Durchkreuzte Hoffnungen
Eine Frau Mitte vierzig erzählte mir einmal, wie ihre Lebenspläne immer wieder durchkreuzt wurden. Als Studentin hat sie ihr Studium abgebrochen, um sich ganz ihrem Kind, das sich überraschend angekündigt hatte, widmen zu können. Ein weiteres kam dazu. Noch bevor die Kinder alt genug waren und sie ihr Studium wieder hätte aufnehmen können, wurden die Schwiegereltern pflegebedürftig und sie brachte es nicht übers Herz, sie in Pflege zu geben, um ihr Studium fortsetzen zu können. Und so ging es dann weiter.
Als sie mir das erzählte, hätte sie Zeit gehabt weiterzustudieren. Doch nun fühlte sie sich zu alt dafür. Nun litt sie darunter, dass ihr alle Felle davongeschwommen sind.
Noch während sie mir ihre Geschichte erzählte, spürte ich, dass zwischendurch Momente der Freude und auch der Befriedigung aufblitzten. Etwa als sie mir beschrieb, wie sich ihre Kinder entwickelten, oder was sie von den alten Menschen, die sie pflegte, zurückbekam. Sie versicherte mir, dass sie von all dem nichts missen möchte.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs versuchte ich, sie behutsam an einen Punkt zu führen, von dem sie ihr Leben aus einem gewissen Abstand betrachten konnte. Aus dieser Perspektive sah sie, dass ihre Lebenspläne zwar immer wieder durchkreuzt wurden, dass ihr aber vieles zugewachsen ist, was sie nie hätte planen können. Neben den verlorenen Chancen sah sie, wie reich sie beschenkt worden ist, und dass sie Begabungen entfaltet hat, die ihr davor gar nicht bewusst waren. Nach diesem Rückblick begann sie, neue Aufgaben für ihr weiteres Leben in Erwägung zu ziehen.
Gottes Handschrift
Das Evangelium des vierten Adventsonntags erzählt uns von Josef, dem Mann Marias, wie er die Ereignisse um die Schwangerschaft seiner Verlobten und die Geburt des Messias erlebt hat. Zunächst muss auch für ihn, was ihm da zugemutet worden ist, ein bitterer Strich durch seine Lebenspläne gewesen sein.
Beschäftigt man sich darüber hinaus mit dem Textabschnitt, der dieser Erzählung vorausgeht, findet man noch mehrere Durchkreuzungen von Hoffnungen eines ganzen Volkes. Da wird eine lange Liste von Namen genannt; von Abraham über David bis hin zu Josef alle bedeutenden Persönlichkeiten des Gottesvolkes. Die Aufzählung steuert dem Höhepunkt zu: "Jakob war der Vater von Josef, dem Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus genannt wird...". Die Tatsache, dass Josef erstens kein bekannter und großer Akteur seiner Zeit und zweitens nicht der natürliche Vater Jesu war, fühlt sich an wie eine Ohrfeige für ganz Volk Israel und der Juden. Sie erinnert an die Not des Stammvaters Abraham und seiner Gattin Sara, die zunächst kinderlos waren und erst durch ein Eingreifen Gottes den ersehnten Stammhalter Isaak geschenkt bekamen.
Der Evangelist will uns damit wohl sagen: Gott schreibt Geschichte, nicht die Menschen. Die wähnen sich vielleicht als die großen Macher, doch die großen Zusammenhänge stellt Gott her.
Menschlich betrachtet müssen die Ereignisse um die Geburt Jesu dem Josef tiefe Wunden zugefügt haben. Umso höher ist zu schätzen, wie er seinen Part in der großen Partitur Gottes angenommen und ausgefüllt hat. Er hat angenommen, was menschlich nicht zu begreifen ist.
Hoffnung und Neuanfang
Die Adventzeit lädt ein, Bilanzen aufzustellen. In diesen Wochen geht es dem Jahresende zu und auf allen Ebenen wird Rückblick gehalten. Was hat das vergangene Jahr an Erfolgen gebracht? Was an unvorhersehbaren Überraschungen? Wie hat jemand das Unvorhergesehene bewältigt? Wo gibt es Misserfolge zu verbuchen? Oder wo hat ein Schicksalsschlag einen Strich durch die Lebensplanung gemacht?
Das Beispiel des hl. Josef und der Maria hilft uns, auch unser Leben aus einen anderen Blickwinkel anzuschauen. Der Glaube erlaubt uns, dass wir auch in unserem eigenen Leben nach der Handschrift Gottes suchen. Er, Gott, vermag auch aus scheinbar aussichtslosen Schicksalswegen Heilsgeschichte zu machen. Aus dem Abstand, den der Glaube an einen Gott, der mit uns geht - sein Name ist Emmanuel - uns ermöglicht, kann sogar aus einer vermeintlichen Sackgasse oder gar einer Katastrophe heraus ein Neuanfang möglich werden.