Eltern prägen die Kinder
"Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder große Sorgen." Eltern können ein Lied davon singen. Schwierig ist der Übergang von der Kindheit ins Erwachsensein. Kinder nehmen von ihren Eltern mehr mit, als ihnen normalerweise bewusst ist. "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm". Das gilt im Guten wie auch im weniger Guten. Es betrifft das biologische Erbgut wie auch die persönliche und charakterliche Prägung. Die meisten Eltern wenden für die Erziehung ihrer Kinder viel Mühe auf. Nicht immer sehen sie gleich auch die Früchte ihrer Anstrengungen. Am Muttertag und am Vatertag haben wir Gelegenheit, unseren Eltern für all ihre Mühen zu danken.
In diesem Jahr fällt der Muttertag auf den Sonntag zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten. In der Entwicklung der Kirche war das auch eine sensible Phase des Übergangs, eine Art Erwachsenwerden der jungen Kirche, vergleichbar dem Heranwachsen von Jugendlichen.
Die junge Kirche stellt sich auf die eigenen Füße
In der ersten Lesung hörten wir, wie sich die Jüngerschaft Jesu nach der seiner Himmelfahrt sammelt und für die Weiterführung seines Werkes rüstet. Die junge Kirche steht vor einer ganz neuen Situation. Solange Jesus mit seinen Jüngern und Jüngerinnen unterwegs war, war ihr Leben durch den Umgang mit ihm bestimmt. Nun wollen sie durch ihr eigenes Tun und Reden weitertragen, was sie von Jesus gehört und gesehen und was sie mit ihm erlebt haben. Zugleich stehen sie mit dem Anwachsen der jungen Gemeinschaft vor organisatorischen Herausforderungen, die sich ihnen zuvor nie gestellt haben. Als Ersatz für Judas suchen sie einen, der wie sie von Anfang an von Jesus geprägt worden ist, und wählen durch das Los einen von zweien aus, die sie für geeignet hielten. Maßgeblich ist, was sie von Jesus mitbekommen haben.
Der Evangelist Johannes reflektiert den Übergang in eine neue Zeit in Abschiedsreden, die er Jesus in den Mund legt. Damit ruft er der jungen Kirche in Erinnerung, worauf es Jesus ankam, was er den Jüngern ans Herz legen und als Vermächtnis mitgeben wollte. Jesus ging es darum, Gott in der Welt präsent zu machen, einerseits durch seine Predigt vom Wirken Gottes in der Welt, andererseits durch die Zeichen, an denen die Menschen erkennen sollten, dass Gott da ist und nach wie vor in der Welt wirkt. Jesus ist es ein Anliegen, dass die Jünger dieses sein Werk weiterführen. Das ist aber nur möglich, wenn sie so von der Liebe Gottes erfüllt sind und mit Gott eins sind wie er selbst.
Von den Eltern geprägt
Gott geht es mit uns Kindern Gottes ähnlich, wie es Eltern mit ihren Kindern ergeht. Diese müssen irgendwann auf ihren eigenen Füßen stehen und ihren eigenen Weg gehen. Sie können sie nicht auf Schritt und Tritt begleiten. Sie können nicht alles Gefährliche und nicht alles Unheil von ihnen abhalten. Sie können ihnen lediglich Einstellungen und Haltungen mit auf den Weg geben, die sie befähigen, ihr Leben gut zu gestalten. Wie Jesus wünschen sie, dass ihre Kinder "das Leben haben und es in Fülle haben" und dass sie Lebensfreude in Fülle haben. An den Kindern liegt es zu entdecken, wie wertvoll das ist, was sie von den Eltern mitbekommen haben. Auch wenn sie vieles von ihrem geistigen Erbe abstreifen, weil es ihrer Meinung nach für ihre gegenwärtigen Herausforderungen nicht hilfreich ist, nehmen sie doch manches mit, wofür sie ihren Eltern dankbar sind. Es lohnt sich, von Zeit zu Zeit darüber nachzudenken, was wir an unseren Müttern und Vätern schätzen und welche Einstellungen und Haltungen in unserem Leben weiterwirken.
Sich von den Haltungen und Einstellungen Jesu prägen lassen
Im kirchlichen Leben stehen wir gegenwärtig auch in einem Umbruch, der uns vor ungeahnte Herausforderungen stellt. Es ist zwar nicht unwichtig, dass wir uns Gedanken machen, wie wir kirchliches Leben in Zukunft organisieren, entscheidend wird aber sein, dass wir uns der Haltungen und Einstellungen bewusst werden, die wir von Jesus geerbt haben: Seine innige Verbundenheit mit Gott, und wie er nicht müde wurde, die Liebe, die er von seinem Vater bekommen hat, an Menschen in seiner Umgebung weiterzugeben. Er war überzeugt: Wo Menschen diese Liebe zu spüren bekommen, erleben sie indirekt die Liebe und das Wirken Gottes.
Die Liebe, die wir von unseren Eltern her erfahren haben, war zugleich die Liebe Gottes. Die Liebe, die wir an andere Menschen weitergeben, ist zugleich die Liebe Gottes in unserer gegenwärtigen Welt. Wir sind berufen, diese heute sichtbar zu machen.