Tief ist der Brunnen der Vergangenheit
Wir sollen heute tatsächlich eine Brunnentour machen! Wie viele Brunnen sind es wohl? Was meinen Sie? - An einem Brunnen spielt die Geschichte. Jakobsbrunnen. Der spendet seit urerdenklichen Zeiten frisches Wasser. Aus der Tiefe. Menschen kommen von weit her, um hier ihr Wasser zu schöpfen. Der zweite Brunnen - das ist die Frau, die Frau mit Vergangenheit. Aus ihr sprudelt die Sehnsucht heraus, aus der Quelle des Lebens zu schöpfen. Und der dritte Brunnen - das ist Jesus. Er verspricht lebendiges Wasser - und meint die unerschöpfliche Liebe Gottes. Also: Drei Brunnen. Jeder lädt ein, bei ihm zu verweilen.
Der erste Brunnen
Bleiben wir beim ersten Brunnen einmal stehen. Seit wann es diesen Jakobs-Brunnen gibt, weiß kein Mensch mehr zu sagen. Aber er ist sagenumwoben. Der Erzvater Jakob, Sohn Abrahams, soll hier schon sein Wasser geschöpft haben. Aber Jakob ist nicht irgendjemand. Mit seinem Namen verknüpft sich in besonderer Weise die Treue Gottes, die er seinem Volk geschworen hat. Jakob hat, wie eine alte Geschichte erzählt, sogar mit Gott gekämpft, sich dabei die Hüfte ausgerenkt - und den Ehrennamen "Israel" bekommen. Wer nach so langer Zeit immer noch und immer wieder zu diesem Brunnen kommt, steht nicht nur an einem Wasserloch - es ist, als Jakob hier höchstpersönlich steht und hilft, Wasser zu schöpfen. Wasser steht für Leben, für Überleben. Köstlich ist das Nass auf der Haut, es perlt auf der Zunge, es stillt den Durst. Aus trockener Erde sprießen die Pflanzen, die Blüten falten sich auf, sattes Grün legt sich über die Fluren. Wasser verspricht Zukunft, Wohlergehen, Wachstum und Gedeihen.
Heute kommt auch eine Frau an den Jakobsbrunnen. Ihren Namen weiß ich nicht. Nur: es ist eine Frau aus Samarien. Ihr gesellt sich Jesus zu. Was ihn wohl nach hier verschlagen hat? Normalerweise kommt kein Jude nach Samarien - alte, ganz alte Feindschaft. Ich könnte Ihnen etwas vom Pferd erzählen, aber seit wann es diese Feindschaft gibt, weiß kein Mensch mehr zu sagen. Nur, dass es immer schon so war.
Aber am Jakobsbrunnen begegnen sich heute zwei Menschen: die fremde Frau und Jesus. "Gib mir zu trinken", bittet Jesus. Es entspinnt sich ein Gespräch zwischen den beiden. Es fängt mit einem Krug an - und endet in einer Liebesgeschichte. Nur anders als die Liebesgeschichten sonst, von der so viele an einem Brunnen beginnen. "Gib mir zu trinken". Unversehens: wir sind jetzt beim zweiten Brunnen angekommen.
Der zweite Brunnen
Der zweite Brunnen ist in keiner Karte verzeichnet, er ist nicht mit Steinen umrandet, an ihm wird sich kein Mensch setzen können. Aber: er sprudelt. Er ist ganz tief. Die Frau, die fremde Frau - ist ein Brunnen.
Im Gespräch, das sich so locker ergibt, kommt heraus, dass sie Männergeschichten hat, Affären - oder Liebhaber? Jesus scheint in ihrem Herzen lesen zu können. Er sieht ihr Gesicht, er sieht in ihr Leben. Weil so vieles offen bleibt, haben Moralisten diese Geschichte immer schon ausgemalt - Jesus beteiligt sich nicht daran. Wenn schon Brunnen tief sind - wie tief sind Menschen? Was tragen sie mit sich herum, was können sie nicht erklären, wonach sehnen sie sich? Es geht doch nicht nur um - Männer- (oder Frauen-)geschichten...
Am Jakobsbrunnen sehen wir Jesus als Seelsorger. Nicht als Richter. Auch nicht als Ankläger. Ob die Frau den Mut hat, ihr Herz bei ihm auszuschütten? Ihm zu erzählen, was in ihrem Leben gelungen ist, was gründlich daneben ging, was sie noch für sich zu erhoffen wagt? An einem Brunnen, der selber eine Geschichte hat, löst sich eine Zunge. Was tief verborgen ist, darf in Worten sprudeln. Jesus fängt auf, was die Frau abgibt. Auf den ersten Blick sprechen die beiden in Rätseln - dann spüren wir, wie zugewandt und liebevoll Jesus die Frau anspricht. So erleben wir - in uns - den Wunsch dieser fremden Frau, von dem Wasser zu trinken, dass Jesus ihr schöpfen will. Die Bilder überschlagen sich fast: es geht nicht mehr um das Wasser, das in einem Krug von unten nach oben gezogen wird, das über Haut und Haar glitzert, das alles Trockene lebendig macht - Wasser steht für das Geschenk eines neuen Lebens.
Ich denke daran, was in dem Wort "Durst" alles angedeutet - und auch ausgesprochen wird: Der Durst nach Leben ... das Gefühl, zu wenig von dem Glück abzubekommen, das andere angeblich haben ... die Sehnsucht, geliebt und angenommen zu sein ... die Enttäuschung, etwas vermasselt zu haben - was versteckt sich nicht alles in den Männergeschichten, die diese Frau erzählen kann? Es sind viele Liebesgeschichten in der Welt. Geschichten von verschmähter, enttäuschter, gekaufter, zerbrochener Liebe. Den Durst nach Leben kenne ich...
Wir hören Jesus sagen: "Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt."
So kommen wir zu dem dritten Brunnen. Jesus.
Der dritte Brunnen
Im Gespräch zwischen Jesus und der Frau geht es hin und her, auch hoch her. Viele Einzelheiten huschen an meinem Ohr vorbei, ohne dass ich sie zu würdigen oder auch nur zu verstehen weiß. Vieles interessiert mich auch nicht. Alte Geschichten eben.
Aber hellhörig werde ich, wenn Jesus nicht nur von einem lebendiger Wasser zu erzählen weiß, sondern sich - selbst - als Wasser ins Gespräch bringt. Er gibt nicht nur das Wasser - er ist das Wasser des Lebens. Ein Brunnen, fürwahr! Das ist ein schönes, treffendes Bild. In ihm, bei ihm finden wir das Leben.
Schuldige werden frei gesprochen - und werden neu anfangen.
Bekümmerte können frei reden - und werden neu anfangen.
Verdammte sind frei geworden - und werden neu anfangen.
Dieser Brunnen ist tief. Schöpfen wir in ihm, tauchen wir in Gott ein. Der Brunnen steht für seine unergründliche Liebe, für seine Treue, die den vielen Rinnsalen des Lebens neues, lebendiges Wasser hinzutut. Dieser Brunnen versiegt nicht, er kann nicht einmal vergiftet werden - er stand schon im Paradies, im Himmel werden wir ihn auch finden.
In einem Lied heißt es:
Danket dem Herren, Schöpfer aller Dinge;
der Brunn des Lebens tut aus ihm entspringen
gar hoch vom Himmel her aus seinem Herzen.
Lobet den Herren!
O Jesu Christe, Sohn des Allerhöchsten,
gib du die Gnade allen frommen Christen,
dass sie dein' Namen ewig preisen, Amen.
Lobet den Herren!
Diese Brunnengeschichten - aus dem Evangelium - sind Liebensgeschichten.
Ich höre sie für mein Leben gern. Ich bin angenommen. Ich bin geliebt.
ER ist wirklich der Retter der Welt! Jetzt können Hoffnungen wieder aufblühen!
Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Jesus Christus,
unserem Herrn.