlichen und nachahmen. Die praktischen Folgerungen werden in den einzelnen Gemeinden – je nach Situation – unterschiedlich ausfallen. Das ist gut so und richtig.
Zeugnis von der Auferstehung
Wie zu Jesu Wirken die Verkündigung gehörte, so legen die Apostel kraftvoll Zeugnis von der Auferstehung ab. Mit der Auferstehung Jesu sind endgültig alle Zweifel an der Messianität Jesu aufgehoben. Sie, die Auferstehung, bildet den Ausgangspunkt des Glaubens an Christus. Sie ist die Garantie, nicht nur einer ethisch wertvollen Lehre anzuhangen, sondern auch hineingenommen zu werden in den Gnadenstrom, der vom Auferstandenen ausgeht. Seine Kraft will der Auferstandenen allen schenken, die ihren Lebensstil seinem Verhalten anzugleichen bereit sind. Sich einbringen wollen mit allem, was man hat, vor allem den Kräften des Herzens, hier nichts zurückhalten, das ist es, was Christen auszeichnet und wonach sie streben sollen.
Lassen wir uns von Lukas einladen und herausfordern, im Streben einer bewussten Nachfolge Jesu fortzufahren oder mit neuer Kraft um sie zu ringen. Behalten wir getrost unseren Besitz, aber teilen wir mit den Armen, was wir entbehren können. Und vergessen wir vor allem nicht, dass wir – selbst als ärmere Menschen – einen großen Reichtum im Herzen haben, mit dem wir aufrichten, trösten, ermutigen, beistehen und Schweres mittragen können. Dann werden auch wir unseren Beitrag leisten, ein Klima zu schaffen, das sich dem „ein Herz und eine Seele sein“ erfreulich nähert.