Scherben
Geknickt - gebrochen - aussichtslos - eingesperrt - die Tür ist ins Schloss gefallen - den Erwartungen nicht standgehalten - der Druck war einfach zu groß - zerschmettert und am Boden zerstört - nichts geht mehr - alles aus - Karfreitag für immer!
Diese oder ähnliche Gedanken gehen so manchen Menschen durch den Kopf, wenn sie plötzlich keinen Ausweg mehr sehen, sich erschlagen fühlen. Einen solchen Stillstand der Seele fühlen manchmal auch Menschen, die im Gefängnis landen.
Vorher ist alles wie auf Schienen gelaufen, wie in Trance ist die Zeit vorbeigezogen - und dann, als das Gehirn plötzlich wieder "klick" machte, fand der Mensch sich hinter Schloss und Riegel wieder. Erst jetzt arbeitet der Geist und das viel mehr als erwünscht, während der Körper wie leblos auf dem Bett liegt. Tot, schon lange vor dem Sterben. Ja, Sterben scheint fast noch ein Ausweg zu sein in dieser aussichtslosen Situation.
Nicht nur Menschen, die plötzlich im Gefängnis landen, haben solche Gedanken, auch Menschen, die vor den Scherben ihres Lebens stehen, weil scheinbar oder tatsächlich alle Lebensträume zerbrochen sind, weil das Band der Liebe gerissen ist, weil ein Mensch, der für das eigene Leben eine große Bedeutung hatte, unerwartet oder vielleicht sogar unter großen Schmerzen, verstorben ist.
Solche Gedanken plagen Menschen, die plötzlich in Lebenskrisen fallen, weil sie den Arbeitsplatz verlieren, oder weil sie von einer unheilbaren Krankheit erfahren. So düstere Gedanken zerfressen Menschen, die in eine Depression fallen oder auch Menschen, die in eine wirtschaftliche Katastrophe stürzen.
Tot mitten im Leben
All diese Menschen erleben einen qualvollen Absturz, manchmal einen Tod mitten im Leben. Neben diesem "Sterben" ist da auch noch der tatsächliche Tod. Menschen sterben, weil andere ihnen nicht das zum Leben Notwendige geben. Menschen sterben, weil andere es absichtlich herbeiführen durch Terror, Krieg und Mord. Menschen sterben, weil sie für machtpolitische Ziele geopfert werden, manchmal erst nach grausamer Folter.
Menschen sterben, weil sie auf der Suche nach dem vermeintlichen Glück zuviel nehmen von dem, was ihnen ein Leben wie im Traum verspricht und dafür im Alptraum der Abhängigkeit des Konsums und der Sucht enden. Und dann gibt es noch einige, die den absoluten "Kick" im Leben suchen und dieses Abenteuer mit dem Leben bezahlen.
Karfreitag erinnert uns alle an das Sterben und an den Tod, an das schreckliche Ende Jesu am Kreuz. Und doch ist dieses Sterben nicht vergleichbar mit dem Tod jener Menschen, von denen ich gerade gesprochen habe. Nicht nur, weil kein Sterben mit dem eines anderen vergleichbar wäre, mangelt es hier an Parallelen, sondern weil das Sterben Jesu einen anderen Zugang zum Tod eröffnet.
Ein Gott, der ganz bei uns Menschen sein will
Jesus hat den Tod auf sich genommen, weil er sich radikal auf die Seite der Armen, der Schwachen, der Wehrlosen und der Habenichtse gestellt hat. Er hat es gewagt, sich für das Leben einzusetzen, auch wenn er sich gegen die Mächtigen der organisierten Religion und der Politik stellen musste. Sein Sterben war ein Akt der Solidarität und des Mitgehens mit den Menschen bis in die dunkelsten Stunden des menschlichen Daseins. Mit diesem Sterben Jesu hat Gott uns gezeigt, dass ihm unser Leben und unsere menschlichen Schicksalsschläge nicht fern sind. Gott ist wie in keiner anderen Religion wie der christlichen, deutlich erkennbar ein Gott, der ganz bei uns Menschen sein will, gerade auch in den schweren Stunden unseres irdischen Daseins. Gott hat sich in die Tiefen unseres Menschseins hineinbegeben, um uns damit zu zeigen, dass wir selbst in den schwersten Stunden nicht völlig allein und verlassen sind. Gott hat sich gezeigt, nicht als Triumphator, nicht als mächtiger Herrscher, sondern als Kamerad und Leidensgenosse gerade jener Menschen, die sich in Lebenskrisen und dem Tode nahen Umbrüchen festgerannt haben.
Wir selbst sind das Grab
Die Karfreitagspassion aus dem Johannesevangelium endet mit der Grablegung, so wie auch die Kreuzwegstationen mit derselben enden. Tomáš Halík, ein großer zeitgenössischer tschechischer Priester, Religionsphilosoph und Soziologe hat gesagt, dass wir selbst das Grab sind. In uns soll die Auferstehung stattfinden.
"Dass das zentrale Symbol des Christentums das Kreuz ist und nicht eine Versinnbildlichung der Auferstehung, ist wohl nicht bloß dadurch gegeben, dass das Auferstehungsereignis und der auferstandene Jesus für eine bildliche Darstellung ein schwierigeres Thema wäre. Auch die Kreuze an den Wänden der Gotteshäuser und in unseren Wohnungen fordern uns auf: Jetzt geh und erzähle mit deinem Leben die Geschichte zu Ende! Die letzte Station des Kreuzweges ist das Bild der Grablegung, aber dieser kontemplative Weg soll in unserem weiteren Lebensweg fortgesetzt werden. Uns ist gesagt: Jetzt wurdest du zum "Zeugen der Auferstehung" auserwählt - du bist es, der bezeugen soll, auf welche Art und Weise Jesus in dieser Welt und in dieser Zeit lebendig ist!" (Tomáš Halík, Geduld mit Gott. Die Geschichte von Zachäus heute. Herder, Freiburg Basel Wien, 62013, Seite 171.)
Die Auferstehung hebt das Leid und den Tod in unserer irdischen Welt nicht auf, aber sie fordert uns auf, mit unserem Leben zu bezeugen, wie Gott in dieser Welt als ein lebendig machender Gott spürbar und erlebbar werden kann; sie fordert uns heraus, diese Botschaft vom Leben spendenden Gott zu den Menschen zu tragen.
Autor: Samy Schrittwieser, Referent für das Ständige Diakonat und Gefangenenseelsorger, Linz.