Simeon und Hanna
In der heutigen Predigt möchte ich den Blick lenken auf Simeon und Hanna. Sie sind im besten Sinne des Wortes fromme und gottesfürchtige Menschen geworden und geblieben. Hanna hat als junges Mädchen geheiratet und sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt. Wohl durch einen frühen Tod hat sie ihren Mann verloren. Seitdem ist sie Witwe, jetzt hochbetagt mit 84 Jahren.
Hinter diesen Daten entsteht das Bild eines nicht einfachen Lebens, eines herben, aber für die damalige Zeit auch nicht völlig außergewöhnlichen Schicksals. Als Witwe, möglicherweise kinderlos, gehört sie zu den sozialen wie wirtschaftlichen Verlierern der Gesellschaft. Sie ist abhängig von den Zuwendungen Fremder und ausgeliefert der Willkür eines jeden, der ihre Lage auszunutzen versteht. Diese Belastungen haben sie jedoch nicht gottlos gemacht, sondern noch mehr in Gott verwurzelt. Dazu haben Fasten, Beten und Gottesdienst beigetragen.
Zugänglich für die Anregungen des Geistes Gottes
Mich erstaunt der kleine Hinweis: Simeon und Hanna nehmen Anregungen des Geistes Gottes wahr, begeben sich zur rechten Zeit an die rechte Stelle und erkennen im Jesuskind, was vor ihnen niemand in Worte gefasst hat.
Simeon und Hanna werden als Propheten bezeichnet. Propheten sind Menschen, die mehr sehen als das bloße Auge, die in die Dinge hineinsehen und darüber hinaus. Propheten sind Entdecker Gottes, Sucher der Spuren Gottes mitten im Leben der Menschen. Propheten und Prophetinnen können diese Spuren Gottes in Worte fassen, sie vermögen auf das göttliche Ereignis mitten im Leben aufmerksam zu machen.
Simeon und Hanna sehen in Jesus mehr als das 40 Tage alte Kind. Sie erkennen in ihm das Heil, das Gott vor allen Völkern bereitet hat. Sie sehen das Licht und die Herrlichkeit für die ganze Welt. Dem Simeon geht ein Licht auf: In diesem Kind erfüllen sich alle Prophezeiungen. Simeon weiß, dass er jetzt Gottes Sohn auf den Armen trägt, den Retter der Welt. Er sieht auch das Kreuz und den Schmerz Marias.
Ein Weiteres fällt auf: Warum erkannte nicht der Dienst habende Priester den Messias, sondern einfache, alte Leute? - Der Priester, der ständig mit dem Heiligen beschäftigt war, hätte doch sofort erahnen müssen, dass dieses Kind ein ganz außergewöhnliches Kind war. Nicht der Profi erkannte Gott, sondern der Laie! Auf ihm, so heißt es im Evangeliumstext, ruhte der Heilige Geist, weil er gerecht und fromm war. Der lebendige Geist wirkt nicht automatisch im Amtsträger. Vielmehr ergießt sich der Heilige Geist dort, wo er den guten Willen sieht, seinen Eingebungen zu folgen.
Gott kommt auf leisen Sohlen in diese Welt
In diesem Bericht wie in der gesamten Kindheitsgeschichte Jesu schlägt sich die Überzeugung des Evangelisten nieder, dass der gekreuzigte und auferstandene Jesus, bereits zu Beginn seines Lebens der verheißene Messias ist. Aus der nachösterlichen Erfahrung heraus wird hier über Jesus erzählt. Jesus ist nicht erst im Laufe seines Lebens zum Sohn Gottes geworden, er ist es von Anfang an und über alle menschliche Zeitvorstellung hinaus.
Dieses Großartige und Göttliche ist nicht lauthals und sensationell. Wie schon die Weihnachtsgeschichte und der Bericht von den Weisen aus dem Morgenland sagt uns auch die Szene im Tempel, dass Gott auf leisen Sohlen in diese Welt kommt. Er ist kein Gott der großen Auftritte, kein König, der mit Pauken und Trompeten Einzug hält.
Sinnesschärfe für das Kleine
Von Simeon und Hanna können wir abschauen, wie man dieses geradezu unterschwellige Vorgehen Gottes besser erkennen kann. Für Simeon und Hanna hat eine große Rolle gespielt, dass sie wach und offen geblieben sind. Eine Sinnesschärfe für das Kleine, ein geduldig-sehnsüchtiges Herbei-Warten zeichnete sie aus. Von Beiden wird gesagt, dass sie das schon sehr lange getan haben, ein langes Leben lang. Wir können uns ausmalen, wie oft sie enttäuscht wurden. Es scheint fast wie ein Wunder, dass sie nicht resigniert haben.
Zahlen und Altersangaben in der Bibel sind meist nicht zufällig gewählt. So dürfen wir auch genauer hinschauen auf die Witwe "von vierundachtzig Jahren". Zwölf mal sieben Jahre hat diese Frau hinter sich. Die Sieben und die Zwölf, beide Ziffern sind Symbolzahlen der Ganzheit, der Fülle, der Vollendung. Ihre Zeit ist also erfüllt, ihre Zeit ist gekommen. Warum so spät, könnten wir fragen. Nach so vielen womöglich ereignislosen Jahren passiert bei Hanna jetzt auf einmal im hohen Alter etwas Neues, etwas ganz Neues, das sie fordert und antreibt.
Im Blick auf Priester- und Ordensberufe ist manchmal von "Spätberufenen" die Rede, als gäbe es die Normzeit, zu der eine Berufung sich zu ereignen hat. Gott beruft aber "nicht früh oder spät, sondern wenn's passt". Das hat einmal ein solcher "Spätberufener" gesagt, als er darauf angesprochen wurde. Kein Lebensalter und kein Lebensstand sind davor sicher, Zeitpunkt und Ort eines (neuen) Anrufs Gottes zu werden. Wer glaubt, wer mit Gott lebt, der ist nie fertig, sondern immer noch offen.
Verkünder der Zeitenwende
Lassen wir uns also ermutigen von Hanna und Simeon, offen zu bleiben für die Überraschungen Gottes im Heute. Bewahren wir uns die Haltung, dass wir zu keinem Zeitpunkt unseres Lebens fertig sind. Bleiben wir aufmerksam und wach für den Anruf unserer Zeit, unserer Umgebung, der nächsten Menschen.
Von Hanna heißt es, dass sie zu allen über das Kind sprach, die auf die Erlösung warteten.
Das Gute, das sie erfahren hat, die Begegnung mit dem lebendig machenden Gott, will und kann sie nicht für sich behalten. Hanna wird zur ersten Verkünderin der Zeitenwende, der Erlösung.
Simeon stimmt einen Lobgesang an, der in das tägliche Gebet der Kirche eingegangen ist: "Nun lässt du, Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden. Denn meine Augen haben das Heil gesehen, das du vor allen Völkern bereitet hast, ein Licht, das die Heiden erleuchtet."
Im Schein der Kerzen das Licht der Welt erkennen
In den unscheinbaren alltäglichen Dingen mehr sehen als ein Fotoapparat, fordert auch unseren Glauben heraus. Wir hören Geschichten aus einem 2000 Jahre alten Buch und erkennen darin doch das Wort des lebendigen Gottes, wie wir es nach der Lesung bekennen.
Wir erhalten ein Stück Brot, und schauen darin mehr als ein Symbol der Gemeinschaft.
Wir sehen, hören, fühlen die Menschen in unserer Pfarrgemeinde und wissen in ihnen Christus selbst gegenwärtig, der gesagt hat, wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Bitten wir Gott um einen Glauben wie ihn Simeon und Hanna besaßen, einen Glauben, der hinter dem Licht der Kerzen das Licht der Welt erkennt, der aus den Worten der Schrift das Wort Gottes heraushört, der im Essen des Brotes schmeckt, wie gütig der Herr ist.