Mahnzeichen
Wenn ich über Landstraßen fahre, fallen mir die kleinen am Straßenrand stehenden Kreuze auf. Diese meist unscheinbaren Kreuze erinnern an einen schrecklichen Verkehrsumfall mit Todesfolge und mahnen uns, unsere Geschwindigkeit und den Fahrstil den gegebenen Straßen- und Witterungsverhältnissen anzupassen. Diese Kreuze sind nicht nur Mahnzeichen, sondern auch Fragezeichen. Sie konfrontieren uns mit dem Tod. In Bruchteilen von Sekunden kann sich alles ändern und eine Katastrophe über einen hereinbrechen. Wie schnell und brutal dem Leben ein Ende gesetzt ist und wie nahe Leben und Tod einander sein können, davon legen diese Kreuze Zeugnis ab.
Fragezeichen
Ist mit dem Tod wirklich alles aus? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Bleibt der Tod endgültiger Sieger über das Leben? Bestimmt wurden die meisten von uns schon einmal mit solch existentiellen Fragen konfrontiert. Haben wir uns bemüht, sie zu beantworten oder haben wir sie, weil sie ängstigen und unsicher machen, wieder verdrängt?
Der Naturforscher und Entdecker Alexander von Humboldt soll einmal gesagt haben: "Es ist mir, als kennte man nicht das ganze Leben, wenn man nicht den Tod in den Kreis einschließt." Die Verdrängung von Fragen, die um den Tod und um das, was danach kommt, kreisen, bringt uns nicht weiter; diese Fragen tauchen auf, weil sie beantwortet werden möchten.
Hoffnungsworte
Im heutigen Evangelium geht es genau um diese Thematik. Zwar kommt das Wort Tod nicht explizit vor, aber es ist trotzdem ungemein präsent, weil der Fokus auf das Leben nach dem Tod gerichtet ist. Jesus weiß, sein Leben neigt sich dem Ende zu. Er möchte die verbleibende Zeit dazu nutzen, um von seinen Jüngern Abschied zu nehmen. Dabei ist Jesus wichtig, ihnen mitzuteilen, dass sie nach seinem Tod nicht in Verwirrung zu fallen brauchen, als sei mit ihm auch all ihre Hoffnung gestorben. Sie sollen das tun, was sie schon lange praktiziert haben, nämlich an Gott und an ihn glauben.
Damit das Glauben in den schweren Stunden leichter fällt, senkt Jesus ein Samenkorn Hoffnung in ihre Herzen ein. Er wird sie verlassen, um bei seinem Vater einen Platz für sie zu bereiten. Damit hat Jesus auch indirekt gesagt, der Tod ist nicht Sieger über das Leben, mit ihm ist nicht alles aus. Der Tod ist vielmehr wie eine Brücke zwischen dem irdischen und dem himmlischen Leben. Nach dem Überschreiten dieser Brücke werden sie Jesus wiedersehen, sie werden wieder mit ihm vereint sein. Was Jesus seinen Getreuen anvertraut, sind keine leeren Worthülsen, sondern fundamentale Aussagen, die eine Wirklichkeit beschreiben, die wir zwar jetzt nicht zu fassen vermögen, wohl aber im Glauben annehmen können.
Schließlich wirft Thomas noch die Frage nach dem einzuschlagenden Weg auf, wie sollen wir den Weg ins himmlische Leben gehen, wenn wir ihn nicht kennen? Die Antwort Jesu lautet: "Ich bin der Weg; niemand kommt zum Vater außer durch mich!" Den Weg ins ewige Leben einzuschlagen und ihn zu gehen, bedeutet, an Jesus nicht irre zu werden und ihn zu glauben.
Glaubenszeichen
Da der Tod zum Leben gehört und für uns Christen nicht das endgültige Aus bedeutet, sondern vielmehr der Anfang neuen, ewigen Lebens ist, brauchen wir ihn auch nicht zu verdrängen. Durch Jesus hat der Tod seinen gefährlichen und bedrohlichen Stachel verloren. Diese Tatsache kann uns helfen, wie Humboldt sagt, unser Leben vom Tod her zu verstehen. Die gedankliche Beschäftigung mit dem Tod trägt dazu bei, sich selbst und die Dinge, die einen beschäftigen, in einer angemessenen Relation zueinander und zum Gesamten zu sehen. Dadurch relativiert sich Einiges: Unwichtiges wird wieder, was es sein soll, Unwichtig und Gewichtiges bekommt wieder Gewicht. Das befreit und tut gut.
Die kleinen Kreuze am Straßenrand sind nicht nur Mahn- und Fragezeichen. Sie sind vor allem Glaubenszeichen; denn mit dem Tod, mag er noch so schrecklich und unbegreiflich sein, ist nicht alles aus.