Paulus greift in seinem Brief an die Galater in einen Konflikt ein und stellt klar, worauf es im Glauben ankommt. Wir sind von Gott begnadet und beschenkt. Das Einhalten der Gebote und Regeln ist zwar notwendig, spielt aber eine der Gnade untergeordnete Rolle.
Konflikte in den Kirchengemeinden in Galatien
Die heutige Lesung aus dem Galaterbrief gewährt uns einen Einblick in Schwierigkeiten, die sich in manchen Urgemeinden auftaten. Paulus, der fest davon überzeugt war, zum Apostel für die Heiden berufen zu sein, machte sich auf den Weg und ging kraftvoll ans Werk. Er pilgerte durch Galatien, einem Landstrich in der heutigen Türkei, und gründete dort erste Gemeinden unter den Nichtjuden. Sobald er sie für stabil und gefestigt hielt, zog er weiter im Vertrauen, der Hl. Geist und Treue im Glauben würden die weitere Entwicklung und das Wachstum fördern und sichern.
Dies muss einige Jahre auch ganz gut gegangen sein. Denn Paulus befindet sich bereits in Griechenland, in Ephesus, als ihn die Nachrichten von den Vorgängen in Galatien erreichen. Offensichtlich haben sich einigen Gemeinden Juden angeschlossen. Sie drängen darauf: Wer Christ werden oder sein will, muss sich beschneiden lassen und sich außerdem an das jüdische Gesetz halten. Da Paulus als Jude dies nicht gefordert hatte, stellen sie ihn als jemanden hin, der erstens gar kein richtiger Apostel sei und zweitens die Forderung zur Beschneidung unterlassen habe, um sich bei den Heiden einzuschmeicheln und beliebt zu machen.
Paulus ist entsetzt und aufgebracht. Mit feurigen Worten und auch zornig entgegnet er: Ich bin Apostel – nicht von Menschen dazu beauftragt, sondern von Jesus Christus, dem Auferstandenen, persönlich dazu berufen. Und der Forderung zur Beschneidung und dem Einhalten des jüdischen Gesetzes hält er entgegen: Genau das ist das Entscheidende am Christentum, dass das Heil nicht durch Einhalten von Vorschriften zu erlangen ist, sondern im Glauben an Christus. Unser Heil ist ganz und gar Geschenk des Auferstandenen an die, die an ihn glauben. Diese neue Sicht, besonders für Judenchristen, hat zu damaliger Zeit viele Gemeinden, die aus Heiden- und Judenchristen zusammengesetzt waren, beschäftigt. Etwas mehr Ruhe trat dann mit dem ersten Apostelkonzil ein, wo die Sicht des Paulus als richtig bestätigt wurde.
Jesus und der heidnische Hauptmann
Gut zehn Jahre nachdem Paulus seinen Brief an die Galater verfasst hatte, begann Lukas, sein Evangelium zu schreiben, aus dem der Bericht unseres heutigen Sonntagsevangeliums entnommen ist. Es wird nicht eigens erwähnt, aber wir liegen sicher richtig, wenn wir vermuten, dass Lukas bei der Niederschrift dieses Textes auch das Problem der Urgemeinden im Blick hatte: Ist die Beschneidung und das Einhalten des jüdischen Gesetzes heilsnotwendig oder nicht? Lukas stützt und unterstreicht die Sicht des Paulus.
Der Hauptmann von Kafarnaum erbittet Jesu Hilfe für seinen kranken Diener. Jesus zögert nicht, mit einem Unbeschnittenen in Kontakt zu treten, was aus jüdischer Sicht nicht erlaubt war. Ohne langes Überlegen und Abwägen macht sich Jesus sofort auf den Weg. Das Geschehen unterwegs gewährt uns den entscheidenden Einblick in die innere Haltung Jesu. Der Hauptmann lässt die Nachricht überbringen: Ich bin eines Besuches deinerseits nicht würdig. Sprich einfach ein Wort und mein Diener wird gesund werden. Glaube und Ehrfurcht dieses Heiden sind das Verbindende zwischen dem Hauptmann und Jesus. Obwohl es äußerlich nicht einmal zu einer direkten Begegnung kommt, begegnen sich beide sehr tief innerlich. Diese innere Verbundenheit ist es, die den Menschen in die Gemeinschaft mit Christus führt.
Mit seinem Bericht vom Hauptmann aus Kafarnaum liefert Lukas ein Paradebeispiel dafür, worauf es im Christentum ankommt. Jesus selbst wird als Zeuge in den Blick gebracht. Der Hauptmann muss sich nicht erst beschneiden lassen. Jesus heilt den Diener auch nicht als ein „Danke schön!“ an den Hauptmann, weil dieser den Juden in Kafarnaum viel Gutes getan hatte. Es ist das Vertrauen in Jesus, der Glaube an ihn, der Jesus bewegt, sich des Menschen anzunehmen und in Verbundenheit mit ihm ein Helfer für ihn zu sein. Gleichsam als Hinweis zum Nachdenken und als Mahnung sagt Jesus zu den ihn Umstehenden: In Israel, also bei den Beschnittenen und den sich zum Volk Gottes Zählenden, habe ich einen solchen Glauben, wie der heidnische Hauptmann ihn mir entgegengebracht hat, nicht gefunden.
Begnadet und beschenkt
Wenn wir uns fragen „Welchen Gewinn können wir für uns aus den heutigen Abschnitten der Bibel ziehen?“, dann dürfen wir regelrecht aufjubeln über den Brief des Apostels Paulus an die Galater. Er ruft uns neu ins Gedächtnis, dass wir begnadet und beschenkt werden, wenn wir uns dem Herrn anvertrauen, enge Verbindung zu ihm suchen, unser Heil von ihm erwarten.
Paulus und Lukas sagen uns dies nicht als eine von ihnen erfundene Meinung. Sie verweisen uns auf Jesus. Wir sollen betrachten, wie er sich der Menschen annahm. Jesus war es gleich, in welcher Situation sich die Einzelnen befanden: Heide, Jude, Frommer, Sünder, Verachteter, Abgeschobener, geldgierig, bedacht auf äußeres Ansehen. Dort, wo Hinkehr zu ihm geschah, war und ist Jesus offen für Verbundenheit mit ihm, verleiht er Kraft, das Vergangene hinter sich zu lassen, um nach einem Leben im Einssein mit ihm zu streben.
Regeln und Gebote als Stützen des Glaubens
Und noch ein Zweites sollten wir uns neu bewusst machen: Im Bereich des Glaubens Regeln zu schaffen, Gebote aufzustellen, ist nicht von vornherein etwas Negatives. Gebote, Regeln, Gewohnheiten helfen uns, unseren Glauben lebendig zu gestalten. Es stimmt ja nicht, dass die Christen, die sich an keine aufgestellte Norm oder Regel, an keine Gewohnheit oder Gepflogenheit mehr halten, ihren Glauben automatisch prickelnder und anziehender leben. Wenn das so wäre, welche Erneuerung hätte da seit Jahren in unsrer Kirche stattfinden müssen! Nur das muss uns andererseits ebenso bewusst bleiben: Regeln, Gebote, Gewohnheiten sind Stützen, Hilfen für einen lebendigen Glauben. Erst die innige, lebendige Beziehung zu Gott sagt mir, wie ich gestalten soll, woran mich Regeln, Gebote, Gewohnheiten erinnern. In einer lebendigen Beziehung zu Gott werden wir uns immer wieder fragen: Wie gestalte ich die Regeln, Gebote, Gewohnheiten, die mir als Hilfe und Erinnerung an die Hand gegeben sind?
Die Judenchristen, die in den Gemeinden Galatiens mit ihren Forderungen auftraten, unterließen die Besinnung auf Jesus und sein Verhalten den Menschen gegenüber. So verfielen sie auf das Madig-Machen des Paulus. Vor einer solchen Haltung sollten wir uns wach und aufmerksam bewahren. Ob unser Glaube lebendig und Gott wohlgefällig ist, hängt nicht davon ab, wie eisern wir nach außen hin Gebote und Vorschriften einhalten und vehement Gleiches von anderen fordern, sondern davon, ob unser Handeln vom Geist Jesu geprägt ist.
GastautorIn (2016)