Gesetze und Gebote
Wenn das Parlament ein Gesetz beschließt, kommt es immer wieder vor, dass es von jemand angefochten wird, und der Oberste Gerichtshof es zur Gänze oder teilweise aufhebt. Das System der Gesetze und Rechtsnormen ist so komplex geworden, dass niemand mehr es ganz überblicken kann. So kommt es vor, dass unterschiedliche Rechtsauffassungen miteinander in Konflikt geraten. Übergeordnete Gericht prüfen, ob ein Gesetz mit den in der Verfassung oder in internationalen Verträgen festgeschriebenen Grundrechten vereinbar ist.
Religiöse Vorschriften und Gebote sind einfacher angelegt. Sie müssen ja für jeden verständlich sein. Sind sie deswegen aber auch schon einfacher zu handhaben?
Immer wieder treffe ich Leute, die bedauern, dass die meisten Leute die 10 Gebote nicht mehr kennen. Vor allem Kinder sollten sie auswendig lernen. Die 10 Gebote sind einfach, jeder könnte sie sich merken, und sie enthalten alles, was für das Zusammenleben der Menschen notwendig ist. Leider funktioniert das im praktischen Leben nicht immer wo einfach. Schon lange vor der Zeit Jesu zeigte sich, dass die Gebote allein nicht genügten. Jüdische Gesetzeslehrer entwickelten weitere Gebote und Verbote, um die Grundgebote auszulegen und ihrer Zeit anzupassen. Jesus kritisierte die Praxis der Gesetzestreue seiner Zeit. Er warf den Gesetzeslehrern vor, dass sie die Gebote an ihrem Geist vorbeiinterpretierten.
Die Gebote Jesu
Im Evangelium dieses Sonntags, es ist den Abschiedsreden Jesu entnommen, fordert Jesus die Jünger auf, mit ihm in Verbindung zu bleiben und aus Liebe zu ihm seine Gebote zu halten (Joh 14,15). Seine Gebote waren noch einfacher als die Gebote des Alten Bundes. Er legte einfach Wert auf die Gottes- und Nächstenliebe und präzisiert diese mit dem Satz: "Liebt einander, wie ich euch geliebte habe!" (Joh 13,34). Im Grunde reicht das. Doch wo unterschiedliche Auffassungen von dieser Grundregel aufeinandertreffen, kann es zum Streit kommen. Und ein Streit unter engagierten Gläubigen kann mitunter sehr heftig werden. Deshalb scheint mir der Zusatz, den Jesus an seine Forderung angehängt hat, sehr wichtig: "Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll." (Joh 14,16).
Diesen Geist haben wir nötig, wenn wir nach der Himmelfahrt Jesu in seinen Spuren weitergehen wollen. Seine Gebote sind sehr einfach, wir brauchen aber seinen Geist, um deren Bedeutung und Konsequenzen im konkreten Leben erkennen zu können. Kein Kirchenrecht und kein Lehramt kann ihn ersetzen. Um zu begreifen, was Jesus wollte und was er von uns heute will, müssen wir uns immer wieder in jene Erzählungen und Worte vertiefen, die berichten, wie er gelebt hat und was für ihn wichtig war.
Die Hilfe des Heiligen Geistes
Nicht alle Probleme lassen sich durch das Erfinden neuer Regeln lösen. Dies zeigte sich z.B., als Papst Franziskus vor wenigen Jahren die Familiensynode einberufen hat. Viele haben sich erwartet, dass der Papst am Ende der Beratungen neue Bestimmungen erlassen wird, wie in umstrittenen Fragen des Sexual-, Ehe- und Familienlebens umzugehen sei. Etwa wenn Ehen gescheitert sind und die Partner eine neue Beziehung eingegangen sind. Unzählige Varianten werden mittlerweile praktiziert. Wie kann man damit umgehen, ohne das Gebot der Liebe zu verletzen? Dafür eine Regelung zu finden, die allen Einzelfällen gerecht wird, ist derzeit kaum möglich.
Wenn Menschen im Geiste Jesu um eine Lösung ringen, zu der sie im Gewissen stehen können, dürfen sie darauf vertrauen, dass sie nicht aus der Liebe Christi und nicht aus der Liebe Gottes herausfallen. Für sie gilt: "Wer mich aber liebt, wird von meinem Vater geliebt werden und auch ich werde ihn lieben und mich ihm offenbaren" (Joh 14,21). Freilich besteht die Gefahr, dass manche sich die Gewissensentscheidung zu einfach machen.
müssen, dürfen, sollen
Staatliche Gesetze legen fest, was mir müssen und was wir nicht dürfen, sie bestimmen aber nicht, was wir sollen. Die 10 Gebote und auch die Gebote Jesu sagen uns, was wir sollen. Sie weisen uns den Weg zu einem Ziel. Dieses ist das Leben in Fülle, das zu bringen Jesus in die Welt gekommen ist. (Joh 10,10) Das Leben in Fülle wird uns geschenkt, wenn wir uns in die innige Liebe des dreifaltigen Gottes hineinnehmen lassen und uns bemühen, in seiner Liebe zu bleiben.