Zeitqualität
"Wenn 24 Stunden am Tag nicht ausreichen, muss man eben die Nacht dazu nehmen". Mit solchen oder ähnlichen Sätzen beschreiben manche Menschen ihre liebe Not mit der Zeiteinteilung. In den Wochen vor Weihnachten wird es Ihnen vielleicht ähnlich ergangen sein.
Die Zeitmamagementberater empfehlen, man solle sich überlegen, was man wann tue. Jede Tageszeit habe ihre eigene Qualität. Für meinen Teil kann ich das gut nachvollziehen. Wenn ich mich am Nachmittag oder Abend hinsetze und an einer Predigt arbeite, ist das Zeitverschwendung. Die meisten und besten Einfälle kommen mir am frühen Morgen. Wenn ich dann am Vormittag meine Gedanken zu Papier bringe, ärgert es mich, wenn Leute mir diese wertvolle Zeit schmälern mit unwichtigen Anrufen oder mit Bitten, ihren Computer anzusehen...
Vor einigen Jahren machte mich eine langjährige Bekannte, mit der ich früher beruflich oft zusammenarbeitete, darauf aufmerksam, dass von meinem Zeitbudget für unsere freundschaftliche Beziehung immer häufiger nur weniger wertvolle Zeit abfalle. Ich nähme mir nur Zeit für einen Besuch, wenn ich gerade in der Gegend sei, eine Wartezeit zu überbrücken hätte, oder gar nur, wenn ich etwas von ihr bräuchte. Wenn unsere Freundschaft Bestand haben solle, sei es notwendig, dass wir wenigstens von Zeit zu Zeit auch "wertvollere" Zeit investieren. Das hat mich ziemlich nachdenklich gemacht.
Beziehungsqualität
Große Qualitätsunterschiede gibt es auch im Hinblick auf Beziehungen. An manche Beziehung denkt man erst, wenn man von einer Person etwas braucht. Auch wenn man dann das Gespräch mit der Frage einleitet: "Wie geht's?", spürt das Gegenüber u.U., dass das Interesse daran, wie es ihr oder ihm geht, nicht sonderlich groß oder gar dass es geheuchelt ist. Mir antwortete einmal jemand auf die Frage "wie geht's?" mit dem Hinweis: "Wenn Sie wirklich wissen wollen, wie es mir geht, dann müssen Sie sich wenigstens eine Dreiviertelstunde Zeit nehmen und mir zuhören." Da ich mich mit dieser Antwort mehr überfordert als eingeladen fühlte, verblieben wir bei Höflichkeiten.
Beziehungen können eine sehr unterschiedliche Qualität haben. Mit manchen Menschen verbringe ich verhältnismäßig viel Zeit (auch "wertvolle"), ohne dass mich dies innerlich berührt oder nahe geht. Manche Begegnungen hingegen bauen mich auf, geben mir Kraft, obwohl sie nur punktuell waren und sich nicht festhalten ließen. Manche Beziehungen sind so tief, dass sie auch Belastungen aushalten, Krisen überstehen und daran sogar noch wachsen.
Weihnachten - ein Fest der Beziehungen und der Familie
Das Weihnachtsfest konfrontiert uns mit unseren Beziehungen.
Wir machen Geschenke, um damit unsere Wertschätzung auszudrücken, um uns bei jemand in Erinnerung zu rufen oder auch nur, weil wir uns dazu verpflichtet fühlen.
Wir verbringen Zeit mit Menschen, die uns wichtig sind, die uns brauchen, die wir jedes Jahr treffen oder mit Menschen, mit denen wir schlicht und einfach gerne zusammen sind. Und die Familie spielt dabei eine besondere Rolle. Der Sonntag nach Weihnachten ist in besonderer Weise der Familie gewidmet. Die Heilige Familie – Jesus, Maria und Josef – steht an diesem Tag im Mittelpunkt.
Dabei ist es gar nicht leicht, Familie zu definieren. Was macht die Familie aus? Ist es die Tatsache, dass wir Kinder unserer Eltern sind oder vielleicht dass wir selber Kinder haben? Ist es der Rahmen, in den diese Eltern-Kind-Beziehung eingebettet ist? Oder ist es die Ehe, die Partnerschaft, das Netzwerk all meiner Beziehungen?
Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Qualität unserer Beziehungen; auch wenn es nicht einfach ist, Kriterien dafür zu finden und sie zu bewerten.
Eine heilige Familie?
Wenn wir uns die Heilige Familie anschauen, finden wir vieles, das unseren unausgesprochenen Idealvorstellungen von Familie widerspricht. Sie eignet sich ganz und gar nicht, um daraus ein mustergültiges Bild von Familie abzuleiten. Was ist das Besondere an dieser Familie? so besonders, dass wir dafür das Wort "heilig" verwenden können?
Für mich hat die Heiligkeit der Heiligen Familie etwas mit der Qualität ihrer Beziehungen zu tun. Die Beziehung zwischen Josef und Maria ist durch eine tiefe Krise hindurchgegangen und offenbar daran gereift. Gewachsen ist auch ihre Beziehung zu Gott, einzeln wie auch gemeinsam. Es wird wohl eine längere Zeit gebraucht haben, bis sie im Kind, das ihnen anvertraut wurde, das Wirken Gottes zum Heil der Menschen und die Frucht des Heiligen Geistes erkennen konnten. Dieses gläubige Erkennen lässt ich für mich nur als Beziehungsgeschehen verstehen.
Die Qualität der Beziehungen dieser Familie ist für mich in zweierlei Hinsicht außergewöhnlich. Zunächst auf der menschlichen Ebene. Diese zeigt uns weniger, wie eine Familie idealerweise verfasst sein soll. Vielmehr fordert mir die Art und Weise, wie Josef und Maria miteinander umgehen und wie sie in extremen Belastungen zusammenhalten, Respekt ab.
Aufhorchen lässt mich aber auch die religiöse Tiefendimension ihrer Beziehung. Gott ist der innere Bezugspunkt dieser Familie, der sie zusammenhält und von der alle Kraft ausgeht.
Lebensqualität
Angesichts der Heiligen Familie frage ich mich: Welche geistliche Qualität haben meine Beziehungen? In der Ordensgemeinschaft, zur Herkunftsfamilie, zu meinen Freunden, zu Frauen und Männern in den Gemeinden, mit denen ich arbeite? Dabei geht es mir nicht um die Frage, wie oft und wie viel wir gemeinsam beten und Gottesdienst feiern. Vielmehr frage ich mich, in welcher Intensität verbindet mich Gott mit den Menschen, mit denen ich das Leben teile?
Mich fordert aber auch der menschliche Zusammenhalt dieser Familie heraus. Wie kann ich mir selbst und zugleich jenen Menschen treu bleiben, denen ich mich und die sich mir anvertraut haben? Wie können unserer Beziehungen Krisen und Belastungen durchhalten und darin sogar noch wachsen?
Weihnachten fordert mich heraus. Dieses Fest ist für mich mehr als eine Gelegenheit des Innehaltens, des Ausruhens und des sentimentalen Zusammenseins. Dieses Fest führt mich zu jener geheimnisvollen Kraft, von der meine Beziehungen leben und die ihnen Qualität verleiht.