Grund zu klagen
Es gibt Aufrufe/Anrufe, die erschrecken, die einem zusammenzucken lassen, auch wenn sie auf diskrete Weise erfolgen. Bei Jeremia war das der Fall. Er versucht, dem Prophetenstand zu entkommen mit dem Argument seiner Jugend und Unerfahrenheit. Er wird Prophet, weil ihn JAHWE dazu "ausersehen" und "zumPropheten für die Völker bestimmt hat."(Jer.1,5). Eine Berufungsgeschichte, ganz persönlich, für die Umgebung oft nicht verständlich. Verbunden damit die Zusage: "Ich bin mit dir, um dichzu retten."(Jer.1,19).
Leicht wird seine Aufgabe nicht sein. Jeremia klagt über sein Volk. Der Prophet Jeremia (7. Jhdt. vor Christus) wurde angefeindet, weil er nicht den Mächtigen nach dem Mund redete, sondern die Botschaft Gottes verkündete, die sich besonders der Schwachen, am Rand der Gesellschaft Stehenden annimmt. Das alles geschieht in einer Zeit großer gesellschaftlicher Umbrüche, Veränderungen. Neuorientierungen lösen immer wieder (schwere) Konflikte aus, darunter litt Jeremia sehr und beklagte sich bitter (vergleiche Buch der Klagelieder- Jeremiaden). Er möchte fast resignieren, alles hinwerfen.
Korrektive in der Gesellschaft
Erleben wir nicht eine ähnliche Situation heute in Gesellschaft, Politik, auch in der Kirche? Die Klagelieder sind lang, nicht unberechtigt. Sollen wir deshalb dabei stehen bleiben und nicht auch Gutes, Positives sehen für die Zukunft, nicht resignieren, kreativ werden, Hoffnung geben und auch aufkommen lassen, ohne naiv dabei zu sein. Das alles sind Aufgaben für prophetische Menschen.
Propheten sind Korrektive in der Gesellschaft, die dafür sorgen, dass Gottes Auftrag und Bitte in der jeweiligen Zeit gehört und auch erfüllt werde, selbst gegen den Widerstand und Blockaden derer, die das nicht wollen. Die Hoffnung, die immer zukunftsgerichtet ist, besteht darin, aus Konflikten zu lernen, am Widerstand fremder Erfahrungen. Was unsere Zeit so nötig hat auch in der Kirche: ein Lernprozess- die Kirche von der Welt und auch umgekehrt. Das bedarf aber eines Dialogs auf Augenhöhe und nicht nur frommen Geschwätzes oder Wortmülls, mit dem alles zugeschüttet wird.
Heute!
Die sonntäglichen Lesetexte führen von Jeremia über den Evangelisten Lukas zu Jesus. Um das Evangelium besser zu verstehen, einen kurzen Blick auf das Evangelium des letzten Sonntags (3. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C): Als praktizierender Jude besuchte Jesus die Synagoge und beteiligte sich durch die Auslegung des "Evangelisten" Jesaja am Gottesdienst.
"Der Geist des Herrn ruht auf mir,
denn der Herr hat mich gesandt,
damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe,
damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde...
und den Blinden das Augenlicht,
damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze...
Heute hat sich das Schriftworterfüllt."
(Lk.4,18.21 und Jes. 61,1-2).
Lukas ist der Evangelist des Heute. Jesus setzt diese Schriftstelle in sein lebendiges Wort um. Er "verheutigt" den JAHWE-Glauben für die Menschen seiner Generation und seiner Zeit und lädt ein, dieses lebendige Wort, die "gute Nachricht", die "Frohe Botschaft" (eu-angelion) durch alle Generationen weiterzutragen.
Das II. Vatikanum war so eine "Vitaminspritze des Heiligen Geistes", angeregt durch die Person Johannes XXIII. Sein Leitwort dafür war "Aggiornamento" - verheutigen. Anliegen dieses Konzils war und ist, den Glauben in eine Welt des 20. und 21. Jahrhunderts, die sehr kompliziert geworden ist, weiterzutragen.
Die Frohe Botschaft im Heute
Die Wirkung des Auftretens Jesu zeigt das Evangelium: zuerst staunen die Zuhörer, dann kommen Zweifel auf und sogar Zorn und Wut. Wieso eigentlich? Ich glaube, es sind falsche Erwartungshaltungen. Ist er das überhaupt? Ist er der "starke Mann", der dreinhaut? Ändert sich gesellschaftlich etwas? Stattdessen kommen Worte der Liebe und der Freiheit. Viele sehen durch harte Gesetze Sicherheiten gewährleistet.
Ähnlich ist es auch heute. Sicherheit gegen Freiheit. Raschen Stimmungs- und Meinungsumschwung, oft auch heftige Emotionen erleben wir auch gegenwärtig in Politik, Kirche, Gesellschaft. Wut und Zorn schränken die Weitsicht und das Denkvermögen ein, andere leben in festgefahrenen Denkmustern und können ihnen entgegengestellte Argumente nicht vertragen. Zu den Blinden werden wohl auch die zählen, die herzlos sind, die nichts dabei finden, wenn Menschen durch eine unbarmherzige Gesetzesmaschinerie noch immer in Not geraten, statt Hilfe zu erhalten.
Jesus will auf einen Gott hinweisen, der grenzenlos liebt, der die Würde des Menschen ernstnimmt, egal welcher Hautfarbe, welchem Kulturkreis, welchem Geschlecht er angehört. Das erzeugt Wut und Konflikte, Gewaltbereitschaft bis heute. Das Evangelium sagt: Die Liebe Jesu ist die einzige Richtschnur, nicht unsere persönliche Befindlichkeit.