Heute haben wir eine erschreckende Perikope gehört: Jesus sendet seine Jünger aus aber verbietet ihnen so ziemlich alles, was man normalerweise auf einer Wanderung braucht: Sie sollen kein Geld, kein Brot, nicht einmal eine leere Tasche mitnehmen, keinen Rock zur Sicherung für die kühle Nacht.
Natürlich wäre über die Hintergründe dieser Art der Aussendung einiges zu sagen, aber lassen wir das beiseite und sehen wir nur auf einen Umstand, nämlich, dass die Jünger zwar auf alle materiellen Mittel verzichten müssen, auf eines aber nicht: Auf Gemeinschaft! Jesus schickt die Jünger zwei zu zwei, keiner muss allein das Wagnis unternehmen.
Jesus lebt in Gemeinschaft
Das ist kein Zufall. Jesus zeigt in seinem ganzen Auftreten, dass er das Wort aus der Schöpfungsgeschichte ernst nimmt, in der Gott nach der Erschaffung des ersten Menschen spricht: "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt." Zwar erzählt die Schrift, dass Jesus sich immer wieder von den Menschen in die Einsamkeit zurückzieht, er allein, wie es mehrmals heißt. Das hatte er nötig, um sich zu sammeln, um im Andrang der Menge wieder zu sich zu kommen. Aber das sind nur Stunden. Sonst ist er immer unter seinen Jüngern. Und als er schließlich die Welt verlässt, lässt er als das zentrale Geheimnis seiner Gegenwart die Feier des gemeinsamen Brotbrechens zurück, die Eucharistie, das Mahl der Gemeinde mit Christus, also die Heilige Messe.
Und der Gott, den Jesus verkündet, ist kein einsamer Gott, er lebt in der Gemeinschaft der Dreifaltigkeit, Gott der Vater mit dem Sohne in der Einheit des Heiligen Geistes, der nichts anderes ist als die persongewordene Gemeinschaft.
Der Mensch ist ein gemeinschaftsbezogenes Wesen
"Der Mensch ist ein gemeinschaftsbezogenes Wesen" sagt Thoma von Aquin in Übernahme des berühmten Wortes des Aristoteles, der den Menschen ein zoon politikon nennt, und diese Einsicht ist auch die unstrittige Auffassung unserer heutigen Wissenschaft.
Ein gemeinschaftsbezogenes Wesen ist der Mensch schon von den äußeren Lebensumständen her. Kein Lebewesen braucht die Eltern auch nur entfernt so lange wie ein Menschenkind, es lernt weder das Gehen, noch das Reden, noch das Denken ohne mitmenschliche Begleitung. Doch nicht nur als Kind braucht der Mensch den Mitmenschen. Bis vor zweihundert Jahren konnte der Durchschnittsmensch für sich allein überhaupt nicht überleben. Das tägliche Brot konnte nur in harter Arbeit der ganzen Familie erworben werden.
Gemeinschaft als Lebensnotwendigkeit
Das ist mir recht eindrucksvoll zu Bewusstsein gekommen, als ich vor einiger Zeit begann, das Kirchenbuch unserer Gemeinde von 1640 durchzusehen. Immer wieder traf ich auf den befremdlichen Umstand, dass nach dem Tod eines Bauern oder einer Bäuerin der zurückgebliebene Ehepartner schon zehn, ja sechs Wochen danach wieder heiratete. Man ist zunächst ganz schockiert: Waren denn damals die Leute so herzlos, so ohne Gefühl, dass man den Ehemann, die Ehefrau so schnell vergessen konnte? Wenn man sich aber die damaligen wirtschaftlichen Verhältnisse ins Gedächtnis ruft, so werden die Ursachen dieser anscheinenden Herzlosigkeit schnell klar. Ein Hof ohne vollständige Familie, ohne Bauer und Bäuerin kam einfach nicht durch. Ohne die Sicherung durch die Familien- und die Dorfgemeinschaft konnte der einzelne buchstäblich nicht überleben.
Diese Abhängigkeit von der Gemeinschaft ist in den Jahrmillionen unserer menschlichen Entwicklung so tief innerlich geworden, dass wir krank werden, wenn wir allein sein müssen. Wie der Leib sein tägliches Brot braucht, so bedarf auch die Seele des täglichen Brotes, und das ist das Zusammensein mit anderen Menschen, normalerweise der Gemeinschaft der Familie oder unter Umständen auch einer Ordensgemeinschaft, bedarf jeder des engen Umgangs mit Menschen, denen er vertrauen kann.
Gottesgemeinschaft nur über den Weg der menschlichen Gemeinschaft
Es gibt dafür mancherlei interessante Beispiele: So wurde im 19. Jahrhundert auf Sizilien ein Frauenkloster gegründet, in dem die Klosterfrauen nur noch einzig Gott und dem Gebet leben, und deshalb sogar auf die klösterliche Gemeinschaft verzichten wollten. Um von allen äußeren Ablenkungen frei zu sein, wurde ein Kloster gebaut, in dem jede Schwester sich freiwillig in ihre Zelle einmauern ließ. Ihre Nahrung erhielt jede Schwester durch einen Drehtabernakel, so dass sie die sie bedienende Schwester zwar hören und sprechen aber nicht sehen konnte. Nach einigen Jahren nahm der Beichtvater allerlei Merkwürdigkeiten wahr, die er schließlich dem Bischof meldete. Dieser ließ die Zellen öffnen und es stellte sich heraus, dass viele der Schwestern in geistige Verwirrung gefallen waren. So gut und fromm es jene Schwestern mit ihrem Alleinsein-mit-Gott gemeint hatten, christlich war das eigentlich nicht, denn die Gemeinschaft mit Gott geht nach der Botschaft der Bibel immer den Weg über die Gemeinschaft mit den Menschen. Unsere Frömmigkeit darf sich nicht nach dem richten, was besonders fromm aussieht, sondern nach dem, was Gott gewollt hat. Jesus jedoch war eine Frömmigkeit ohne Mitmenschen absolut fremd.
(Die Quelle dieses Berichtes ist nicht mehr feststellbar; ich hörte ihn vor Jahren im Rahmen von Exerzitien).
Heutige Lebensumstände
Die Lebensumstände, die das gemeinschaftliche Leben früher erzwangen, haben sich grundsätzlich geändert. Heute braucht niemand mehr zu fürchten, dass er zugrunde geht ohne Familie. Die äußeren Bedrohungen und Nöte sind weg. Eine Ehescheidung bedeutet nicht mehr die Vernichtung der Existenz. Aber der Mensch ist als Gemeinschaftswesen konstruiert. Wir brauchen menschliche Nähe und Freundlichkeit, Anerkennung und Schätzung in der Gemeinschaft. Deshalb werden wir seelisch krank, wenn wir in keine Gemeinschaft eingebunden sind. Wir müssen großes Gewicht darauf legen, dass in unserem jeweiligen Lebenskreis das Miteinander gepflegt wird, dass die Ehepartner sich wirklich Zeit für einander nehmen. Möglichst einmal am Tag sollte die Familie ohne Zeitdruck beisammensitzen, z.B. beim Essen. Erst wenn ein gemeinschaftlicher Freiraum da ist, kommen Probleme zur Sprache, die man sonst so lange vor sich herschiebt, bis sie schließlich giftig geworden sind.
Das ist auch die Grundlage und das Geheimnis erfolgreicher Erziehung: Man muss für die Kinder viel Zeit haben. Gerade heute, wo sich Kindern und jungen Leuten Freiheitsmöglichkeiten auftun wie nie zuvor, ist es entscheidend wichtig, dass eine Basis an Gemeinschaftlichkeit besteht, sonst ist ein Absturz vorprogrammiert.
Im Zentrum der Gemeinschaft muss Liebe stehen.
Aber hier wird nur nach dem Nutzen gefragt. Wenn wir nur von dieser Seite an das Phänomen der Gemeinschaftsbezogenheit herantreten, verfehlen wir ein Wesensstück menschlichen und christlichen Zusammenseins. Ein Wort des Hl. Augustinus zum heutigen Evangeliumstext ist aufschlussreich. Augustinus stellte sich die Frage: "Warum sendet Jesus die Jünger zu zweit aus, er hätte doch viel mehr Dörfer erreicht, wenn er jeden einzeln gesandt hätte?" Und er gibt die Antwort: "Weil die Botschaft Christi die Botschaft der Liebe ist; zur Liebe aber bedarf es wenigstens zweier Menschen. So sendet Jesus sie zu zweit aus, um schon an den Verkündigern den Inhalt seiner Botschaft sichtbar zu machen."
Paulus hat dies in seinem Hohelied der Liebe im dreizehnte Kapitel des ersten Briefes an die Korinther überwältigend formuliert: "Ich zeige euch jetzt noch einen anderen Weg, einen, der alles übersteigt. Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke. . ." Zu den durch die Schöpfungsordnung vorgegebenen Bindungskräften muss der "andere Weg" hinzukommen, der Weg der Liebe Christi. Denn so sehr der Mensch die Gemeinschaft braucht, so sehr ist sie ihm auch eine Last. Wie könnte denn der Mensch all den Druck menschlicher Nähe in ständiger Gelassenheit hinnehmen wenn uns nicht der Geist Gottes leitete, damit unsere Liebe "alles erträgt, alles glaubt, alles hofft, allem standhält".
Zwei Wege weist uns Gott: "Es ist nicht gut, dass der Mensch allein bleibt", sagt uns das Alte Testament, und das Neue: "Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm." Und so bitten wir Gott, auf diesen Wegen uns allen zu leuchten, die wir die in Finsternis sitzen und im Schatten des Todes und unsere Schritte zu lenken auf den Weg des Friedens..
Antonia Keßelring (2003)
Johann Pock (2000)
Regina Wagner (1997)