Die apokalyptischen Texte machen nicht Angst, sie decken die Ängste der Menschen auf. Es gibt die große Not, von der sie erzählen. Die biblischen Texte stellen ihr die Hoffnung der Glaubenden entgegen, denn Gott hat die Welt geschaffen und er bewahrt ihr die Treue.
Zeit der Not
Das hört sich alles nicht gut an! Daniel prophezeit eine „Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt“ – und Jesus sieht sogar nach der großen Not eine Sonne, die sich verfinstert und einen Mond, der nicht mehr scheint. Die Sterne fallen gar vom Himmel… Nach der großen Not. Kein Ende in Sicht. Es geht immer noch etwas. Und dann?
Gott hat die Welt geschaffen, ihr Licht geschenkt – und Sicherheit und Geborgenheit für alle Lebewesen, für die Pflanzen und Tiere, für die Menschen auch. Sogar für die Sterne!
Das verfällt jetzt alles. Ein apokalyptisches Szenarium – vollendete Angst. Es gibt für mich dann keinen Weg – und nicht einmal einen Chronisten – und niemanden, der seine Geschichten noch nachlesen könnte. Das hört sich alles nicht gut an!
Wer hat eigentlich diese Texte ausgesucht? Müssen wir sie heute lesen? Gibt es nichts Besseres? Freundlicheres? Eine Zumutung! Aber Zumutung lässt sich auch lesen als Zu-Mutung, etwas für den Mut. Daniel erzählt, was Menschen Angst macht – und Jesus, was sogar in unsere Hand gegeben wird!
Es gibt doch schon jetzt große Not – für viele Menschen tatsächlich so groß, dass sie dafür keine Beispiele haben. Sie nutzen alle Wege, ihrem Elend zu entkommen. Über die Berge. In unwegsamen Gelände. Auch über das Mittelmeer. In Booten, die Nussschalen gleichen. Sie hoffen, bei uns anzukommen, wenigstens aufgenommen zu werden. Von Daniel haben sie noch nie etwas gehört. Aber die Angst, unterzugehen, sitzt ihnen im Nacken. Kein Horrorfilm, kein Spiel, kein Nervenkitzel.
Tauschen möchte ich mit ihnen nicht. Ich liebe meine gewohnte Umgebung – und die vertraute Sicherheit. Ich möchte auch nicht aus der Bahn geworfen werden, nicht krank werden, nicht vor dem Nichts stehen. Nicht auszudenken, wenn… Es ist gar nicht so sicher, dass die Sterne am Himmel bleiben. Es ist auch nicht sicher, dass es in der Nacht einen Weg gibt. Es ist nichts sicher. Für viele Menschen, die das Gefühl haben, aus der Welt zu fallen .
Apokalypse
Apokalyptische Vorstellungen haben von Zeit zu Zeit ihre Konjunkturen. Sie können ganze Gesellschaften infizieren. Mit Angst und Schrecken. Sie können aber auch als Trostkulissen aufgebaut werden. Ein Bild taucht dann immer wieder auf. Das Bild einer Schwangerschaft. Um im Bild zu bleiben: Eine neue Welt entsteht. Eine neue Welt wird geboren. Sie kommt ganz sicher. Gott rettet seine Auserwählten, er lässt sie nicht untergehen.
Jedoch: die alte Welt zerbricht. Sie muss in ihren Grundfesten zerstört werden. Jetzt geht auch alles Böse zugrunde. Auch die Bösen. Endgültig, für immer, unumkehrbar. Wer soll sich dann fürchten, wem wird das Fürchten gelehrt? – Muss ich mich fürchten? Muss ich anderen das Fürchten lehren? Ist Furcht überhaupt angesagt? Geht es nicht um einen neuen Anfang?
Bei Daniel, einem der großen und letzten großen Propheten, heißt es:
"Doch dein Volk wird in jener Zeit gerettet, jeder, der im Buch verzeichnet ist. Von denen, die im Land des Staubes schlafen, werden viele erwachen, die einen zum ewigen Leben, die anderen zur Schmach, zu ewigem Abscheu. Die Verständigen werden strahlen, wie der Himmel strahlt; und die Männer, die viele zum rechten Tun geführt haben, werden immer und ewig wie die Sterne leuchten."
Hier ist von Verständigen die Rede, vom rechten Tun, von leuchtenden Sternen.
Von Menschen ist die Rede! Von Menschen, die verstehen, was die Stunde geschlagen hat.
Jesus erzählt zwar auch von einer Sonne, einem Mond, die nicht mehr scheinen und alles dunkel und eiskalt werden lassen, aber ER kommt! Die größten, ältesten Hoffnungen ruhen auf ihm. Menschensohn! Wir hören aus seinem Munde auch, dass er Engel aussendet, um die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenzuführen.
Markus, der Jesu Worte aufgeschrieben hat, lässt meine Fragen offen. Ich möchte gerne wissen, wer die von ihm Auserwählten sind, ich möchte auch gerne wissen, wer die Engel sind und wo die auf einmal herkommen. Vielleicht muss die Frage auch offen bleiben, damit ich die Auserwählten suche und in die Rolle eines Engels schlüpfe. Auserwählt sind die, die von Gott geliebt sind. Und Engel, die seine Liebe unter die Leute bringen. Dann wird die große Welt klein. Die Apokalypse fällt in sich zusammen. Nicht die Welt. Das ist die Pointe!
Darum ist es ist eine gute Idee, heute diese Texte zu lesen! Von Daniel, von Jesus. Und es ist eine große Aufgabe, menschliche Angst wahrzunehmen und der Hoffnung ein Gesicht zu geben. Zumindest bin ich auserwählt, ein Engel zu sein. Aber da fallen mir wohl auch noch andere Formulierungen und Bilder ein. Apokalypsen erzählen – merkwürdig genug – nicht nur von Untergängen, sie erzählen von Zukunft. Spannenderweise lesen wir die alten Geschichten auch, als kämen sie aus alten Chroniken. Das ist ein gutes Zeichen. Gott ist mit der Welt noch nicht am Ende.
Zukunft
Gelegentlich müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass wir auf falsche Sicherheiten setzen, dass unsere Geborgenheit nicht selbstverständlich ist, dass uns die Welt unter den Fingern kaputt gehen kann.
Gelegentlich kann uns sogar eine Apokalypse helfen, noch einmal neu hinzusehen: dass die Sonne scheint, der Mond aufgeht und die Sterne leuchten. Tag für Tag, Nacht für Nacht.
Gott hat die Welt geschaffen, er bewahrt ihr die Treue, er hat ihr seine Liebe anvertraut.
Gott ist auch in der „Zeit der Not, wie noch keine da war, seit es Völker gibt“…
Jesus sagt: "Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen."
Zeit der Hoffnung
Wer hat eigentlich diese Texte ausgesucht? Müssen wir sie heute lesen? Gibt es nichts Besseres? Freundlicheres?
Nein, die Welt ist zu zerbrechlich, unsere Hoffnung ist zu zerbrechlich, unsere Zukunft ist zu zerbrechlich, um sie ihrem Schicksal zu überlassen. Und den apokalyptischen Albträumen. Es ist doch der Mensch, der die größte Gefährdung allen Lebens ist. Mit seiner Gier, seinen Machtgelüsten, seinem Hass.
Apokalypsen spielen nicht mit der Angst – sie decken sie auf.
Jetzt können wir über die Abgründe reden, die sich vor unseren Augen auftun.
Jetzt müssen wir uns der Schuld stellen, in die wir Menschen verstrickt werden.
Gelegentlich müssen wir auf das Ende gestoßen werden, um den neuen Anfang zu entdecken.
Gelegentlich müssen wir an die Grenzen kommen, um das Paradies nicht zu verlieren.
Gelegentlich müssen wir klein werden, um noch einmal wachsen zu können.
Gott hat das letzte Wort. Ich möchte strahlen wie die Verständigen, die viele zum rechten Tun führen, und leuchten möchte ich wie ein Stern! Und ein Engel möchte ich sein, die von Gott geliebten Menschen zu suchen an allen Ecken der Welt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Hände
in Christus Jesus,
unserem Herrn.
Martin Stewen (2021)
Bernhard Zahrl (1997)