Folie für eine große Geschichte
Das ist die große Geschichte! Kaiser Tiberius, Pontius Pilatus, Herodes, Philippus. Die fühlen sich wie die Herren der Welt. - Bescheidener kommen Hannas und Kajaphas aus ihren Ecken – Hohepriester. Beschränkter Machtbereich – Geistliche sozusagen. Wenn auch mit Ambitionen! Gott gefühlt besonders nahe. Mit Einfluss natürlich auch…
Na ja, die große Geschichte – wer kennt schon ihre Namen, ihre Geschichten, ihre Taten – oder Untaten? Allerdings gibt sich Lukas, der die Geschichte erzählt, nicht die geringste Mühe, diesen Herren – Damen sind nicht darunter – zu hofieren. Sie dürfen Folie spielen – Folie für die – noch größere Geschichte. Aber das wissen die noch nicht. Vielleicht hätten sie es wissen sollen! Dann wären die Geschichten von Kaiser Tiberius, Pontius Pilatus, Herodes, Philippus, Hannas und Kajaphas nicht mit Blutspuren besudelt, nicht mit Mord und Totschlag, nicht mit Angst und Schrecken. Übrigens: diese Herren werden uns auch im neuen Kirchenjahr immer wieder begegnen. Manchmal mit anderen, mit modernen Namen.
Rede in der Wüste
Während sie an ihrer Geschichte feilen und an ihrem Nachruhm, tritt Johannes, der Sohn des Priesters Zacharias, in der Wüste auf. Er predigt Umkehr, er predigt die Taufe zur Vergebung der Sünden, er predigt einen neuen Anfang. Nicht aus eigenem Drang! Lukas, der wunderschön zu erzählen versteht, führt seine Worte direkt auf Gott zurück. Es ergeht sein Wort an ihn. Die Formulierung ist so rätselhaft nicht, wie sie sich anhört. Wenn Gott redet, verwandelt er die Welt. Sie kann nicht so bleiben, wie sie ist. Im Psalm (33) heißt es sogar: Wenn er redet, geschieht es. Es geschieht, was er sagt! Wenn er sagt, „es werde Licht“, dann wird Licht, wenn er sagt „Deine Sünden sind dir vergeben“, dann sind sie vergeben, wenn er sagt, „kehrt um“, dann kehrt sich alles um, auch ich. Dass das in der Wüste gesagt wird, ist auch nicht zufällig. Die Wüste wird zu blühen beginnen! Das Evangelium ist ein Wider-Wort, ein Gegen-Wort gegen alles Tote, Vertrocknete und Versandete.
In der Wüste entspringt neues Leben. Betont! Da, wo eigentlich alles öde, vertrocknet, versteinert ist, öffnen sich die Quellen! Ich kenne Menschen, die lieben die Wüste. Die Einsamkeit. Die Weite. Die Nächte. Aber die Wüste steht auch für verlorenes, gefährliches, gefährdetes Leben. Die Einsamkeit ist nicht auszuhalten, die Weite auch nicht. Und die Nacht wird zu einem Alptraum. So merkwürdig es klingt: ein Herz kann versteppen, die Gedanken können verwehen, die Hoffnungen versanden. Menschen fühlen sich dann einsam und verlassen. Alles wird leblos, erstarrt. Selbst die erleuchteten Innenstädte in der Weihnachtszeit sind dann kein Lichtblick.
Wenn wir dann weiter sehen, stoßen wir tatsächlich auf Wüsten, die wachsen. Menschlicher Lebensraum wird unwirtlich und unfruchtbar. Die Schreckensszenarien werden in diesen Tagen wieder öffentlich gemacht. Das Meer frisst Land und die Erde versteppt. Wieder einmal wird in Paris über das Klima geredet. Wird es Vereinbarungen geben, die weltweit gelten? Oder werden wieder umfangreiche Formelkompromisse nichts sagen? Aber die Menschen, die nicht mehr leben können, werden Flüchtlinge…
Und auch das hat mit Wüste zu tun: Menschen fliehen vor Krieg und Gewalt. Landschaften, die einst blühten, sind von Waffen verwundet, von Ruinen übersät, von Hoffnungslosigkeit gezeichnet und doch gleichzeitig Spielbälle in der Hand der Mächtigen, die ihr eigenes Spiel spielen. Die Wahrheit weint über die Lügen. Doch viele Menschen verstummen.
Wüsten. Ich kann nicht einmal alles sagen, was sich in meinem Kopf bei diesem Wort zusammenbraut. Sand im Getriebe, Sand im Herzen...
Und dann die Predigt: „Eine Stimme ruft in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden.
Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“
Geebnete Wege
Johannes, dem wir gerade zuhören, hat seine Predigt abgeschrieben. Das ist kein Skandal, eher ein richtig gutes Zeichen. Was er sagt, hat vor ihm schon ein anderer gesagt. Die Predigt hat Geschichte, die Predigt schreibt Geschichte.
Als das Volk Israel im babylonischen Exil war, war das Leben selbst in der Hochkultur Wüste. Nur Wüste! Obwohl eigentlich alles bestens war: Große Literaturen, imposante Bauwerke, Prachtstraßen so weit das Auge reichte. Für ein Volk, das in der Verbannung war, also Flucht und Vertreibung kannte, schien Gott selbst verloren gegangen zu sein. Spurlos. Sein Tempel war in Schutt und Asche gelegt worden, die Stadtmauern niedergerissen, die Menschen verbannt. Jerusalem, die Heilige Stadt ein Schandfleck. Jetzt wächst Unkraut, wo einst die Felder bestellt wurden. Niemandsland. Öde. Trauer.
Damals trat ein Prophet auf, Jesaja. Er kündete eine neue Zeit an. Aufbruch. Gott hält sich nicht an den alten Geschichten auf. Auch nicht an den Schuldgeschichten. Gott liebt den neuen Anfang. Er liebt die Menschen. Er geht mit ihnen mit. Darum kommt er auch zu ihnen, bricht selbst auf! Der Prophet gibt tatsächlich zu verstehen, dass Gott aus seiner eigenen Geschichte mit den Menschen lernt! Davon erzählt Johannes lange danach. Das muss auch immer wieder erzählt werden. Das muss ich heute erzählen!
Ich höre eine Stimme. In der Wüste. Ich höre. Dann sehe ich einen Weg. Einen geebneten Weg. Meine Füße können gehen. Meine Hoffnungen lernen Laufen. Aber die größte Überraschung ist, dass a l l e Menschen das Heil sehen, das von Gott kommt. Schalom. Frieden.
Es ist nur die Rede in der Wüste, die einen neuen Weg eröffnet! Das Wort bekommt Macht, sogar Wüsten zu verwandeln. Kaiser Tiberius, Pontius Pilatus, Herodes, Philippus, Hannas und Kajaphas werden zu Zeugen einer neuen Geschichte gemacht. Ungewollt. Schon fast unter der Hand. Sie hätten es wissen können. Sie hätten wissen können, dass es so nicht weitergeht. Nicht einmal mit ihnen.
Ich kenne viele Wüsten. Auch viel Verwüstetes. Ich möchte rufen: Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen! Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt.“
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.