In Quarantäne
Auf dem spanischen Jakobswegkam ich an einem weit von Siedlungen abgelegenen Platz vorbei, auf den früher, als es die Krankheit noch gab, Aussätzige verbannt wurden. Sie mussten abseits von der übrigen Gesellschaft leben, damit die Krankheit nicht durch menschliche Kontakte weitergegeben wird. Mich berührte damals die Einsamkeit dieses Ortes. Was muss wohl in den Menschen, die von diesem Schicksal getroffen waren, vorgegangen sein?
Der Aussatz gilt heute im Großen und Ganzen als besiegt. Er ist zumindest in der sog. zivilisierten Welt nicht mehr anzutreffen. Dennoch ist "Aussatz" ein Synonym für Ausgrenzung geblieben.
Jesus überschreitet Grenzen
Im Evangelium haben wir gehört, wie Jesus einem Aussätzigen begegnet, sich von seiner Not berühren lässt und ihn berührt. Er heilt ihn, mahnt ihn, alles zu tun, was das Gesetz vorschreibt, wenn jemand meint, vom Aussatz geheilt zu sein, und schickt ihn weg. Er möchte, dass diese Begegnung nicht in aller Öffentlichkeit bekannt wird. Dies funktioniert verständlicherweise nicht und hat zur Folge, dass der Kontakt mit Jesus gemieden werden sollte. Er hatte ja Kontakt mit einem Aussätzigen. Auch dieses Verbot funktioniert nicht.
Das Besondere an dieser Erzählung: Jesus überschreitet Grenzen, um eine Ausgrenzung aufzuheben. Über die wunderbare Heilung hinaus setzt er einen symbolträchtigen Akt der Wiedereingliederung. Jesus nimmt in Kauf, dass er infolge seines gewagten Umganges mit dem Aussätzigen selbst ausgegrenzt wird. Diese Erzählung hält uns vor Augen, dass wir unsere Grenzziehungen und Ausgrenzungen immer wieder überprüfen müssen, selbst dann, wenn es für uns selbst unbequem wird.
Ausgrenzung heute
Ausgrenzung gibt es in jeder Gesellschaft, in jeder Menschengruppe; auch in der Kirche. In vielen Bereichen ist es notwendig, klare Grenzen zu ziehen und deutlich zu machen, wer drinnen und wer draußen ist. Wer nicht den Gruppennormen entspricht, ist out.
Menschen, die anderen gefährlich werden könnten, müssen weggeschlossen werden. Dies gilt für ansteckend Kranke - sie werden auf Isolierstationen streng getrennt von den übrigen Patienten versorgt. Auch für gemeingefährliche Täter gibt es Einrichtungen, in die sie weggeschlossen werden.
Ein Leben ohne Grenzen ist nicht möglich. Der notwendige Schutz der Gesellschaft darf uns allerdings nicht hindern, menschlich mit den jeweils Betroffenen umzugehen.
Ausgegrenzt werden nicht nur ansteckend Kranke und potentiell gefährliche Menschen. Ausgrenzung gibt es auch im Kleinen. Wenn jemand eine vom mainstream abweichende Meinung vertritt, unpassend gekleidet ist oder sonstwie aus der Reihe tanzt...
Viele junge Menschen machen eine Phase durch, in der sie sich selbst außerhalb der gängigen Lebensgewohnheiten stellen, um ihre Identität zu finden.
Wir neigen dazu, alle auszugrenzen, die irgendwie anders sind. Eine große Rolle spielt dabei die Angst vor allen, die anders sind. Besonders deutlich wird dies z.B. im Umgang mit Immigranten.
Grenzziehungen hinterfragen
Das Beispiel Jesu zeigt uns aber, dass wir unsere Grenzziehungen immer wieder überprüfen müssen und uns fragen müssen: Brauchen wir diese Grenzen noch? Schaffen sie vielleicht sogar Unrecht oder verstoßen sie gegen die Menschenwürde? Wie können wir die Not Menschen, die unter ihrer Ausgrenzung leiden, lindern?
Menschen, die in irgend einer Hinsicht anders sind, können auch eine Bereicherung für die Gesellschaft sein. Manche große Firmen - IBM z.B. - haben ein sog. "diversity management" eingeführt. Dieses arbeitet heraus, welche von der erwarteten Norm abweichende Eigenheit eines Menschen eine Bereicherung für das Unternehmen sein kann und deshalb gefördert werden muss. Bei den Unterschieden handelt es sich sowohl um äußerlich wahrnehmbare wie Geschlecht, Ethnie, Alter oder Behinderung, aber auch um sehr subjektive Unterschiede wie sexuelle Orientierung, Religion und Lebensstil. Damit wollen sie ein Bewusstsein dafür schaffen, dass jede besondere Eigenheit eines Mitarbeiters positiv genutzt werden kann.
Integration als Chance
Braucht es nicht auch im Umgang mit Immigranten ein Umdenken? Häufig treten wir ihnen skeptisch gegenüber, weil uns alles Fremde bedrohlich vorkommt. Wäre es nicht eine große Chance, ihre besonderen Begabungen für unsere Gesellschaft zu nutzen? Fremdsprachen zu beherrschen, in mehreren Kulturen zuhause zu sein und den Erfahrungsschatz einer anderen Kultur mitbringen, sind Werte, die wir schätzen lernen und nutzen sollten.
Auch die Kirche kämpft mit der Vielfalt von Spiritualitäten, Lebensformen, Formen des Feierns. In der Tradition neigte sie dazu, alles zu vereinheitlichen, und alle, die sich dem Einheitsgeschmack nicht fügen wollten, hinauszudrängen. Die Kirchenbasis war und ist in diesem Bestreben oft eifriger als die Kirchenleitung.
Auch hier gilt es meines Erachtens den Segen der Vielfalt zu entdecken und nebeneinander leben zu lassen.
Einen ersten Schritt können wir Jesus abschauen: Er lässt sich von der Not des Ausgeschlossenen berühren und geht auf ihn zu. Das Weitere folgt wie von selbst.