Die Erfahrung von Liebe verändert das Leben eines Menschen
Eine Mutter erzählte mir einmal, wie ihr Sohn ihr mit Herzklopfen mitteilte, dass er verliebt sei und eine Freundin habe. Sie verblüffte ihn, als sie ihm ziemlich genau den Zeitpunkt nannte, zu dem er sich verliebte. Auf die erstaunte Frage, woher sie das wisse, antwortete sie: Das habe ich gespürt. Seit dieser Zeit bist du ganz anders…
Die Erfahrung von Liebe und Verliebtsein verändert das Leben eines Menschen. Nicht selten löst sie eine Art seelischen Wachstumsschub aus. Dies ist auch leicht verständlich. Wenn sich jemand geliebt fühlt, festigt dies das Selbstwertgefühl und führt zu einer positiven Lebenseinstellung.
Im Evangelium dieses Sonntags streicht Jesus die Liebe zu Gott und dem Nächsten als das Wichtigste im Leben heraus. Wie sehr die Liebe zu einem Menschen oder von einem Menschen das Leben positiv verändern kann, können wir uns gut vorstellen. Aber wie weit kann man die Liebe zu Gott damit vergleichen? Fast möchte man fragen: Wie viel Liebe braucht Gott? Müssen wir ihn etwa erst positiv stimmen durch unsere Liebe? Ich kann mir schlecht vorstellen, dass Gott von unserer Liebe abhängig ist oder sich von unserer Liebe abhängig macht.
Die Liebe Gottes ändert unser Leben
Der Verfasser des ersten Johannesbriefes erinnert daran, dass Gott uns zuerst geliebt hat, noch bevor wir selbst ihn lieben konnten.
Wer daran glauben kann, dass Gott ihn von allem Anfang an liebt, und mit dem Wissen um diese Liebe Gottes im Leben steht, sieht und erlebt sich und die Umwelt unter einem positiven Vorzeichen und er geht auch anders mit seiner Umwelt um.
Wer in Gott jene Kraft sieht, die unsere Welt ins Dasein gerufen hat und diesen Gott liebt, wird mit der Schöpfung Gottes anders umgehen als ein Mensch, der seine eigene Existenz und die Existenz der Welt einer Kette von Zufällen zuschreibt.
Wer in seinen Mitmenschen Schwestern und Brüder und in Gott auch deren liebevollen Vater sieht, wird zu ihnen anders stehen als zu einem Mitbewohner dieser Erde oder zu einem Konkurrenten, gegen den er seinen Lebensraum verteidigen muss.
In der Lesung aus dem Buch Exodus haben wir eine Anordnung gehört, wie ein Israelit einerseits mit Fremden, die sich im Land aufhalten, andererseits mit den sozial Schwachen im eigenen Land umgehen soll. Man darf sie nicht ausbeuten und ausnützen. Es gilt nicht das Recht des Stärkeren. Hinter diesem Gebot steht eben die Vorstellung, dass Gott kein Unrecht an seinen Geschöpfen duldet.
Liebe ist eine wichtige Quelle der Spiritualität
Das Wechselspiel von lieben und geliebt werden ist nicht nur bedeutsam für unseren Umgang mit den anderen Menschen und mit unserer Umwelt, sie ist zugleich die Grundlage für das eigenen seelische Wachstum. Die Erfahrung von Liebe lässt uns bewusst werden, dass wir mehr sind als eines von unzähligen Lebewesen, und es hebt uns heraus aus dem Leiden am Werden und Vergehen, dem wir in allem Lebendigen begegnen. Liebe, auch die erotische und sexuelle Liebe, ist eine wichtige Quelle der Spiritualität, betonen Autoren wie Anselm Grün, Pierre Stutz und andere. Sie knüpfen mit dieser Einsicht an die Erfahrungen vieler Mystiker wie Johannes vom Kreuz oder Meister Eckehart an.
Wenn Liebe an Grenzen stößt
Wenn Liebe etwas so Großes und Zentrales ist, warum gelingt sie dann so oft nicht? Warum scheitern und zerbrechen so viele Menschen daran?
Ein Grund liegt in der Angst, sich zu verlieren oder etwas zu verlieren und selbst zu kurz zu kommen, wenn man den anderen, sei es ein Mensch oder sei es Gott, in den Mittelpunkt stellt. Sie führt zu einer Art Verkrampfung, die als Egoismus zutage tritt.
Ein weiterer Grund liegt meines Erachtens darin, dass viele Menschen geneigt sind, Liebe in erster Linie als etwas Naturhaftes zu betrachten. Die Fähigkeit zu lieben ist in der Natur des Menschen grundgelegt. Dies beginnt schon im innigen Verhältnis zwischen Mutter und Kind. Wer wollte leugnen, dass die die erotische Anziehung zwischen zwei Menschen eine Urkraft ist, die uns mit ins Leben gegeben ist. Als solche ist sie auch dem Werden und Vergehen unterworfen, wie alles in der Natur. Die Fähigkeit zu lieben braucht aber auch Pflege, Kultur, dass sie sich entfalten kann. Manchen Menschen ist dies zu mühsam…
Verwurzelung der Liebesfähigkeit in Gott
Ein wichtiger Grund, warum Liebe oft nicht gelingt, scheint mir darin zu liegen, dass sich viele Menschen der religiösen Dimension dieser Lebenskraft nicht bewusst sind. Als Liebende sind wir Menschen Abbilder Gottes, die die Welt aus Liebe geschaffen hat. Um auch noch lieben zu können, wenn die natürlichen Kräfte der Sympathie und menschlichen Anziehung erschöpft sind, braucht es eine Verwurzelung in Gott. Aus einer innigen Beziehung zu Gott gewinnen wir die Kraft zu lieben, wo unseren natürlichen Kräften Grenzen gesetzt sind.
Jesus greift im Gebot der Gottes und Nächstenliebe das Kernstück jüdischer Gläubigkeit auf. Die Liebe zu Gott ist bereits im ersten Bund das Hauptgebot. Ihm wurde das Gebot der Nächstenliebe an die Seite gestellt. Sie sind der Schlüssel zu einem erfüllten Leben sowohl des einzelnen wie auch des ganzen Volkes.