Die Verheißung Jesu, dass er vorausgeht, um uns Wohnungen beim Vater vorzubereiten, wird meist auf ein jenseitiges Leben hin gedeutet. Greift das nicht zu kurz? Jesus schaffte neue Lebensräume für alle, die sich von seiner Botschaft ansprechen ließen. Ein Herausforderung auch für uns heute.
Euer Herz lasse sich nicht verwirren
Oh, das sollte Jesus heute auch sagen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren.“ Verworren ist vieles in der Welt. Wir hören Nachrichten, verstehen sie aber nicht. Wir sehen Bilder, aber sie sind flüchtig. Wir denken, drehen uns aber im Kreis. Vieles kommt einem Verwirrspiel gleich. Einem Spiel mit Gefühlen, Träumen und Abgründen. Leider auch ein Verwirrspiel mit Menschen, die sich nicht wehren können.
Und dann ist da noch das Netz! Weltweit. World Wide Web. Im Netz wabern Verschwörungstheorien, Halbwahrheiten und Dummheiten. Im Netz werden Parallelwelten geschaffen. Im Netz werden aber auch Sorgen und Hoffnungen geteilt. Manchmal sogar mit richtigen Namen. Auf Punkt und Komma muss man oft nicht achten. Was können wir glauben? Worauf bauen? Wohin gehen?
Apropos Netz! Während das eine Netz hält und sichert, verfangen wir uns in dem anderen. Wie eine Fliege im Spinnennetz. - Von welchem Netz wollen wir reden?
Abschied ohne Anschrift
Wir hören heute in Jesu Abschiedsreden hinein. Der Evangelist Johannes hat sie aufgeschrieben. Jesus bereitet uns darauf vor, dass er die Welt verlässt, um zum Vater zu gehen. Zu Gott. Zwischen den Jüngern geht es hin und her. Zwischen uns auch. Wo ist der Vater? Wohin geht Jesus? Muss das sein?
Es ist ja tatsächlich so, dass Jesus keine Anschrift mehr unter uns hat. Keinen Ort, keine Straße, keine Hausnummer, auch keine Email-Adresse, kein www. Er hat keinen Sitz in Jerusalem, aber auch keinen in Rom. Wenn wir fragen "wo bist du? wo wohnst du? wie kann ich dich erreichen?", gibt es keine Antwort. Jesus hinterlässt uns keine Anschrift und der Post keinen Nachsendeauftrag.
Er geht uns voran und bereitet uns schon einmal ein Zuhause vor. Unsere neue Anschrift! Aber Achtung: In seines Vaters Hause sind viele Wohnungen! Sagt Jesus. Ich werde dieses neue Zuhause mit vielen anderen teilen. Auch mit Menschen, die anders denken, glauben, leben als ich. Die eine andere Geschichte erzählen. Die eine andere Sprache sprechen. Für Exklusivitätsansprüche gibt es keinen Raum, nicht einmal eine Türe.
Exklusiv ist nur, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist. Oft genug haben sich Menschen als seine Sachwalter ausgegeben. So, als ob es nur einen Weg gäbe. So, als ob sie die Wahrheit gepachtet hätten. So, als ob sie die Schlüssel des Lebens verwahrten. Doch: Wer Jesus sieht, sieht den Vater! In seiner Barmherzigkeit. Gefängniszellen sind nicht im Haus des Vaters. Hier wohnt der Frieden.
"Amen, amen, ich sage euch, sagt Jesus:
Wer an mich glaubt,
wird die Werke, die ich vollbringe, auch vollbringen
und er wird noch größere als diese vollbringen,
denn ich gehe zum Vater."
Eckstein
Ich mag das Bild von den Wohnungen! Von Reihenhäusern, Villen und Palästen redet Jesus nicht. Es ist, als ob die Gemeinschaft der Menschen am besten als Gemeinschaft von Wohnungen erzählt werden kann. Nachbarschaft, groß geschrieben.
Wir stellen uns Wohnungen auch nicht als Zelte oder Baracken vor. Die gibt es heute wieder zu Hauf. Für Menschen auf der Flucht – oder auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Wenn sie nicht auf der Straße leben. Manchmal ist selbst ein Stück Stoff schon Komfort. Bilder gibt es im Fernsehen zu sehen. Aber was es heißt, in einem Zelt, einer Baracke oder auf der Straße zu hausen?
Wohnungen sind in der Regel fest gebaut, aus Stein, geschützte Räume für Menschen, die zusammenleben, aber ihre eigene kleine oder große Familie haben. Gemeinschaft und Individualität tragen einander.
Petrus, einer der Jünger Jesu, hat einen Brief geschrieben. Wir haben ihn vorhin gelesen:
„Kommt zu ihm – Jesus , dem lebendigen Stein,
der von den Menschen verworfen,
aber von Gott auserwählt und geehrt worden ist!
Lasst euch als lebendige Steine
zu einem geistigen Haus aufbauen,
zu einer heiligen Priesterschaft…“
Das Bild, auf das Petrus hier anspielt, ist das Bild vom Eckstein, der ein ganzes Haus zusammenhält. Der Schlussstein sozusagen, ohne den die Mauern und Dächer auseinanderfallen. Ein Stein, doch an ihm liegt alles: Sicherheit, Verlässlichkeit, gar die Ewigkeit. Um im Bild zu bleiben: Wir sind „lebendige“‘ Steine, die das Haus zu einem Haus machen, eine Wohnung zu einer Wohnung. Hier entfaltet das Bild eine unbändige Kraft: Wir sind alle gleich – Stein. Schön anzusehen. Und fest! Ob die Sonne scheint oder ein Gewitter niedergeht, ob die Erde bebt oder eine Lawine sich löst – das Haus ist wie für die Ewigkeit gebaut. Und ER, Jesus, ist der Eckstein.
Im 118. Psalm heißt es:
„Ich danke dir, dass du mich erhört hast;
Du bist für mich zum Retter geworden.
Der Stein, den die Bauleute verwarfen,
er ist zum Eckstein geworden.
Das hat der Herr vollbracht,
vor unseren Augen geschah dieses Wunder.“
(Ps 118,21-24)
Es ist von einem Wunder die Rede. Oder von einem Prachtbau? Gemeinde genannt? Gemeinschaft der Menschen? Gottes Barmherzigkeit? Auf jeden Fall: „Vor unseren Augen“!
Lebensräume
Was wir bis jetzt wissen: Jesus geht zum Vater, uns eine Wohnung zu bereiten. Im Haus des Vaters. Das könnten wir verständlicherweise auch als Hinweis auf das Leben nach dem Tod nehmen, aber es steckt so viel mehr darin: das Haus für viele Menschen, für alle Menschen, das Haus Gottes. In diesem Haus ist Jesus der Eckstein, der die vielen Steine, die kunstvoll aufeinandergeschichtet sind, zusammenhält. In allen Gefahren und Ängsten sind die Wohnungen in diesem Haus Lebensräume, Lebensräume für Menschen, die ein Zuhause haben.
In der Apostelgeschichte – wir haben diese Geschichte auch gehört – wird die Not beschrieben, dass die Apostel – sprich: die alten Jünger Jesu – keine Ressourcen mehr haben, sich um die Witwen der „Urgemeinde“ zu kümmern. Angedeutet wird auch ein Konflikt, der sich später noch ausweiten wird: der Konflikt zwischen hebräisch- und griechisch-sprachigen Menschen. Es war noch nie egal, welche Sprache gesprochen wird, in welchen Worten Träume erzählt werden, in welchem Dialekt Klagen geäußert werden. Auf einer Gemeindeversammlung machen die Apostel den Vorschlag: Wir schauen jetzt nach Menschen, die sich um die Versorgung der Witwen kümmern können. Und siehe da: sie werden gefunden! Sogar Landsleute. Vertraute Menschen, die die gleiche Sprache sprechen.
„Stephanus, einen Mann,
erfüllt vom Glauben und vom Heiligen Geist,
ferner Philippus und Prochorus,
Nikanor und Timon,
Parmenas und Nikolaus,
einen Proselyten aus Antiochia.“
Sie müssen sich die Namen nicht merken, aber sie haben einen Wohlklang. Wir werden zu Zeugen eines Wunders: Die Menschen, die jetzt gewählt werden, sind die ersten Diakone. Sie werden mit Gebet und Handauflegung beauftragt und gesegnet.
Hier schließt sich für uns heute ein Kreis: Menschen, die füreinander da sind, füreinander einstehen, füreinander Sorge tragen. Das sind die lebendigen Steine, die die Wohnungen schön machen für Menschen, die einen geschützten Lebensraum brauchen.
"In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen", sagt Jesus.
Oh, das sollte Jesus heute auch sagen: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren.“
Und der Friede Gottes,'
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Jesus Christus,
unserem Herrn.
Martin Stewen (2014)
Norbert Riebartsch (2005)
Bernhard Zahrl (1999)