Wir feiern Alfons Maria von Liguori, unseren Gründer. Er ist ein Heiliger. Freilich, dahinter steht ein Leben, das auf Gottes Ruf zu folgen lernte. Wie entwickelte sich der Weg unseres Heiligen? Wie entsprach er seiner Berufung?
Entscheidung für Gott
Wir wissen, dass Alfons, in seinem ersten Beruf ein gefeierter Rechtsanwalt, mit 27 Jahren einen Musterprozess verlor. Zwei Adelsparteien kämpften um die Rechte für eine Kleinstadt. Ich nehme an, dass Alfons ein Opfer der Bestechung wurde. Das löste in seinem Leben die größte Krise aus - und ich glaube sogar, dass er im tiefsten Innersten seiner Psyche und Seele nichts dagegen hatte. Manchmal provoziert ein Mensch gleichsam ein Unglück herauf, um endlich das Zerbrochene loslassen und Neues beginnen zu können. Es muss ihm zutiefst zuwider gewesen sein, dass die Rechtsprechung letztlich nicht immer Recht sprechen kann. Der Schlauere und Gewieftere, der mit besseren Beziehungen und mit mehr Geld, gewinnt, der Ärmere, ohne Einfluss, der Kleine Mann zieht oft den Kürzeren. Das wiedersprach seiner gläubigen Grundeinstellung.
Und gläubig war der Adelige Alfons de Liguori. Damals mit 18, neun Jahre vorher, hatte er aufwühlende Exerzitien gemacht, wo er als junger Rechtsanwalt von Christus ergriffen war. Bald darauf setzte diese Ergriffenheit in Pinsel und Farbe um in dem berühmten Bild vom Gekreuzigten, der eine einzige Wunde ist und von dem aus symbolische Pfeile der Liebe zu den Menschen ausgehen. Jetzt mit 27 steht Alfons vor dem Aus seiner Karriere. Und das nützt er, um seinen Weg zu suchen und nicht mehr in den Spuren seines übertrieben ehrgeizigen Vaters zu laufen. Alfons wusste, dass er bisher nicht er selbst war, sondern fremdbestimmt von seinem Vater her lebte. Jetzt wo Glanz und Karriere zerbrochen waren, löste er sich aus der Elternautorität und begann die persönliche Sinnfindung.
Entscheidung für die Armen
Wie schon früher - damals als frommer Rechtsanwalt - ging er auch jetzt ins Krankenhaus der Unheilbaren. Doch jetzt war der Unterschied zwischen diesen armen Schluckern und todkranken Habenichtsen und ihm geschmolzen. Auch Er, Alfons, war gedemütigt, hatte keinen Beruf mehr, wurde ausgelacht, vom Vater mit Schweigen geächtet. Den Unheilbaren diente Alfons mit Hingabe, er ging der inneren Spur des Herzens nach und liebte.
Immer bricht dort das Licht auf, wo ein Mensch zu lieben beginnt. Das blieb grundlegend für die Erfahrungen im Leben des Heiligen: Wo er nichts mehr hatte und gerade deshalb reine Liebe zu schenken vermochte, wo er unserem Erlöser am Kreuz ähnlich wurde, brach das Licht auf. Im Krankenhaus der Unheilbaren geriet er wie in ein Erdbeben, in einen Blitz der Gnade Gottes wie Paulus. Klar und deutlich hört er eine Stimme: "Lass die Welt und schenk dich mir!" Alfons ist benommen. Auf der Stiege wiederholen sich die gleichen Ereignisse. Alfons begibt sich in die Kirche vom Loskauf der Gefangenen. Er fängt an zu weinen - wie wenn ein Staudamm bricht, der brechen muss, so rollen die Tränen. Er gibt Gott seine Antwort: "Mein Gott, allzu lange habe ich deiner Gnade wiederstanden. Hier bin ich: mache mit mir, was du willst!"
Gegen den Willen seines Vaters beginnt Alfons Theologie zu studieren und sich auf den Beruf des priesters vorzubereiten. Als Priester ist Alfons mit großem Eifer aktiv. In der Weise seiner Zeit predigt er auf Plätzen, bewegt die Menschen zur Umkehr, ist für die Verlassenen da. Doch irgendetwas hindert ihn, sich ganz in vorgefundene seelsorgerliche Priestergruppen hineinzubegeben. Alfons sucht einen erlösenderen Missionsstil, er möchte entschieden gelebte Armut. Das fand er noch nicht vor. Nach seiner persönlichen Entscheidung für Gott wirkte er als Priester mehr als "Einzelkämpfer" in Neapel.
Entscheidung das Evangelium neu verkünden
Nach etwa 10 Jahren folgte für Alfons der wichtige zweite Schritt. Die Vorsehung führt ihn ins Bergland hinter Amalfi, wo die Hirten, Kleinbauern und Kleinpächter in großer materieller Armut und bestürzender religiöser Verlassenheit lebten. Nun konnte sich in seinem Innern ein Gedanke verdichten, den er schon länger mit sich trug: Es braucht eine Gemeinschaft, die hier anpackt. Eine Gemeinschaft ist mehr als die Summe von Einzelnen. Einzelne sind oft wie Worte, allein, verstreut unter die Menschen; doch die Gemeinschaft in Gott kann sein wie ein Gedicht, oder eine kraftvolle Rede.
Alfons trifft in Scala die Schwester Celeste Crostarosa, die mit ihrer Gemeinschaft nach den Regeln der Heimsuchung lebte. Alfons wird vom Bischof Falcoja gebeten, für die Schwestern Exerzitien zu halten. Außerdem soll er die Visionen von Sr. Celeste bezüglich einer neuen Ordensgemeinschaft prüfen. Alfons tut es und er, der sehr nüchtern über Visionen denkt, bestätigt, dass der Inhalt der Visionen evangeliumsgemäß sei. Den Schwestern wird darauf hin vom zuständigen Bischof die Erlaubnis gegeben, nach der neuen Regel zu leben. So entsteht 1731 in Scala die Ordensgemeinschaft der Redemptoristinnen, der Orden vom Heiligsten Erlöser. Sr. Celeste ihrerseits sieht in ihren Visionen nach der Kommunion Don Alfonso als "Haupt" eines männlichen Instituts.
Alfons sträubt sich zunächst dagegen. Nach Beratung mit seinem Beichtvater und anderen Theologen von Neapel klärt es sich in ihm: Gott will eine Neugründung. Was 1732 auch geschah. Zuvor noch hatte der Vater des Alfons seinen Sohn beschworen, nicht in die Berge, gleichsam in die Wüste zu ziehen. Alfons selbst hat später dieses Betteln seines Vaters "die größte Versuchung seines Lebens" genannt.
In seiner Gemeinschaft setzt Alfons neue Akzente in der Verkündigung und im Lebensstil. Entgegen der düsteren Unheilslehre des Jansenismus, der eine lähmende Heilsangst verbreitete, schildert Alfons Gott als den Gott der Menschen, der in unbegreiflicher Zärtlichkeit und Freundschaft den Menschen begegnet und sich ihnen ausliefert. Alfons lädt seine Brüder und die Gläubigen ein, im Gebets diese Liebe zu betrachten und sich von ihr ergreifen zu lassen. Er weiß, nur Ergriffene können andere begeistern. Ebenso antwortete Alfons mit radikal gelebter Armut und Einfachheit auf Gottes liebenden Anruf. Nur so konnten er und seine Brüder unabhängig vom staatlichen und gesellschaftlichen Einfluss für eine sich erneuernde Kirche leben.
Auch auf Volksmissionen in den kleinen Dörfern und Ortschaft setzte Alfons neue Akzente: Es ließ ihn unbefriedigt, in der Verkündigung zu sehr auf den sogenannten ewigen Wahrheiten herumzureiten. Das war für ihn nur ein Vorspann zum Wesentlichen. Im Mittelpunkt stand für ihn die erlösende Liebe Jesu. So ließ er von seinem Kreuzesbild, das ich schon erwähnte, Kopien anfertigen und dann bei der Erlösungspredigt entrollen und aufstellen, um den Menschen Gottes grenzenloses Erbarmen vor Augen zu führen und sie zu Gegenantwort in der Umkehr einzuladen.
Fasziniert von der Liebe Gottes
Gott ist unser Freund und Bruder geworden. Darum kreisen die Gedanken Alfons', um Geheimnisse, in denen Gott uns menschlich zugetan ist, um Krippe, Kreuz und Tabernakel. Der Heilige Alfons möchte die Menschen dafür gewinnen, diese Zuwendung Gottes zu begreifen und sich auf sie einzulassen. Im Buch: "Jesus lieben lernen" schreibt Alfons: "Von Ewigkeit liebt Gott uns. 'Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt!' (Jer. 31,3). Mensch, bedenke, sagt uns damit Gott, dass ich dir mit meiner Liebe zuvorgekommen bin. Noch bevor du in die Welt kamst, ja noch bevor die Welt war, galt dir schon meine Liebe. Er ist jeglicher Liebe zuvorgekommen. Gott liebt mich zuerst und von aller Ewigkeit." (S. 15). In einem Brief schreibt Alfons: "Antwortet auf Jesu Liebe... Redet mit Jesus im Allerheiligsten Sakrament über alles, besonders über seine Liebe zu Euch und eure Liebe zu ihm!" Alfons weiß auch um die Früchte eines solchen Betens und Lebens: Freude, innere Erfülltheit, Erlösung im Herzen und Frieden.
Wenn der Mensch durch Dunkles muss: Der Ordensgründer musste durch 1000 Schwierigkeiten gehen, damit die neue Kongregation nicht sein Werk, sondern das Werk Gottes wurde: in den ersten Jahren traten viele Mitbrüder aus; seine Gründung wurde kirchlich und staatlich zuerst bekämpft; erst nach 17 Jahren folgte die kirchliche Anerkennung. Der allzu frühe Tod von Bruder Vitus, der als einziger der am Anfang Eingetretenen geblieben und das Charisma von Alfons verstanden hatte. Der Ausschluss mit 84 Jahren aus der eigenen Kongregation im Königreich Neapel, weil ein übereifriger und eigenwilliger Mitbruder die Statuten zu Gunsten des Königreichs Neapel abändern ließ. Da ist für Alfons oft die Welt zusammengebrochen. Oft trieb es ihm vor Not und Leid die Tränen ins Gesicht. Doch im Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Erlöser wandelte sich alles Dunkle zum Sprungbrett neuer Liebe zu Jesus.
Alfons, ein Mensch, der Jesu freundschaftlichen Ruf hört und befolgt, Alfons ein Mensch, der zum Werkzeug Gottes wird. Wir sind heute eingeladen, unseren Ruf zu erneuern und uns so in die Hände Gottes zu legen. So werden wir, die Kongregation und die Kirche, für die wir da sind, bestehen, aufblühen und Früchte bringen.
Martin Leitgöb (1998)