Ist Gott mit uns?
Der Apostel Paulus spricht in seinem Brief an die Römer ein Problem an, das sich auch in anderen Religionen findet. Solange es uns Menschen gut geht, glauben wir Menschen leicht daran, dass Gott mit uns ist. Schon die Israeliten waren überzeugt, dass ihr Gott Jahwe ein sie liebender, ihnen helfender und in ihrem Leben gegenwärtiger Gott sei. Diese Überzeugung gerät nicht selten unter Druck und in einen gewissen Zweifel, sobald Lebenspläne hart durchkreuzt werden oder vorhandenes Wohlergehen zerbricht. Der Gedanke und die Frage kommen in uns auf: Wo bist du Gott, von dem ich mich geliebt, umsorgt und beschützt glaube?
Hinzu kommt, dass alle Religionen von ihren Gläubigen erwarten und sie dazu auffordern, das Gute anzustreben. Diese in sich richtige Erwartung wird aber oft verknüpft mit der Vorstellung: Weil Gott in die Herzen der Menschen zu schauen vermag, kontrolliert er uns in der Weise, wie wir Menschen Kontrolle ausüben. Und sofort stellt sich fast wie von selbst das Bild bei uns ein: Das Gute belohnt Gott, beim Versagen fallen wir aber in Ungnade, werden aus seiner Fürsorge und Hilfe ausgeschlossen. Da wir - jeder von uns - im Leben Misserfolge ernten, Schicksalsschlägen ausgeliefert sind, uns Krankheiten zuziehen, also unser Wohlbefinden durchkreuzt wird, werden wir alle herausgefordert, Stellung zu beziehen: Will ich trotz allem an einem gütigen und nahen Gott festhalten oder schlage ich mich eher auf die Seite derer, die gern von einem sich rächenden Gott sprechen? Immerhin wird im Alten Testament oft vom Zorn Gottes und einer Bestrafung des Volkes durch ihn gesprochen.
Gott ist und bleibt ein liebender Gott
Seit seiner Bekehrung vom Judentum zum Christentum kämpft Paulus gegen das Gottesbild eines strafenden und sich rächenden Gottes an. Deutlich sagt er in seinem Brief an die Römer: Christus Jesus, der auferweckt worden ist, sitzt zur Rechten Gottes und tritt für uns ein. Mit diesem Satz erteilt der Apostel keinen Freibrief für alles Unrecht und Böse, das wir anrichten. Falsch bleibt falsch, gemein bleibt gemein, Böses ist böse. Aber in der Reaktion unterscheidet sich Gott von uns Menschen. Er rechnet nicht mit uns ab, wie wir dies oft tun. Er verhängt weder Sanktionen noch entzieht er uns seine bis dahin gewährte Liebe und Nähe. Gott bleibt bei seiner eingeschlagenen Linie. Einzig durch seine Liebe und durch nichts anderes möchte er uns auf seine Wege führen und uns für sich gewinnen.
Wer sich von dieser Sicht, Gott ist und bleibt ein liebender Gott, überzeugen will, braucht nur auf das Leben Jesu zu schauen. Nie hat er sich darauf beschränkt, sich nur liebenswerten Menschen zuzuwenden. Gerade den Abgerutschten und Sündern hat er immer wieder seine Liebe und Nähe angeboten. Ohne Zwang auszuüben, ohne mit Gottes Zorn oder seiner Abwendung vom Menschen zu drohen, hat er alle aufgerufen: Kehrt um!
Einladung zur Umkehr
Die Einladung zur Umkehr ist der entscheidende Schlüssel. Nicht Fehler- und Sündenlosigkeit hat Jesus gefordert, sondern die Mühe und das Streben nach dem Guten und den Glauben an einen gütigen, barmherzigen Gott. Mühe und Streben nach dem Guten und den Glauben an einen uns liebenden Gott miteinander zu verbinden, darum ringt Paulus bei den Gläubigen. Der Apostel weiß und hat an sich selbst erlebt, dass menschliches Leben ohne Fehler und ohne Versagen nicht möglich ist. Paulus erkennt: Jesus übernimmt nicht das menschliche Verhalten, nämlich mit Verurteilung, Ausschluss oder Verachtung zu reagieren. Seine Antwort und Reaktion ist vielmehr der ermutigende Zuruf: Kehre um! Unterstelle dich neu der Gnade und dem Segen Gottes. Und Paulus kann beobachten, wie viele, deren Leben abgerutscht und zu einem großen Teil verkorkst war, gerade deswegen neuen Anlauf nahmen, weil sie nicht verurteilt wurden. Und dabei spürten die Betroffenen, wie Paulus es bei sich gespürt hat, das Mitwirken einer inneren Kraft, die ihnen nach ihrer Überzeugung nur von Gott geschenkt sein konnte.
Gestärkt mit der Kraft Gottes
Für Paulus ist klar: Erlösung und Heilshandeln Gottes besteht nicht darin, dass die Jünger und Christen künftig nicht mehr versagen, sondern dass sie gestärkt mit der Kraft Gottes ein Leben lang Mühe und den Willen zur Umkehr aufbringen, verbunden mit dem Vertrauen in Gottes Beistand und Mitwirken. Dem Apostel ist es recht, wenn wir über uns selbst und so manche unserer Taten beschämt dastehen. Denn Versagen bleibt Versagen und Sünde bleibt Sünde. Aber in der Verurteilung und Anklage gegenüber uns selbst und anderen sollen wir nicht stecken bleiben, sondern uns in der Freude über einen gnädigen Gott uns selbst und andere aufrichten zu neuer Umkehr. Dabei will Christus uns beistehen und für uns eintreten, damit wir aus unserm Versagen immer neu aussteigen und wieder neu mit dem Ringen um das Gute beginnen.
Paulus stellt in seinem Brief auch noch die Frage: Wer kann euch anklagen, wer euch verurteilen? Hier sollten wir nicht zu schnell mit der Antwort "Keiner!" zur Stelle sein. Auf das, was man uns Christen infolge mancher unserer Taten und unseres Verhaltens vorwirft, sollten wir genau hinhören, um zu prüfen, welche Kritik berechtigt ist. Wir sind nicht fehler- und sündenlos. Zu dem, was falsch ist und Versagen bedeutet, sollten wir stehen: im Großen wie im Kleinen. Nicht Sündenlosigkeit zeichnet uns aus, sondern der Wille und die Anstrengung, nicht im Versagen zu verharren. Mit der Gnade Gottes und in der Kraft des Hl. Geistes sich dem Guten immer wieder neu zuzuwenden, darin gilt es, sich auszuzeichnen, dazu will Paulus ermutigen.
Lassen wir uns von Paulus ansprechen, unser Gottesbild auf einen uns liebenden und nicht uns strafenden Gott auszurichten. Machen wir Ernst mit Jesu Aufruf zur Umkehr. Wahre Reue zielt auf die Tat und begnügt sich nicht mit beschämenden Gefühlen über sich selbst. Anstrengung in das Bemühen um das Gute zu bringen, ist die einzig richtige Antwort auf Fehler und Versagen. Und dabei dürfen wir uns der Gnade und Hilfe Gottes gewiss sein.
Alfons Jestl (2000)
Hans Hütter (1997)