Gottes Geist verbindet Menschen
„Im wesentlichen Falle, da brauchen wir uns alle
auf diesem Erdenballe, damit er nicht zerknalle.“
Soweit eine Textzeile des Liedes „Miteinander.“ Gottes Geist verbindet Menschen wesentlich, gleichwürdig und gleichwertig. Und: Wenn der Geist wirkt, bleiben Solidarität und Nächstenliebe unausweichlich.
Ein jüdischer Wanderprediger
Ein Wanderprediger erregt Aufmerksamkeit. Die ganze Gegend war informiert, kein Tag vergeht, wo nicht über ihn geredet wird. Er hat offensichtlich etwas zu sagen. Soviel, dass es Lukas drängt, seine Sichtweise der frohen Botschaft kundzutun und so die Glaubensweitergabe zuverlässig zu sichern.
Erfüllt von der Kraft des Geistes kehrt Jesus nach Galiläa, dem Bergland, dem Land des Volkes zurück, und ging, wie gewohnt, am Sabbat, dem Tag der Ruhe und Vollkommenheit, in die Synagoge. Dort entfaltet er mit den Worten des Propheten Jesaia sein Programm. Kurz, knackig, klar. Mit dem Geist Gottes im Rücken. Eine Botschaft, die anknüpft an die Weisungen der Tora – so die jüdische Bezeichnung für die überlieferten Gesetze und gottgegebenen Vorschriften. An sie wird durch die Propheten immer wieder erinnert. Jesus reiht sich nahtlos in diese Tradition ein. Altbewährtes hat offensichtlich nichts an Wichtigkeit verloren.
Die Grundlage der Lehre will erzählt und dadurch gesichert werden. Tora zu tun bleibt immer wieder Aufgabe, vom Volk Israel bis zu den jungen Gemeinden des neuen Weges. Denn wer Tora tut, wird leben. So ist die Zusage. Jesus ist der, der Tora immer wieder getan hat. Nicht sie aufzuheben, sondern sie zu erfüllen ist sein Auftrag. Was konkret zu tun ist, da greift Lukas auf den Propheten Jesaia zurück. Es ist also scheinbar das zu tun, was immer schon zu tun war. Im Westen nichts Neues unter der Sonne.
"Er hat mich gesandt, den Armen eine frohe Botschaft zu bringen, den Gefangenen die Entlassung verkünden, den Blinden das Augenlicht. Dazu noch die Zerschlagenen in Freiheit setzen und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufen."
Er hat gesandt. Jesus benennt klar seinen Auftraggeber, der auch Auftraggeber für alle Zuhörer in der Synagoge ist. Und erklärt mit den Worten des Propheten quasi den Anwesenden, was auch sie zu tun hätten. Immer schon. Lukas spannt den Bogen auch auf uns.
Die Armen und Besitzlosen im Mittelpunkt
In seiner Grundsatzerklärung stellt Jesus die Armen und Besitzlosen, die, die sonst nicht im Blick sind, in den Mittelpunkt. Heute wären es vielleicht Bootflüchtlinge, Bettler, Kranke, Gefangene, Geschlagene, Getretene, MigrantInnen, Arbeitslose oder Menschen, die von ihrer Arbeit nicht mehr leben können, prekär Beschäftigte. Präsent zu sein, da zu sein, wenn Menschen uns brauchen, ist die klare Botschaft. Hinschauen, sich berühren lassen und hingehen. Jesus macht kein großes Programm daraus, in wenigen Sätzen wird klar, was zu tun ist. Was jede und jeder tun kann und muss.
Wenn Worte der Tradition und der Bibel praktisch werden, zum Handeln anregen und ermutigen, über uns hinaus auf andere zuzugehen, dann passiert das, was Jesus benennt: „Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt“. Dann nämlich, wenn eine Gemeinschaft, eine Gesellschaft entsteht, wo wir einander nicht egal sind, wo uns der und die andere unbedingt angehen. Eine Gesellschaft, wo der und die eine dem und der anderen Nächste und Nächster ist. Möglicherweise noch Utopie, jedenfalls aber Anregung und mögliche Ausrichtung, wie es in unserer Gesellschaft auch sein könnte. Solche Geschichten und Narrative sind notwendig. Sie können Hoffnungen, Wünsche, Visionen begründen. Die herrschenden Verhältnisse werden umgestülpt und auf den Kopf gestellt, Utopie ist die Vorwegnahme von Veränderung.
Gesellschaftliche Utopien
Welche Geister beraten uns? Welches Gnadenjahr rufen wir aus? Welchen Botschaften trauen wir? Schaffen wir es, der neoliberalen Vereinzelung und der Botschaft, dass jeder seines Glückes Schmied is,t andere Botschaften entgegenzuhalten? Nämlich, dass wir als Menschen immer aufeinander verwiesen und angewiesen sind, dass niemand alleine lebensfähig ist. Dass wir letztlich füreinander und für diese Welt gemeinsam Verantwortung tragen, es auf unsere Antworten, auf unser Tun ankommt. Wie verhalten wir uns in Bezug auf die Gemeinschaft, auf unsere Gemeinde? Denken wir von den Bedürfnissen und Grundlagen der Gemeinde her? Oder bin ich selber Dreh- und Angelpunkt?
Alle oder keiner, heißt es in einem Stück bei Bertolt Brecht. Ähnlich könnte auch Paulus gedacht haben im Korintherbrief, als er sein Bild von Gemeinde entworfen hat. Ein Leib, der viele Glieder hat, die den einen, einzigen Leib bilden. Gehalten und genährt vom einen Geist, der uns in der Taufe in die Gemeinschaft aufgenommen hat. Und der es schafft, gesellschaftliche Unterschiede aufzuheben. Keiner steht mehr über dem und der anderen, im Gegenteil. Gott hat dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, eine Umkehrung der gewohnten und vertrauten Werte dieser Welt also. Alle Glieder sind aufeinander bezogen. Niemand muss sich größer machen als er ist. Niemand muss jemand anderen klein machen um selber groß zu wirken.
Alle sind wichtig
Alle sind wichtig, damit gemeinsames Leben gelingen kann. Davon ist Paulus überzeugt. Und er geht es sinnlich und körperlich an. Alle Sinne sind wichtig und wesentlich, ergänzen einander. Ein schönes Bild, das Paulus anhand des menschlichen Körpers abhandelt. Es geht ums Menschsein in seiner Ganzheit. Begreifen, hingehen, sehen, hören, riechen, schmecken, fühlen - vielfältig sind die Zugänge und doch brauchen sie einander. Der Kopf kann nur dorthin gehen, wohin ihn die Füße tragen, das Auge kann genau schauen, wo es ein Hingehen braucht, wo Zuwendung nötig ist. Zum Beispiel zu den Rändern der Gesellschaft, wie es Papst Franziskus immer wieder ausdrückt und einmahnt. Stellt euch vor, euer Körper besteht nur aus Augen, wie könnt ihr dann noch hören? Oder nur aus Ohren? Was wäre dann mit dem Riechen? Alle Körperteile haben eine wesentliche Funktion und brauchen einander. Niemand kann zum anderen sagen: Ich brauch dich nicht. Wir tragen daher auch füreinander Verantwortung.
Wenn ein Glied leidet, leiden alle. Niemand kann uns egal sein. Das ist schon mal eine große Herausforderung an unsere individualistische und europazentrierte Art zu leben. Wir als Europäer brauchen drei Welten zum Leben, zum Vergleich dazu Afrika, das mit einer halben Welt auskommt. Selbst zusammengezählt und dividiert geht sich ein gemeinsames Überleben nicht aus. Und wenn genau diese Menschen sich auf den Weg machen in der Hoffnung auf ein anderes Leben, machen unsere Regierungen die Grenzen dicht. Ja schlimmer noch, sie lassen bewusst Menschen im Meer ertrinken. Das kann und darf uns als Kinder des lebendigen Gottes aller Menschen nicht unberührt lassen. Da muss der Leib mit seinen Gliedern aufstehen, in Bewegung kommen, den Mund aufmachen, die Hände reichen, Position beziehen, unmenschliche Regierungen entmachten.
Es gibt viel zu tun
Wir sind Glieder und Leib, bilden gemeinsam den lebendigen Leib der Gemeinde, der Kirche. Unser Tun bildet das Tun Jesu ab, oder nicht. Wir tragen Verantwortung, ob Menschsein gelingt, ein Mehr an Menschlichkeit mit unserem Tun in die Welt kommt. In der Gemeinde gibt es viel zu tun, es braucht viele Fähigkeiten, Aufgaben, damit ein lebendiges Gemeindeleben gelingen kann.
Was ist deine Aufgabe, dein Beitragen in dieser konkreten Gemeinde, in der Pfarre? In dieser Gesellschaft? In der Kirche? Paulus ermuntert, bei sich und gemeinsam nachzuschauen, wer was einbringen kann. Möglicherweise hat noch niemand die Frage so gestellt, ein Bild von Gemeinde so entworfen und man weiß daher noch gar nicht, was man alles kann. Üblicherweise geht man ja nicht von den Menschen aus, sondern von dem, was getan werden sollte und bringt sich so um Vielfalt und Fähigkeiten.
Strebt nach höheren Gaben. Paulus verwendet bewusst den Plural, reißt damit aus der Vereinzelung. Das soll uns ermutigen, dass gemeinsam immer mehr geht, als man alleine geglaubt hat. Eine Erfahrung, die ja nicht neu ist. Vier Augen sehen mehr als zwei, gemeinsam im Garten gearbeitet bringt erstens mehr weiter und ist auch noch lustiger und man hat gleichzeitig auch noch wen zum Reden. Jesus schickt seine FreundInnen auch zu zweit aus, sich gegenseitig stärken ist Programm. Bleibt die Frage an uns: Wer kann was zur Stärkung des einen beitragen? Bin ich mehr Hand, Auge, Fuß, oder Hand und Fuß, oder ... Und mit wem mag ich dafür unterwegs sein?
Gott ist ein Gott der Vielfalt, Israel zählt zwölf Stämme, es gibt vier Evangelien, Jesus hatte zwölf Apostel und viele Frauen, die seiner Botschaft getraut haben. Seien wir einander zugetan in Vielfalt, Solidarität und Liebe, in der Gemeinde, in der Pfarre, in Europa, weltweit. Denn der Leib ist einer und wir sind alle Glieder, gerufen einträchtig füreinander zu sorgen.
© Mag. Fritz Käferböck-Stelzer, Leiter TMA Nettingsdorf
Gastautor*in (2022)
Norbert Riebartsch (2004)
Feri Schermann (2001)