Hinführung:
Esra und Nehemia waren wichtige Personen für das Volk Israel nach der Heimkehr aus dem Babylonischen Exil. Sie halfen beim Wiederaufbau und brachten dem Volk die Weisung Gottes nahe, damit das Zusammenleben im Land wieder neu gestaltet werden konnte.
Lesung aus dem Buch Nehemia:
In jenen Tagen
brachte der Priester Esra
die Weisung vor die Versammlung,
Männer und Frauen
und überhaupt alle, die schon mit Verstand zuhören konnten.
Vom frühen Morgen bis zum Mittag
las Esra auf dem Platz vor dem Wassertor
den Männern und Frauen und denen, die es verstehen konnten,
daraus vor.
Das ganze Volk lauschte auf das Buch der Weisung.
Der Schriftgelehrte Esra stand auf einer Kanzel aus Holz,
die man eigens dafür errichtet hatte.
Esra öffnete das Buch vor aller Augen;
denn er stand höher als das versammelte Volk.
Als er das Buch aufschlug,
erhoben sich alle.
Dann pries Esra den HERRN, den großen Gott;
darauf antworteten alle mit erhobenen Händen: Amen, amen!
Sie verneigten sich,
warfen sich vor dem HERRN nieder,
mit dem Gesicht zur Erde.
Man las aus dem Buch, der Weisung Gottes, in Abschnitten vor
und gab dazu Erklärungen,
sodass die Leute das Vorgelesene verstehen konnten.
Nehemia, das ist Hattirschata,
der Priester und Schriftgelehrte Esra
und die Leviten, die das Volk unterwiesen,
sagten dann zum ganzen Volk:
Heute ist ein heiliger Tag zu Ehren des HERRN, eures Gottes.
Seid nicht traurig und weint nicht!
Alle Leute weinten nämlich,
als sie die Worte der Weisung hörten.
Dann sagte er zu ihnen:
Nun geht, haltet ein festliches Mahl
und trinkt süßen Wein!
Schickt auch denen etwas, die selbst nichts haben;
denn heute ist ein heiliger Tag zur Ehre unseres Herrn.
Macht euch keine Sorgen;
denn die Freude am HERRN ist eure Stärke.
Die beiden Bücher Esra und Nehemia gehören eng zusammen und erzählen von der Situation der Rückkehrer aus dem Babylonischen Exil. Es wird in diesen Texten vom Aufbau Jerusalems erzählt, auf das Exil zurückgeschaut, aber auch in die Zukunft geblickt mit der Frage, wie man sich als Gemeinschaft neu findet und nach der Weisung Gottes leben kann.
Zeit und Ort
Die Szene, die in der Lesung geschildert wird, ist in Vers 2 mit einem genauen und symbolträchtigen Datum versehen: der 1. Tischri (= 1. Tag des 7. Monats), das ist das jüdische Neujahrsfest. Auch der Ort (V. 1) ist für das Erzählte wichtig. Man versammelt sich am Wassertor, das ist in der Nähe des Tempels, aber nicht im Tempel. Es geht darum, die Weisung Gottes zu den Menschen, in ihren Alltag und in ihr Leben zu bringen, damit die Freude daran wachsen kann.
Der Text betont, dass das ganze (!) Volk zusammenkommt. Männer, Frauen, alle Menschen, die schon verstehend zuhören können, lauschen vom Morgen bis zum Mittag dem Wort Gottes. Einige Elemente der Szene erinnern an einen Synagogengottesdienst: die Weisung Gottes steht im Zentrum, besonderer Ort des Vorlesens, feierliches Öffnen der Rolle, Lobpreis und Antwort der Versammlung mit „Amen“.
Buch der Weisung – Tora
Das Wort „Weisung“ wurde oft mit „Gesetz“ wiedergegeben. Das trifft es allerdings nicht ganz, denn tora, das Wort, das im Hebräischen steht, meint weit mehr als nur Gesetze und Gebote. Es beinhaltet das ganze Spektrum von Gesetz über Weisung bis hin zur Lehre – und möchte Anleitung für ein gutes Leben sein. Der Begriff „Tora“ meint auch die fünf Bücher Mose (Pentateuch). Die Erzählung in Neh 8 vergegenwärtigt das Geschehen am Sinai. Dort wurde Mose und dem Volk die Weisung gegeben und ein Bund mit Gott geschlossen.
Das Verstehen steht im Zentrum
Der Text betont dreimal, dass das Verstehen der Weisung wichtig ist. Damit das Vorgelesene von allen erfasst werden kann, werden Erklärungen dazu gegeben. Dieses Verstehen löst eine tiefe Reaktion und Betroffenheit in den Menschen aus. In den Versen 9 und 10 werden sie aufgefordert, nicht zu weinen, sondern sich zu freuen und zu feiern, mit allem was dazugehört. Denn wenn die Weisung Gottes verstanden und gelebt wird, bewirkt sie im Menschen Freude und Stärke.
Freude
„Die Freude am Herrn ist eure Stärke!“ Man könnte auch übersetzen: Die Freude an Gott ist eure „Festung“ oder eure „sichere Burg“. Im Evangelium tritt Jesus auf wie Esra, als Schriftgelehrter, der vor einer Versammlung aus der Schrift liest. Jesus bringt Gottes Botschaft unter die Menschen, macht sie verständlich, indem er sie lebt, damit auch für uns die Freude an Gott zu unserer Stärke werden kann, aus der wir leben können, wenn wir danach leben.
Magdalena Lass
Esra und Nehemia werden von dem neuen persischen König Kyros entsandt, um das religiöse Leben aus der Gnade Gottes nach der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil zu reinstallieren und das Leben wieder an den Gesetzen Gottes zu orientieren. Ein Erlass aller Schuld und Schulden wird eingeführt, das Jobeljahr, das alle 50 Jahre sich wiederholt.
Wir erfahren von dieser initialen Feier, ein frühen Beleg von liturgischer Praxis aus dem 4. Jhdt. v. Chr.: die Schriftlesung, das feierliche Amen, die Auslegung der Texte, die Verehrung des Buches, die Teilnahme unterschiedslos aller.
Das Wort Gottes berührt die Hörerinnen und Hörer so sehr, dass sie zu Tränen gerührt sind. Die Feierlichkeit des Wortes wird noch unterstrichen durch ein abschließendes Fest.
© Claire Geyer, Pfarreihospitantin St. Peter u. Paul, Zürich.
Das Buch Nehemia gehört zum Chronistenteil des Alten Testaments. In der Zeit nach dem Exil suchte Israel neu seinen Platz und seine Form. 538 vor Christus erlaubte Kyrus die Rückkehr nach Jerusalem, 515 war der Tempel wieder aufgebaut.
Der Priester Esra kam von Babel nach Jerusalem, um das Gesetz zu verkünden. Es war der erneute Versuch, eine Alltagsordnung zu haben. Alltag war Alltag vor Gott, und das Gesetz gab an, was in diesem Alltag zu beachten ist: In dem Maß, wie das Gesetz als hilfreiche Lebensregel wahrgenommen wird, verbindet und ermutigt es.
Neh 8 zeigt uns Esra auf dem Höhepunkt seiner Wirksamkeit. Im 5. Monat des Jahres 458 (Esr 7,9) war der Schriftgelehrte Esra mit einer Gruppe von Juden aus Babel nach Jerusalem heimgekehrt. Er hatte vom persischen Großkönig Ataxerxes den Auftrag erhalt, der nachexilischen Gemeinde in Israel das Gesetz zu verkünden. Im 7. Monat ruft er das Volk zusammen, um in einer heiligen Versammlung den Gottesbund vom Sinai zu erneuern.
Neh 8,1-12 berichtet von der Verlesung des Gesetzes, die einer Bundeserneuerung gleichkam. Im Anschluss an dieses historische Ereignis feierte man das Laubhüttenfest. Das Wort Gottes hatte am Sinai das Volk zusammengerufen und zur Gottesgemeinde gemacht. Auch die Erneuerung des Bundes geschieht durch die Verkündigung des Gesetzes.
Die feierliche Entfaltung der Thora ist ein liturgischer Akt. Das ganze Volk erhebt sich, um dem Gotteswort seine Verehrung zu bezeigen. Dem Emporheben der Rolle folge ein kurzer Segensspruch, ein Lobpreis Jahwes. Darauf antwortet des Volk mit einem doppeltem Amen.
Die Gesetzesworte, die Esra vorlas, macht die Leute sehr betroffen – sie weinen. Er gebietet dem Weinen und Trauern Einhalt und weist auf den festlichen Charakter des Tages hin: Freude an Jahwe haben drückt sich auch aus, indem man gut isst und trinkt. "Die Freude am Herrn ist eure Stärke" fasst die Botschaft Esras an das Volk zusammen.
Bibelwerk der Diözese Linz (2025)
Gastautor*in (2022)
Norbert Riebartsch (2004)
Feri Schermann (2001)