Lesung aus dem Buch Jesaja.
Der Geist GOTTES, des Herrn, ruht auf mir./
Denn der HERR hat mich gesalbt;
er hat mich gesandt,
um den Armen frohe Botschaft zu bringen,
um die zu heilen, die gebrochenen Herzens sind,
um den Gefangenen Freilassung auszurufen.
Von Herzen freue ich mich am HERRN.
Meine Seele jubelt über meinen Gott.
Denn er kleidet mich in Gewänder des Heils,
er hüllt mich in den Mantel der Gerechtigkeit,
wie ein Bräutigam sich festlich schmückt
und wie eine Braut ihr Geschmeide anlegt.
Denn wie die Erde ihr Gewächs hervorbringt
und der Garten seine Saat sprießen lässt,
so lässt GOTT, der Herr, Gerechtigkeit sprießen
und Ruhm vor allen Nationen.
Die erste Lesung fasst den Beginn und das Ende des 61. Kapitels des Jesaja-Buches zusammen. Verfasst wurde der vorliegende Text nach dem Babylonischen Exil und blickt auf die dankbare Befreiung aus selbigem zurück.
Formal handelt es sich in den ersten Versen um eine so genannte Heilsproklamation oder Heilsverheißung. Es wird von einem Mann gesprochen, der von Gott gesandt wurde und sich in der Lage sieht, die Gottes Heilsbotschaft zu verkünden.
Wichtig ist es, bei dieser Lesung zu beachten, dass hier einerseits die tatsächliche materielle Sorge der damaligen Menschen angesprochen wird. Dass andererseits aber darüber hinaus mit dem Bild vom "gebrochenen Herz" noch tiefer Liegendes mitgemeint wird: In der alttestamentlichen Sicht des Menschen gilt das Herz als Synonym für die menschliche Identität. Somit wird klar, dass die Zuwendung Gottes mehr als materiellen Wohlstand bewirken wird.
Mit den "Gefangenen" sind jene Menschen gemeint, die in die Schuldsklaverei gedrängt wurden. Im angekündigten Gnadenjahr werden sie dann aus dieser befreit. Hier werden inhaltlich das Erlassjahr aus Ex 23,10ff. und das Jubeljahr aus Lev 25,39ff. aufgegriffen und thematisiert.
Ist derjenige, der die Botschaft Gottes verkündet, im ersten Teil der Lesung gleichsam in der Funktion eines Sprechers zu sehen, dessen sich Gott bedient, so ist er im zweiten Teil der Lesung wohl als Mitglied der von ihm adressierten Gemeinde zu verstehen, die Gott mit psalmenähnlichen Texten preist.
Der Abschnitt der Lesung entstammt dem 3. Jesaiabuch, das nach der Befreiung aus der babylonischen Gefangenschaft geschrieben wurde. In Dankbarkeit wird auf die Befreiung und das Wirken des Geistes Gottes geschaut.
Die ersten Verse (1-3) sind wie eine Proklamation der Heilsbotschaft (Kap. 60-62) eines Mannes, der sich von Gott gesandt und ausgerüstet weiß, die Heilsbotschaft zu verkünden (mehrere Sätze und Begriffe in diesem Abschnitt gehen auf die Gottesknechtlieder (42,1-4. 49,1-6) zurück).
Das angesprochene "Gnadenjahr des Herrn" greift die Tradition des Erlaßjahres (Ex 23,10-12) sowie des Jubeljahres (Lev 25) auf. Diese Zeiten sollen gerade den Verschuldeten, den Armen und den Versklavten einen neuen Anfang geben. Verarmung und Schuldsklaverei widersprechen dem Willen Gottes.
Die Worte am Anfang der Lesung hat Jesus bei seinem ersten öffentlichen Auftreten auf sich selbst bezogen (Lk 4,18-19). Er ist der Gesalbte Gottes, der "Christus".
Der vorliegende Text wurde zu einem Kerntext der Befreiungstheologie Lateinamerikas. Es soll auf die umfassende Befreiung hingewiesen werden (d.h. auch die Befreiung von ökonomischen Fesseln und Ungerechtigkeiten, usw.).
Im Jahre 1999 wurde in vielen Ländern Europas - unter Mitwirkung der Kirchen - eine Kampagne unter dem Titel: Schuldenerlaß 2000 gestartet. Ein Kernsatz daraus stammt aus der heutigen Lesung.
In der alttestamentlichen Lesung sind der Beginn und das Ende aus dem 61. Kapitel des Prophetenbuches Jesaja zusammengefügt, die mittleren sieben Verse fehlen - vermutlich aus praktischen Gründen (Länge!). Um den inneren Gehalt der Lesung wirklich zu erfassen, ist es jedoch ratsam, sich das gesamte Kapitel anzusehen (vgl. 1. Lesung Langfassung).
Unser Text enthält eine Heilsverheißung Jahwes an sein Volk in der noch instabilen Zeit nach der Heimkehr aus dem Babylonischen Exil. Dabei wird besonders den "Armen" die Zuwendung Gottes zugesagt, womit nicht nur die materiell Bedürftigen gemeint sind, sondern alle, die in irgendeiner Not leben. Ein eindrucksvolles Bild für ihren Zustand ist das Wort vom "gebrochenen Herzen". Das Herz bedeutet in der hebräischen Anthropologie soviel wie die Personmitte, den Sitz der menschlichen Identität. Gottes Zuwendung gilt den Gebrochenen und Gebeugten. Unser Text hat dabei Zustände harter Realität im Blick. Mit den "Gefangenen" sind etwa jene Menschen gemeint, die in Schuldsklaverei gefallen sind, und denen nun im angekündigten "Gnadenjahr" (vgl. die Rechtsinstitution des Jubeljahres Lev 25:39-41) eine Aufhebung ihrer erniedrigenden Arbeitsverhältnisse verheißen wird.
Gott bedient sich, um seine Heilsverheißung an die Menschen zu bringen, eines Sprechers. Seine besonderen Merkmale ("Geist Gottes", "Salbung") sind weniger Auszeichnungen für ihn, sondern Merkmale des besonderen Ranges der Verheißung. Im zweiten Teil (Vers 10-11) ist er deshalb mehr ein repräsentatives Mitglied der von ihm angesprochenen Gemeinde, wenn sie psalmenartig Gott preist.
Bernhard Zahrl (2008)
Lorenz Walter Voith (1999)
Martin Leitgöb (1996)