Reiche und Arme
Da erzählt Jesus im Evangelium wieder eine Geschichte. In der kommt ein reicher, namenlos bleibender Mann vor. Und der arme: kein x-beliebiger Arme, sondern beim Namen genannt, als Person erkannt. Lazarus. Es ist eine Geschichte über diese beiden. Sie selbst kommen miteinander nicht in direkten Kontakt und doch haben sie miteinander zu tun. Jesus erzählt diese Geschichte, um den Menschen etwas mitzuteilen. Sie wird auch uns heute erzählt. Doch was hören wir?
Der Reiche
Hören wir die Geschichte mit den Ohren eines reichen Menschen. Der sich alles leisten kann. Der "Tag für Tag herrlich und in Freuden leben kann". Mit keinem Wort wird kritisiert, dass er reich ist und Freude hat und dass es ihm gut geht. Es wird auch nicht explizit von ihm abverlangt, dass er mit den Armen vor seiner Tür hätte teilen sollen. Um was geht es ihm, dem Reichen? Was auf Erden so wunderbar ist, soll für ihn auch im Himmel weitergehen. Das wünscht er sich. Und geben wir es ruhig zu: jeder, dem es gut geht, würde es ihm gleich tun.
Doch es kommt anders, als er es sich denkt. Er landet in der Unterwelt. Schlimmer kann es gar nicht sein. Unwiderruflich. Er klagt. Das hätte er sich nicht erwartet. Von seiner Sorte gibt es noch andere, fünf Brüder nennt Jesus. Sie sollen zumindest gewarnt werden, dass sie sich überlegen, wie sie ihre "Anteile am Guten" aufteilen wollen. Doch die Geschichte sagt: das bringt nichts. Keine guten Aussichten.
Der Arme
Hören wir die Geschichte auch mit den Ohren eines armutserfahrenen Menschen. Dessen Gedanken Tag für Tag um die Frage kreisen, was er auf den Tisch bringen und wie er die Rechnung zahlen wird. Der Angst davor hat, dass die Heizung aussteigt und der Winter kommt. Und es noch kälter und trister wird als es schon ist in seinem Inneren. Er leidet an einer schlimmen Erkrankung, die ihn zum Aussenseiter macht. Er leidet Hunger, nicht allein körperlich. Nur Hunde leisten ihm noch Gesellschaft, lecken seine Wunder. Armut macht krank. Krankheit macht arm.
Jesu Geschichte sagt ihm, dass sein Leiden im Himmel aufgehoben ist. Vielleicht ist es auch nur eine Vertröstung. Aber liegt nicht doch trotzdem in dieser "ausgleichenden Gerechtigkeit", die der Arme sich zumindest im Himmel erhoffen kann, auch viel Trost, der Kraft gibt, die Leiden der gegenwärtigen Zeit zu überstehen? Wenn ich mir hier und jetzt nichts mehr erwarten kann, dann doch zumindest im Himmel. Ich, die ich jetzt weine, werde lachen können. Gute Aussichten.
Hier und jetzt Verantwortung wahrnehmen
Hören wir die Geschichte mit unseren Ohren. Was will Jesus uns damit sagen? Er stellt sich in diesem Fall nicht auf eine bestimmte Seite, weder auf die des Armen, was wir vielleicht durchaus erwartet hätten, wenn andere Reden Jesu in uns nachklingen: "Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt." Jesus verdammt hier nicht den Reichtum, wenngleich die Geschichte für den Reichen am Ende nicht gerade gut ausgeht. Es geht Jesus hier wohl um etwas anderes.
Die Geschichte lädt uns zum Innehalten ein, ganz klar - und zum Bedenken, was man an Gutem hier bereits erfahren darf, wie reich wir uns wissen dürfen, gerade auch angesichts der herrschenden Not in unserem Land, aber auch anderswo auf der Welt, wo Menschen um das nackte Überleben kämpfen. Sie gibt uns zu denken auf, wie wir unser Leben hier und jetzt führen. Später bzw. nach unserem Tod ist es zu spät. Es gibt diesen tiefen, unüberwindbaren, endgültigen Abgrund, der den Menschen daran hindert, etwas zu ändern. Auf das Leben hier und jetzt kommt es an. Und darauf, ihm einen Sinn zu geben, der "sich auch im Himmel und für den Himmel" bewährt.
Verschämte Armut
Sie kann unsere Aufmerksamkeit dafür schärfen, wie wir mit dem, was wir haben, umgehen. Besitz zu haben, bedeutet auch Verantwortung zu tragen. Sich selbst gegenüber und dem, der besitzlos vielleicht auch vor unserer Tür sitzt - ob wir es wissen oder nicht. Den armen Lazarus gibt es auch bei uns. Und er ist froh, wenn er einen Platz hat, von dem er nicht vertrieben wird. ("9 Prozent der Schweizer Bevölkerung ist arm. Die Armut ist auch "verschämt". Man vermeidet den direkten Blick, die direkte Begegnung mit Armen von Angesicht zu Angesicht. Wir halten uns auf Distanz, denn Armut riecht nicht gut." Prof. Franz Schultheiss; HSG St. Gallen).
Und sie lässt uns schliesslich vielleicht auch fragen, was wir denn erhoffen und was wir erwarten für unser Leben nach dem Tod. Wie wir das biblische Bild vom Aufgehobensein in Abrahams Schoss füllen.
Hören und fühlen
Jesus mutet uns mit dieser Geschichte einiges zu. Wie wir sie auch betrachten und Perspektiven wechseln: die Rechnung geht nicht so einfach auf. Die Geschichte wird mit dem Hinweis auf Moses und die Propheten beendet. Wer nicht auf sie hört, hört auch nicht auf den, der von den Toten aufersteht. Hinweis auf Jesus selbst. "Wer nicht hören will, muss fühlen.", lautet ein altes Sprichwort. Man kann es auch abwandeln und weiterführen: Wer hört, was in der Schrift steht, was Jesus sagt, der fühlt, was richtig und wichtig ist. Bitten wir Gott um ein hörendes Herz, das erkennen lässt, was Jesus mit diesem Evangelium mir persönlich für mein Leben/für die neue Woche mitgeben will.