Einfach und unkompliziert
Die heutige Perikope ist für mich insofern sehr ansprechend, weil sie mir zeigt, was für Jesus wichtig ist. Und das sind einerseits "wir", die gewöhnlichen Leute - wie eben die Verwandtschaft eines seiner Jünger oder die "vielen", die er heilte und die an allen möglichen Krankheiten litten, - und andererseits ist es seine eigene Beziehung zum Vater, die Kraftquelle für sein Tun. Heute könnte man sagen: Er schaffte so für sich eine ausgeglichene "work-life-balance" oder das richtige Maß zwischen Aktion und Kontemplation oder, wenn sie so wollen, zwischen Empathie und eigener Psychohygiene. Und, wenn man das schafft, dann ist es schon etwas!
Für mich ist auch die Unkompliziertheit der ganzen Situation faszinierend. Er kommt in das Haus des Petrus zu einem Zeitpunkt, wo man sich doch normalerweise, wenn die Hausfrau krank darnieder liegt, keinen hohen Besuch einladet. In einer solchen Situation kann der Besucher auch leicht die eigenen Unzulänglichkeiten im Haus sehen. Aber das stört offensichtlich nicht. Es muss nicht alles perfekt sein. Es gibt Wichtigeres im Leben und das ist das Beziehungsgeschehen. Die Menschen selbst sind wichtig. Für Jesus ist es die Schwiegermutter, die er vom Fieber heilt, und für die Schwiegermutter, die geheilt wird, sind es die Gäste, die sie gleich bewirtet - oder wie es genau im Griechischen heißt: ihnen dient, sie bedient, für sie sorgt, sich um sie kümmert, ihnen hilft, sie unterstützt. Es sind genau die Tätigkeiten, die, wie wir aus der Apostelgeschichte wissen, die Diakone für die Armen in der Gemeinde gemacht haben. So tut sie an Jesus genau das, was er ihr vorher getan hat. So verstehen die frühen Gemeinden offensichtlich Christentum: sie sehen, fühlen, was der andere gerade braucht und helfen dort, wo er sich selber nicht helfen kann.
Wachsamkeit und Respekt
So sieht es die Kirche in ihrer Soziallehre auch heute noch. Da geht es nicht darum, dem anderen alles abzunehmen, sondern ihn dort zu unterstützen, wo er sich selbst nicht mehr helfen kann. Dazu braucht es aber einen sorgsamen, wachen Blick auf den anderen. Es braucht ein waches Interesse aneinander um überhaupt zu sehen, was jeder selbst kann und wo er der Hilfe der Gemeinschaft bedarf. Da ist viel Feingefühl und Verstand von Nöten. Dahinein passt weder der Paternalismus z.B. in der Medizin oder Politik, wie das Besserwissen wie der andere seine Probleme lösen muss oder dieses Abnehmen oder Übernehmen aller Selbstverantwortung, noch die Gleichgültigkeit einer Gesellschaft, in der jeder nur auf seinen eigenen Vorteil und seine eigene Bequemlichkeit bedacht ist. Beides ist Gift für eine funktionierende Gemeinschaft, ob es sich jetzt dabei um die Familie, die Freunde, die pfarrliche Gemeinschaft oder die Gesellschaft überhaupt handelt. Wir alle sind angesprochen und gefragt, einander in Wachsamkeit und Respekt vor der Würde des Anderen zu begegnen. Auch Jesus hat wie es heißt "viele" geheilt, er hat nicht aussortiert. Er ist auch für uns alle gestorben, hat allen Menschen seine Erlösung geschenkt, und so uns allen die gleiche Würde verliehen.
Kraft schöpfen
Dass uns das nicht immer gelingt, steht auf einem anderen Blatt. Es sind unsere eigenen Schattenseiten und Fehler, die uns daran hindern und unser Leben lang begleiten. Sie zu erkennen und positiv und kreativ damit umzugehen, erfordert viel Kraft. Das ist keine einzelne Kraftanstrengung, sondern fordert uns ein Leben lang heraus. Woher aber diese Kraft nehmen? Auch dafür zeigt uns die heutige Schriftstelle einen Weg. Schauen wir, woher Jesus die Kraft nimmt, das Leid der anderen wahrzunehmen und ihnen zu helfen. "… er steht auf, geht hinaus, auf einen einsamen Ort und betet". Aufstehen ist immer auch ein Akt des Willens - ob in der Früh, ob vom Wirtshaus - oder Kaffeehaustisch, ob von der Arbeit; aufstehen unterbricht das, was wir gerade tun, und ist der Beginn von Neuem. Und wenn wir anfangs von der ausgeglichenen work-life-balance gesprochen haben, so ist es manchmal oder besser regelmäßig auch für uns selbst besser, aufzustehen und uns von all dem, was um uns herum passiert und auch sehr wichtig ist, uns nach innen zu wenden, uns auch um uns selbst zu kümmern. Das rechte Maß ist dabei wichtig. Für die anderen da sein, aber auch für mich selbst da sein. Sich sammeln, Kraft schöpfen, auf andere Gedanken kommen, die Quelle in uns entdecken. Das führt unweigerlich zur eigentlichen Quelle alles Seins - zu Gott, zum Schöpfer und Vater, - zu Jesus, der uns vorgelebt hat, wie menschliches Leben in Einklang mit dem Willen des Vaters gelingen kann, - zum Heiligen Geist, der uns beisteht und Kraft zum Guten gibt, uns antreibt, uns dabei stärkt und hilft.