Historische Wirklichkeit
Wunderbare Dinge geschehen in der Weihnachtsgeschichte, die wir soeben gehört haben. Maria gebiert ein Kind. Der Himmel öffnet sich, die Nacht wird hell, Engel verkünden Friede und Freude, weil nun ein Retter gekommen ist. Es ist eine anrührende Geschichte und nicht die Einzige dieser Art. Auch andere Kulturen und Religionen kennen Geschichten von einem göttlichen Kind, das auf die Welt kommt und Frieden und Rettung bringen soll. Mit solchen Geschichten bringen die Menschen ihre Sehnsucht zum Ausdruck, es möge doch Licht geben in der Finsternis, Leid und Elend mögen ein Ende finden, das Leben möge einen Sinn haben trotz allem, was daneben geht.
Was aber sind solche Geschichten wert? Erzählen sie nur schöne Träume? Kleiden sie nur unsere Sehnsucht nach Licht und Erfüllung in den faszinierenden Stoff von Märchen? Das Evangelium, das Lukas aufschrieb, will mit Sicherheit mehr sein. Es will keine Geschichte sein zum Träumen, sondern es will Wirklichkeit benennen, ganz konkrete historische Wirklichkeit. Deshalb beginnt die christliche Weihnachtsgeschichte nicht mit dem Himmel, sondern ganz nüchtern mit Tatsachen dieser Welt. Da wird der Name des regierenden Kaisers genannt, Augustus. Und der tut, was zur Lieblingsbeschäftigung von Politikern aller Zeiten gehört. Er erhebt Steuern. Auch der Name des regionalen Regierungschefs wird genannt: Quirinius.
Mit diesen Namen will Lukas anzeigen, dass es bei allem, was er berichtet nicht um fromme Wünsche geht, sondern um Wirklichkeit. Da wird wirklich ein Kind geboren aus einer Frau, von der ebenfalls der Name genannt wird: Maria. Mit diesem Kind wird wirklich der Retter geboren, denn er ist "Christus, der Herr". Mit diesem Kind öffnet sich wirklich der Himmel, denn mit ihm kommt Gott selber als ein Mensch zu uns. Letzteres ist nun allerdings eine Wirklichkeit, die wir nicht mehr historisch nachprüfen können. Aber deswegen muss sie nicht weniger wirklich sein. Es ist die Wirklichkeit des Glaubens.
Wirklichkeit des Glaubens
Und damit sind wir nun beim alles entscheidenden Punkt angelangt: glauben wir dieser Botschaft, ja, oder nein? Wenn "nein", oder nur: "ja, aber", oder "vielleicht" - dann ist das halt eine schöne Geschichte, eine Geschichte zum Träumen, aber eben in der Art, wie Träume nur Schäume sind. Die Ungewissheit bleibt und wenn diese Welt das Einzige ist, wenn kein Himmel sich öffnet, dann spricht alles dafür, dass Finsternis und Tod das Letzte sein werden.
Wenn wir aber dieser Botschaft glauben, dann bedeutet das: Was das Weihnachtsevangelium berichtet, das ist für mich so wirklich, dass ich bereit bin, mein ganzes Leben und einmal auch mein Sterben darauf zu bauen. Dieses Kind Jesus ist dann für uns eben "Christus, der Herr". Auf ihn gründen wir unser Leben, von ihm her sehen und bewerten wir es, mag kommen was will. Und so wird dann das Weihnachtsevangelium in der Tat zu einer Botschaft, die große Freude bringt. Der innerste Kern der Wirklichkeit, aus der wir leben, ist Gott selber, jener Gott, der in Jesus Mensch wurde und alles angenommen und durchlebt hat, was Menschsein bedeutet.
Es ist bezeichnend, dass in dem Augenblick, wo Jesus zum Tod verurteilt wird, noch einmal ein Name genannt wird, der historisch nachprüfbar ist: Pontius Pilatus. Nicht nur die Geburt, sondern das ganze Leben und vor allem das Sterben dieses Jesus sind verankert in der historischen Wirklichkeit. Und alles, was an Jesus geschah, geschah nach den Worten der Hl. Schrift für uns. Jesus wurde Mensch, litt und starb "für uns". Für uns ist er auferstanden vom Tod und zu uns wird er wiederkommen, um alles zu jener Vollendung zu führen, die das Weihnachtsevangelium mit den Worten ausdrückt: "Verherrlicht ist Gott in der Höhe und Friede ist auf der Erde".
Wirklichkeit mit Tiefenstruktur
Noch einmal: glauben wir das? Es wird oft gesagt, es sei heute schwerer zu glauben als früher. So habe ich lange auch gedacht. Heute sehe ich das anders. Glaube ist für keinen Menschen das selbstverständlich Oberflächliche. Der glaubende Mensch will und muss den Dingen auf den Grund gehen. Der Glaube erfordert, die Wirklichkeit in ihren Tiefenstrukturen aufspüren und annehmen zu wollen. Und genau dort begegnet der Mensch keinem Geringeren als Gott selber.
Diesen Glauben feiern wir jetzt in der Eucharistie. In ihr ist alles zusammengefasst. In ihr ist alles gegenwärtig, was den Kern unseres Glaubens ausmacht und somit den Kern jener Wirklichkeit, die alles zusammenhält und allem Sinn gibt. Wenn wir jetzt Eucharistie feiern, dürfen wir Jesus begegnen, der Mensch geworden ist, in allem uns gleich, außer der Sünde. Wir dürfen Jesus begegnen als "Christus, dem Herrn", als dem Gekreuzigten und Auferstandenen, als dem Herrn der Geschichte, als dem Licht der Welt. Und dieses Licht ist aufgestrahlt in "jenen Tagen, als Kaiser Augustus den Befehl erließ, die ganze Bevölkerung des Reiches in Steuerlisten einzutragen".
Bekennen wir unseren Glauben. . .