"We feed the world"
"We feed the world - Essen global" - so lautete der Titel eines viel beachteten Dokumentarfilms von Erwin Wagenhofer über die Produktion von Nahrungsmitteln für die Europäische Union. "Wagenhofer durchleuchtet in verschiedenen Abschnitten die unterschiedlichen Formen der weltweit industriell organisierten Rohstoffgewinnung, Produktion, Handel, Transport, Entsorgung und die Benutzung von Gentechnologie durch Lebensmittelkonzerne", fasst Wikipedia den Inhalt des Films zusammen.
Der Autor provoziert zum Nachdenken über die Produktionsbedingungen unserer Lebensmittel und über die Frage, wovon und wie wir uns ernähren. Wo alles herkommt und wie es entstanden ist, interessiert die meisten Menschen nicht mehr, wenn es auf dem Tisch steht. Es soll gut aussehen, gut schmecken und satt machen. Weitergehende Diskussionen würden unseren Appetit stören und vielleicht auch die Gemeinschaft um den Tisch durcheinander bringen. Und wenn dann im Geiste noch alle Platz nähmen, die nichts oder nicht ausreichend zu essen haben, dann würde es wohl den meisten endgültig reichen.
"Wir ernähren die Welt" ist in diesem Zusammenhang eine vollmundige Behauptung, welche die Art und Weise, wie manche Lebensmittel produziert werden, rechtfertigen will und eventuelle moralische Bedenken vom Tisch wischt.
Nahrung für den Leib und den Geist
Das Evangelium erzählt uns heute von einem Zeichen, das Jesus ganz bewusst gesetzt hat. Er war sich bewusst, was es bedeutete, wenn so viele Menschen ihm folgten und ihn hören wollten. Irgendwann taucht da die Frage auf, wovon leben die, woher sollen die vielen, die da zusammengekommen sind, zu essen bekommen. Wie man es dreht und wendet, das geht sich nicht aus. Tausende Menschen gleichzeitig zu verpflegen, ist eine große Herausforderung für jeden Veranstalter und muss gut durchdacht sein, wenn der Event nicht in einem Desaster enden soll.
Jesus geht es aber um eine noch viel grundsätzlichere Frage: Was nährt diese Menschen? Wer kann ihnen ausreichend geben, was sie zum Leben brauchen? Die rhetorische Frage Jesu an Philippus "Wo sollen wir Brot kaufen, damit diese Leute zu essen haben?", macht gleich von Anfang an klar, dass es hier nicht um ein organisatorisches oder logistisches Problem geht. Ihm geht es um mehr.
Nahrung für das ganze Volk Gottes
Die Vielschichtigkeit dieser Erzählung kommt vor allem auch in der Zahlensymbolik zum Ausdruck. Die fünf Brote können als Hinweis auf die 5 Bücher der Thora, die sog. 5 Bücher Mose, verstanden werden. Die zwei Fische können als Hinweis auf die traditionelle Formel "Gesetz und Propheten" (später wurden sie manchmal auch als Altes und Neues Testament gedeutet) verstanden werden. Auch nicht überhören dürfen wir den Hinweis, dass ein kleines Kind dies unter die Leute bringen kann. Das unscheinbare Bisschen entfaltet seine Kraft, wenn es miteinander geteilt wird. In der Hand Jesu und durch das Wirken Jesu wird die zunächst gering geschätzte Gabe Gottes, das Wort Gottes, zur Nahrung für die vielen; für alle, die dieses Geschenk Gottes annehmen. Was übrig bleibt, füllt zwölf Körbe. D.h. es reicht für das ganze Volk Gottes, für alle zwölf Stämme des Volkes Gottes.
Offensichtlich gibt es Parallelen zwischen dem Umgang mit unserer geistigen Nahrung und dem Umgang mit unserer leiblichen Nahrung.
Mit dem Zeichen der Brotvermehrung erdet Jesus sein langes Reden zu den Menschen über alles, was sie bewegt. Irgendwann muss jede fromme Rede auch konkret werden in einem entsprechenden Leben, handfest in etwas Essbarem. Umgekehrt können wir die Lösung von grundlegenden Lebensproblemen wie die Frage der Ernährung nicht abspalten vom Fragen nach dem Sinn und dem Wert des Ganzen.
Wer nährt die Welt?
Die Ernährung der Welt ist nicht in erster Linie eine Frage der Organisation und der Logistik, sondern eine Frage des Wollens und der Solidarität. Als ich in den Sechzigerjahren das Gymnasium besuchte, diskutierten wir angesichts der vielen hungernden und verhungernden Menschen auf der ganzen Welt heftig darüber, ob es jemals möglich sei, ausreichend Lebensmittel für so viele Menschen zu produzieren. Inzwischen ist die Weltbevölkerung auf mehr als das Doppelte angewachsen. Die Probleme sind die gleichen geblieben. Den meisten Menschen ist aber mittlerweile klar geworden, dass es weniger eine Frage des Könnens als vielmehr des Wollens ist, ob alle Menschen genug Nahrung finden. Hinzugekommen ist ein kritischeres Bewusstsein hinsichtlich der Qualität unserer Nahrung. Ein Zusammenhang zwischen der Qualität der Lebensmittel und der Geisteshaltung, aus der heraus sie produziert werden, wird immer greifbarer.
Die Fragen, was nährt uns, wer nährt uns und wovon ernähren wir uns, bleiben existentielle Grundfragen, auch wenn wir an unseren reichlich gedeckten Tischen darüber nicht gerne nachdenken. Die Geisteshaltung, mit der wir an diese Fragen herangehen, wird schlussendlich auch die Qualität unseres Lebens maßgeblich mitbestimmen.
Dank dem Schöpfer
Das Tischgebet ist in manchen Familien und Lebensgemeinschaften zu einer lästigen Pflicht geworden. Manche haben es stillschweigend aussterben lassen - Gründe und Ausreden kann man dafür genügend finden. Wo es jedoch gepflegt wird, erinnert es an den Schöpfer des Lebens, an den Geschenkcharakter unserer Lebensmittel - auch wenn wir sie reichlich bezahlen müssen und gutes Essen viel Arbeit kostet -, an die Tatsache, dass wir nicht allein vom Brot leben, und nicht zuletzt an die Herausforderung zur Solidarität mit allen, die nicht wissen, wie sie einigermaßen satt werden können.
Jesus hat mit der Brotvermehrung ein Zeichen gesetzt, um bewusst zu machen, wer uns nährt und was uns nährt. Setzen auch wir immer wieder Zeichen, um diese großen Zusammenhänge nicht aus dem Bewusstsein zu verlieren.
Norbert Riebartsch (2015)
Hans Hütter (2000)
Gabi Ceric (1997)