Gebote, hilfreiche Leitlinien
Wenn wir die heutige Lesung aus dem Galaterbrief auf uns wirken lassen, spüren wir, dass Paulus um etwas ringt. Es geht ihm nicht nur um Information und Unterweisung; nein, er möchte aufhorchen lassen, mobilisieren, in Bewegung setzen. Sein Thema heißt: Die richtige Einstellung zum Glauben.
Die Juden hatten in den Zehn Geboten wunderbare Richtlinien, wie menschliches Leben im Miteinander und in Verbindung mit Gott gelingen kann. Im Laufe der Geschichte kamen Zusätze hinzu, die für bestimmte Situationen noch einmal nähere Anweisungen gaben. Diese zusätzlichen Gebote, die manchmal bis ins Kleinste gingen, sollten helfen, die Zehn Gebote in rechter Weise auszulegen und zu handhaben.
Geschäfte mit Gott?
Und dann geschah etwas, das allen Religionen zum Verhängnis werden kann. In das ursprüngliche Bemühen, die Gebote in Dankbarkeit gegenüber Gott einzuhalten, schlich sich der Lohngedanke ein: Wir sind brav und gebote-treu, dafür werden wir von Gott belohnt. Sicher spielte die menschliche Erfahrung dabei eine große Rolle. In den allermeisten Fällen erfahren wir ja, dass auf unsere Liebe und unsere Herzlichkeit die anderen ihrerseits mit Wohlwollen und Gutsein reagieren. Dieses menschliche Verhalten wurde auf Gott übertragen mit der Vorstellung: Je genauer ich die Gebote beachte und einhalte, umso mehr liebt mich Gott. Das Bewusstsein, dass wir Menschen auch dann in der Liebe Gottes verbleiben, wenn wir versagen, schwand mehr und mehr. Das Gutsein aus Freude und Dankbarkeit gegenüber Gott wurde zum Handel mit Gott verbogen. Damit verschwanden aber der eigentliche Sinn und das ursprüngliche Anliegen der Gebote. Gutsein wurde jetzt nicht mehr in erster Linie aus der beglückten, dankbaren Freude über Gottes Liebe angestrebt, sondern diente als eine Art Handelsware im Tauschgeschäft mit Gott.
Und ein Zweites ging verloren: Der Stolz, als Ebenbild Gottes mit einer gewissen Selbstverständlichkeit großzügig wie dieser und ohne Vorbedingungen Liebe, Hilfe, Güte, Erbarmen auszustreuen, einfach so zum Wohl und Glück der Menschen. Hinter diesem veränderten Verhalten steckte sicher keine Boshaftigkeit, sondern es entsprang mehr einem zu wenig durchdachten Handeln: ein aus dem menschlichen Bereich übernommenes Verhalten wurde ohne gründliches Überlegen auf die Beziehung zu Gott übertragen.
Herzenshärte
Dies hatte natürlich Folgen. Wenn äußere religiöse Leistungen das eigentliche und höchste Ziel des Glaubens werden und das Bewusstsein schwindet, ich möchte mich in die Liebe Gottes einklinken, um mit ihm das Glück unter die Menschen zu bringen, kommt das auf, was immer wieder zu beobachten ist: Der Gesetzestreue hält zwar Gebote und Vorschriften ein, aber sein Herz wird hart und unduldsam. Dies zeigte sich z.B. darin: Im Vergleich mit anderen hielt man sich für besser als andere und damit mehr von Gott geliebt. Man traute sich zu, sogenannten Sündern das Betreten des Tempels zu verbieten. Man schloss sie auch sonst aus, mied das Gespräch und die Gemeinschaft mit ihnen, behandelte sie wie Abschaum und hatte keine Gewissensbisse, sie als solche abzustempeln, die nicht mehr in der Liebe und Barmherzigkeit Gottes stehen würden. Paulus, als junger Mann selbst ein eifernder Jude, kannte diese Haltung aus der eigenen Praxis. Mit seiner Bekehrung und im Nachdenken über Jesus begriff er: Das ist nicht der richtige Weg. Hier ist etwas in eine Schieflage geraten.
In der Betrachtung der Person Jesu erkennt Paulus: Jesus war kein Eiferer wie er, aber auch keiner, der die Gebote missachtete. Jesus nahm und lebte die Gebote in ihrer ursprünglichen Bedeutung: als Erinnerungszeichen an die Liebe und Barmherzigkeit Gottes gegenüber allen Menschen und als Aufforderung, selbst ein Liebender zu sein gegenüber jedem. Als Spiegelbild der Liebe Gottes wandte sich Jesus mit voller Hingabe jedem zu, der ihm begegnete: den Frommen wie den Sündern, Gesunden und Kranken, den Zöllnern und Kriminellen, den Samaritern wie den Heiden, den Dankbaren wie den Undankbaren, seinen Anhänger wie den Gegnern. Jesus verurteilte die beim Ehebruch Ertappte nicht, nahm nie in irgendeiner Form Rache, lies niemanden ins offene Messer laufen oder sich blamieren. Er hatte Geduld mit den Zaudernden und baute Brücken für die, die für ihren Glauben an ihn Hilfe und Unterstützung brauchten.
Im Verhalten Jesu und vor allem auch durch seine Botschaft vom Wesen Gottes wird Paulus bei seiner Betrachtung klar: Noch bevor ein Mensch überhaupt bewusst etwas Gutes tun kann, steht er bereits voll in der Liebe Gottes. Und Gott nimmt seine Liebe nicht zurück, mindert sie auch nicht ab, was immer ein Mensch tut oder getan hat. In dieser Haltung Gottes liegt das Heil für den Menschen. Es ist ganz und gar ein Geschenk Gottes.
Christus lebt in mir
Der Apostel weiß, dass man ihm mit dieser Sicht vorwirft, er verführe die Menschen zu Laxheit und Untätigkeit im Bereich des Guten und der Liebe. Das sieht Paulus ganz anders. Für ihn ist klar: Wie Jesus die Liebe Gottes, mit dem er in vollem Einklang stand, bewegt und geleitet hat, die Liebe total zu leben, so wird jeder, der Gottes Güte, Liebe, Barmherzigkeit verinnerlicht, intensiv danach streben, die Liebe zu leben – ebenfalls mit Hingabe und Kraft. Dabei werden ihm die Gebote hilfreich zur Seite stehen. Sie geben praktische Anleitungen in den vielfältigen Situationen, was zu tun und worauf zu achten ist.
Paulus ist davon ergriffen und überzeugt: Wer von der Liebe Gottes, der Heil und Glück für alle Menschen will, fasziniert ist, der wird sich in die Liebe einklinken, um mit Gott zusammen Glück und Segen unter die Menschen zu bringen. Paulus drückt dies, im Blick auf sich selbst, mit dem Bild aus: Christus lebt in mir. Damit will er verdeutlichen und sagen: Ich versuche mich mit aller Kraft der Liebe hinzugeben, wie Jesus es tat. Es ist meine jubelnde Freude über die Liebe Gottes, die mich dazu bewegt. Ich glaube daran, dass ich in Gottes Güte stehe, so wie ich bin. Nicht weil ich mit Gott ins Geschäft kommen will, mühe ich mich um das Gute und die Liebe, sondern weil ich den Auftrag Jesus, sein Zeuge zu sein, aus der erfahrenen Liebe mit frohem, beglückten Herzen annehmen kann. Ich werde vom inneren Glück über Gott dazu bewegt und gedrängt.
Paulus möchte den Gläubigen zeigen: Sich durch GesetzesTreue das Heil erwerben zu wollen, ist eine Fehlentscheidung, unterliegt falschen Gottesvorstellungen. Unser Heil ist und bleibt ein reines Geschenk Gottes, der sich nie und nimmer von Menschen abwendet. Wer dies erkennt und verinnerlicht, welches Ausmaß an Liebe und Güte Gott damit den Menschen entgegenbringt, der wird keinen Augenblick zögern, in beglückender Dankbarkeit sich selbst in die Liebe einzuklinken.
Lassen wir uns von Paulus motivieren und bewegen, diesen Weg der Liebe und Beachtung der Gebote einzuschlagen.
Martin Schachinger (1998)
Martin Stewen (2001)