Soziale Gerechtigkeit?
Wenn es in politischen Diskussionen um das Thema »Soziale Gerechtigkeit«, dann es kann schnell sehr hitzig werden. Wenn wir gerade heute Situationen von Ländern und Gesellschaften anschauen, dann gilt meistens doch unser erster Blick den sozialen und bald auch den wirtschaftlichen Gegebenheiten. Werden alle gerecht entlohnt? Wie ist die Rolle der Frau in der Arbeitswelt? Und vieles mehr. Und diese soziale Sensibilität ist in unserer heutigen »globalisierten« Gesellschaft, in der so viel Ungerechtigkeit durch hochkomplexe weltweite Zusammenhänge zustande kommt, von großer Notwendigkeit.
Als vor wenigen Tagen die Firma Apple ihr neustes Handy auf den Markt gebracht hat, waren sofort die europäischen Fernsehkanäle voll von Berichten über die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter in den asiatischen Zuliefererfirmen. Spitze aller Enthüllungen dabei: Die Firma Apple kündigte einer Zulieferfirma die Lieferverträge, weil diese die Situation der Angestellten verbessert hat und daraufhin ihre Produkte teurer wurden.
In der Kirche werden wir durch Aktionen wie »Fastenopfer« regelmässig darauf aufmerksam gemacht, wie sehr wir hier in unseren Landen durch den Kauf global hergestellter Produkte in soziale Ungerechtigkeit in aller Welt verwickelt sind.
Auch in nächster Nähe wird für soziale Gerechtigkeit in den unterschiedlichsten Lebensbereichen gestritten. Es geht dabei nicht nur um gerechte Löhne, sondern genauso oft auch um lebensfreundliche Arbeitssituationen und vieles mehr.
Das Himmelreich unter Feudalherrschaft?
Nichts von all dem gilt im Himmelreich, das im heutigen Evangelium mit einem Weinberg verglichen wird. Anscheinend hemmungslos beutet der Besitzer des Weinbergs die Tagelöhner aus, die an den Straßenecken sitzen und darauf warten, dass jemand kommt, der Arbeit für sie hat. Kein Tarifvertrag und Ähnliches schützt sie. Der Grundbesitzer muss sie nicht nach Leistung, sondern kann sie nach seiner eigenen Vorstellung bezahlen: "Mein Freund, dir geschieht kein Unrecht. Hast du nicht einen Denar mit mir vereinbart?” - Was hätten denn die Tagelöhner anderes machen sollen, als die Situation hinzunehmen? Kein Job und gar kein Lohn wären die Alternative gewesen. Und dann auch noch der Nachsatz: "Darf ich mit dem, was mir gehört, nicht tun, was ich will?” Das Himmelreich, das ‘Reich der Gerechtigkeit und des Friedens’(Jes 32), wie es der Prophet Jesaja nennt, soll nach Aussage des Evangelisten Matthäus vor Ungerechtigkeit nur so strotzen? Wir stehen vor einer Herausforderung.
"Habt Vertrauen”
Nun ist dieses Evangelium keine Erklärung zum Thema »Soziale Marktwirtschaft«, die man zu antiken Zeiten auch nicht kannte. Jesus wollte die Menschen auch nicht darüber belehren, dass es im Himmel vielleicht doch keine Gerechtigkeit gibt.
Jesu Botschaft an die Menschen: Gott lässt sich von euch nicht einfordern. Einen Anspruch des Menschen an Gott, was dieser den Menschen zu geben hat, gibt es nicht. Gott handelt an den Menschen aus Gnade und Barmherzigkeit. Und Jesus lädt mit dieser Rede dazu ein, blind darauf zu vertrauen und fest daran zu glauben, dass im Reich Gottes wirklich niemand zu kurz kommt - auch wenn dort eben soziale Marktwirtschaft nicht gilt. Keiner wird dort der Letzte sein oder wie ein solcher behandelt - folglich kann auch niemand auf Privilegien setzen. Voraussetzung ist ein absolutes Vertrauen in diesen Gott, dass es in unserem Leben schon gut kommt.
Die schwerste Übung des Lebens
Ein Vertrauen, das in menschlichen Zusammenhängen halt immer wieder schwer enttäuscht wird, wenn wir persönlich im Kleinen oder in größeren Zusammenhängen erleben müssen, dass Menschen sich gegenseitig übervorteilen und ausnutzen. Beispiele habe ich anfangs genannt, weitere Beispiele aus der täglichen Erfahrung kann wohl jeder und jede bieten.
Das Evangelium dieses Sonntags lädt uns nun ein, diese Art des Himmelreiches mitten in der Welt schon anbrechen zu lassen: Wir sind aufgerufen, Lebensumstände und Situationen zu schaffen, die Vertrauen wachsen lassen, dass es für alle schon gut kommt. Ein Vertrauen darin, dass es für uns nicht um jeden Preis notwendig ist, stets unbedingt den eigenen Vorteil zu sichern. Weil dieser Gott das in der Gestalt seines Sohnes vorgemacht hat.
Eine riesige Herausforderung. Denn klar ist: Wer Anderen Möglichkeiten im Leben zugesteht, verzichtet unter Umständen auf eigene Chancen. - Die Bezahlung für bessere Lebensumstände der anfangs genannten asiatischen Arbeiter hätte den Gewinn der Firma Apple gemindert. Andere Beispiele lassen sich finden. Diesen Verzicht muss man wollen. Und wer das will, schwimmt gegen den Strom. Üblich ist das also nicht. Mir kommt das Bild von einer Wippschaukel vor Augen: Es müssen an beiden Enden die Schaukelnden bereit sein, von der Erde loszulassen - sonst kommt die Wippe nicht ins Gleichgewicht.
Einer muss anfangen
Überall, wo das Vertrauen in Solidarität wächst und die Angst, auf der Strecke zu bleiben, schwindet, dort wird umgesetzt, was der Apostel Paulus von seiner Gemeinde fordert: "Lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht." Das aber wird nicht in einem Großkonzern wie Apple beginnen, das wird auch kaum durch eine staatliche Ordnung vorgegeben werden können. Das kann nur geschehen, wo einzelne Menschen sich in ihren Kreisen dazu entschließen, Frohbotschaft vorzuleben. Oder - um im Gedankengang des Paulus zu bleiben: Das christliche Zeugnis von einer solidarischen Welt muss dort anfangen, "wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind"