Rationalisierungsmaßnahmen
Allerorten wird eingespart. Regierungen schnüren Sparpakete, Diözesen richten Pfarrverbände oder Seelsorgsräume ein, Orden schließen Niederlassungen, übergeben traditionsreiche Einrichtungen anderen Organisationen zum Weiterführen. Personalnot und wirtschaftlicher Druck machen Reorganisationsmaßnahmen notwendig. Worauf können wir verzichten? Was ist unser »Kerngeschäft«? So oder ähnlich lauten die Leitfragen.
Im Hintergrund steht die Tatsache, dass viele Menschen ihr Leben nach anderen Gesichtspunkten ausrichten, als dies noch die Elterngeneration getan hat. Viele fragen sich: Wieviel Religion brauche ich? Kann ich das, was sich meine Vorfahren aus der Religion geholt haben, nicht anderswo einfacher und "billiger" beziehen? Auch die, die nicht aus der Kirche austreten oder ihre Kinder vom Religionsunterricht abmelden, haben begonnen, aus dem vielfältigen Angebot der Kirchen, Religionen und Weltanschauungen das auszuwählen, was sie für ihr Leben als nützlich erachten. Was nicht mehr in ihre Vorstellungen passt, lassen sie einfach bleiben. Bei der Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst spüren wir das am heftigsten.
Dass bei den Gottesdiensten der Sparstift angesetzt wird, ist ein Trend, der schon eingesetzt hat, lange bevor man den sog. Priestermangel zu spüren begonnen hat. Die Messe darf auf keinen Fall zu lange dauern. Die Predigt soll so kurz als unbedingt nötig sein und hat nur eine Berechtigung, wenn sich die Teilnehmer "etwas mitnehmen" können. Eine Liedstrophe sollte jeweils genügen. Wozu drei Lesungen aus der Heiligen Schrift, wenn zwei den Vorschriften Genüge tun und sie noch dazu nur schwer verständlich sind. Je mehr Leute da vorne mitmischen, desto länger dauert das Ganze. Wozu brauchen wir das alles? Und wenn der Seelsorger nur mehr einmal im Monat in unser Dorf kommen kann, dann reicht den meisten eine Feier pro Monat. Wer unbedingt mehr will, kann ja hinfahren, wo es das gibt.
Bei Gottesdienst "sparen" ist keine Erfindung unserer Zeit. Die gegenwärtige seelsorgliche Not treibt nur auf die Spitze, was vermutlich zu allen Zeiten im Hintergrund eine Rolle gespielt hat. Wie viel Gottesdienst haben wir nötig?
Ich fürchte, dass bei diesen oder ähnlichen Überlegungen die entscheidende Frage außer Acht gelassen wird: Wer dient wem im Gottesdienst?
Wer dient wem im Gottesdienst?
Als ich Kind und Jugendlicher war, herrschte zumindest bei mir das Empfinden vor, dass ich als Christ Gott zu dienen habe. So formulierte es auch der Katechismus, den ich auswendig zu lernen hatte. Die Nichteinhaltung der Sonntagspflicht galt als schwere Sünde. Und wer ich ein guter Christ sein wollte, bemühte sich, zum Gottesdienst etwas beizutragen.
Mittlerweile herrscht eher die Auffassung vor, Gottesdienste sind ein Serviceangebot der Kirche. Gefragt sind Priester, die als Pastoralmanager für ein vielfältiges Angebot sorgen und die Nahversorgung aller Kirchenmitglieder sicherstellen. Ihre seelsorgerliche Kompetenz spielt nur mehr eine Nebenrolle. Kirche ist mancherorts zu einer spirituellen Dienstleistungsorganisation für alle Lebenslagen geworden. "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts", lautet das dazugehörige Schlagwort.
Der Dienst Jesu an uns
Das Evangelium vom Gründonnerstag erzählt uns, dass Jesus beim letzten Mahl mit seinen Jüngern ein starkes Zeichen gesetzt hat: Er legte sein Gewand ab, um gürtete sich mit einem Leinentuch und begann, seinen Freunden und Jüngern die Füße zu waschen; eine Aufgabe, die in einem gehobenen jüdischen Haushalt Sklaven an Gästen als Zeichen des Willkommenseins wahrzunehmen hatten. Als Jesus zu Petrus kam, wollte dieser zunächst diesen Akt ablehnen. Er mag gedacht haben: Das brauche ich nicht. Schließlich sind wir Freunde. Und wenn da einer dem anderen die Füße wäscht, dann eher umgekehrt. Offenbar konnte er mit dem Zeichen, das Jesus setzen wollte, nichts anfangen. Erst als Jesus ihm sagte, dass er den tieferen Sinn seines Tuns erst später begreifen werde, und ihm klar machte, dass er ohne diesen zeichenhaften Akt keinen Anteil, keine Gemeinschaft, an ihm und mit ihm haben könne, ließ er sich umstimmen.
Wenn ich auf die Erzählung von der Fußwaschung genau hinschaue, geht es Jesus um einen Dienst, den er an den Menschen tut und ohne den diese keinen Anteil an ihm haben. Petrus wird den tieferen Sinn dieses Zeichens erst begreifen, wenn Jesus seinen Dienst, für den das Füßewaschen nur ein Zeichen war, in seiner Hingabe am Kreuz vollendet haben wird.
Das Zeichen der Fußwaschung verstehen wir nur, wenn wir es im Zusammenhang mit dem Tod Jesu am Kreuz und mit seiner Deutung von Brot und Wein als Zeichen seiner Lebenshingabe an Gott und die Menschen sehen. Erst wenn wir diesen seinen Dienst annehmen, haben wir Anteil und Gemeinschaft mit ihm.
Ohne diesen Zusammenhang ist das Ansinnen Jesu, seinen Jüngern die Füße zu waschen, nicht mehr als das Service eines Dienstleisters wie z. B. einer Fußpflegerin. Auch darüber könnten wir schön meditieren und das demütige Beispiel Jesu loben. Es ginge aber an der entscheidenden Zielrichtung des Textes vorbei. Von diesen Standpunkt aus kann ich mich auch gut in Petrus hineinfühlen, der sagt: Danke, das habe ich nicht nötig. Von diesem Standpunkt aus kann ich auch alle verstehen, die sagen: Danke, diese eure Dienste brauche ich nicht.
Den Dienst Jesu annehmen
Gottesdienst feiern heißt für mich in erster Linie, den Dienst, den Jesus an mir vollziehen will, annehmen. Er nimmt mich mit hinein in seine Hingabe an Gott und die Menschen. Er macht sich zum Brot für das Leben der Welt und nimmt mich in dieses Geheimnis hinein.
Die Frage, wie wir unsere Gottesdienste gestalten und organisieren, wird uns begleiten, solange wir uns zum Gottesdienstfeiern versammeln. Und die Frage, was brauchen wir dazu und was und wie viel braucht jeder einzelne, muss immer neu gestellt werden. Brauchbare Antworten darauf werden wir jedoch nur finden, wenn wir den Gottesdienst als Dienst Gottes an uns, als Dienst Jesu an uns verstehen lernen.