Die vielen Völker
Heute passt alles zusammen: die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, der Brief an die Gemeinde in Rom - und dann das Evangelium! Es geht um die vielen Völker - und wie sie bei Gott angesehen sind. Ein spannendes Thema - und ein Thema, in dem es um das Überleben und die Zukunft der Menschen geht.
Vor 100 Jahren - im August 1914 - tobt der 1. Weltkrieg. Gerade hat er begonnen. Die Völker haben sich den Krieg gegenseitig erklärt - wie in einem Rausch. In einem Bestseller unserer Tage ist zwar von "Schlafwandlern" die Rede, aber das kommt eher dem Bedürfnis entgegen, noch nach Jahrhunderten die Unschuldslämmer zu spielen. Oder die Opfer. Nur nicht die Täter. Es sind die anderen, die - mitten im Frieden - den Krieg begonnen haben. Immer. Manche glauben es bis heute. Die Wahrheit wollen sie nicht hören. Sie ertragen sie nicht.
Wenn ich an die Konfliktherde heute denke - unwillkürlich - tauchen diese Strickmuster wieder auf. Es wird interpretiert, versteckt und gelogen. Kommentare wälzen sich hin und her. Wortschwaden liegen wie Dunst über den Abgründen. Die Wahrheit ist die erste, die erschossen wird. Dann wird sie in Propagandaschlachten wild ausgeschlachtet. Am Ende liegt sie in zerfleddert auf der nackten Erde. Geiern und Hyänen zum Fraß vorgeworfen.
Heute passt alles zusammen: die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, der Brief an die Gemeinde in Rom - und dann das Evangelium! Es geht um die vielen Völker - und wie Gott um sie wirbt. In einer Liebe, die es mit dem Tod aufnimmt.
Haus für alle Völker
Bleiben wir einmal an der ersten Station stehen. Jesaja - es ist der dritte mit diesem Namen - begleitet Menschen, die voller Hoffnung an das Ende des Exils in Babylon denken können. Der neue Abschnitt ist zum Greifen nahe. Alles riecht nach Aufbruch. Jetzt darf sich aber auch kein falscher Ton einschleichen. Selbstgerechtigkeit ist nicht angesagt. Rachegefühle auch nicht. Wenn schon neu anfangen, dann richtig: "Wahrt das Recht, und sorgt für Gerechtigkeit; denn bald kommt von mir das Heil, meine Gerechtigkeit wird sich bald offenbaren!"
Es ist wie ein Paukenschlag: Wacht auf! Klar, es war eine harte Zeit für Israel, auch eine Zeit, sich mit der eigenen Schuld auseinanderzusetzen, aber wenn es überhaupt weitergehen soll, wenn es eine Zukunft geben kann, dann nur mit Recht und Gerechtigkeit. Recht und Gerechtigkeit werden zu Namen Gottes, der sein Volk nicht fallen lässt - aber die anderen Völker auch nicht. Mit alten Rechnungen ist kein Staat zu machen - im wahrsten Sinn des Wortes.
Israel, ein Volk in der Fremde, entdeckt in der Fremde die Fremden. Grandios, alles Gewohnte und Vertraute in den Schatten stellend, heißt es gar, dass der Tempel - ein Haus des Gebets für alle Völker wird. Gottes Haus ist kein Nationaldenkmal. Dabei freut sich Israel so sehr über den Tempel, den es wieder neu bauen möchte. Dass der Prophet den Menschen zumutet, ihn mit anderen zu teilen, wird nicht nur gut angekommen sein. Die Reaktionen der Leute kenne ich gleichwohl nicht. Ich muss aber kein Prophet sein, um die vielen Einwände zu hören - und das Geschrei. Das ist unser Haus! Das ist unser Gott! Das ist … unser, unser, unser.
Wir - die Fremden
An der 2. Station hat sich Paulus hingestellt. Ein riesiges Problem bewegt ihn. Hat Gott sein Volk Israel dann doch fallen gelassen? Es gab Stimmen, die genau das propagierten - und sich von Israel absonderten. Schon früh haben Christen die Meinung vertreten, sie seien jetzt das "wahre", das "eigentliche" Israel - weil Israel Jesus nicht als Messias sehen und nicht anerkennen konnte. Damals begann eine unheilvolle Geschichte, die immer noch nicht abgeschlossen ist. In antisemitischen Parolen lebt ein Ungeist fort, der Folien für den Hass braucht und Menschen zu Sündenböcken macht, die in die Wüste geschickt werden. Aber: Gott ist treu. Die Liebe, die er einmal versprochen hat, steht nicht zur Disposition. Paulus ringt geradezu um Worte. Er will etwas verständlich machen, was für viele Menschen nicht nachzuvollziehen ist. "Unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt" - sagt Paulus.
Israel ist nicht enterbt - und dann: ein weiter Blick, befreiend und klar: Wir, wir Christen, sind die Fremden, die von Gott in seinen Bund hineingenommen sind. Wir können uns nicht über andere erheben - andere auch nicht in ihrer Schuld gefangen nehmen. Schuldig werden wir alle, Juden, Christen und Heiden. Alle Völker teilen Schuld, alle Völker teilen die Angst, alle Völker wachsen aber auch in der Hoffnung. Es gibt keine Unterschiede, die Trennungen rechtfertigen. "Gott hat alle in den Ungehorsam eingeschlossen, um sich aller zu erbarmen". Jetzt ist Paulus glücklich. In diesem Satz sieht er Israel in der Liebe und Treue Gottes bewahrt - und uns Heiden auch. In Rom und anderswo. Zeit, unsere eigenen Orte zu nennen. "Um sich aller zu erbarmen"! Aller, aller!
Heute feiern wir Gottesdienst in unserer Kirche. Am Anfang bekennen wir unsere Schuld. "Herr, erbarme dich". Dann hören wir Gottes Wort. Sein Wort ist Liebeserklärung, Gnadenzuspruch und Wegweisung in einem. Es ist ein Wunder, geliebt zu werden. Mit der Schuld und dem Unvermögen, dem Zweifel und der Angst, die wir nicht verbergen. Uns wird zugemutet und zugetraut, in der Liebe zu leben. Als Gottes Kinder feiern wir das Mahl Jesu. Ein großer Lobpreis, eine Danksagung - Eucharistie. "Das ist mein Leib" - "das ist mein Blut". Mit diesen Worten schenkt sich uns Jesus - und bleibt in unserer Mitte. Bei uns hat er sein Zelt aufgeschlagen, bereit, mitzugehen.
Großer Glaube
Zu guter Letzt die 3. Station. Das Evangelium. Höhepunkt. Haltepunkt. Mittelpunkt. Wir sehen eine fremde Frau, aus Kanaan - sie gehört nicht zum Volk Israel - bei Jesus Hilfe suchen. Er ist die letzte Rettung. Jetzt muss es sein. Heute! Aber Jesus fertigt sie überraschenderweise ab. Wir sind entsetzt, verunsichert, hin- und hergerissen. Wie sich das anhört: "Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen." Die ältesten Verwerfungen und Vorurteile kommen hier hoch - und werden ausgesprochen. Sogar von Jesus. Dann die Frau: sie überwindet Jesus, schlägt ihn mit seinen eigenen Worten: "Ja, du hast Recht, Herr! Aber selbst die Hunde bekommen von den Brotresten, die vom Tisch ihrer Herren fallen." So furchtbar diese Bilder sind: diese Frau, eine Fremde, wird bei Jesus Hilfe finden - und von nun an gibt es keine Fremden mehr, die abgefertigt, zurückgelassen oder verworfen werden könnten. Wir haben hier einen großen Augenblick vor uns - einen kleinen Wortwechsel - und einen großen Glauben. Tatsächlich: bei dieser fremden Frau. Sie lässt sich nicht kleinmachen, sie gibt auch nicht klein bei - so sieht eine Heilige aus.
Es ist eine wunderschöne Geschichte, die mit wenigen Strichen davon erzählt, dass die Völker nicht auseinandergehalten werden, sondern zusammenkommen. Sogar der große Glaube (!) kann den Fremden nicht abgesprochen werden - er wird ihnen geradezu zugesprochen. Die Frommen, die sich in ihrer kleinen Welt zurückgezogen haben und mit sich im Reinen und zufrieden sind, horchen auf.
Gottes Liebe, Gottes Welt vertragen nicht die Grenzen, die wir ihr ziehen. Das kann auch Kirchenleute schon mal ganz schön - mitnehmen.
Heute passt alles zusammen: die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja, der Brief an die Gemeinde in Rom - und dann das Evangelium! Es geht um die vielen Völker - und wie sie bei Gott angesehen sind. Ein spannendes Thema - und ein Thema, in dem es um das Überleben und die Zukunft der Menschen geht.
Und der Friede Gottes,
der höher ist als unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus,
unserem Herrn.