ertappt
Eine Frau ist beim Ehebruch ertappt worden. Die Männer, die sie in ihre Gewalt nehmen und abführen, sind offensichtlich in keiner Weise betroffen oder berührt von der Schwäche dieser Frau. Eher ist das Gegenteil zu spüren. Die Herzen dieser Männer kennen kein Mitleid, keine Gnade. Wir haben dich erwischt, du Weibsstück. Auf frischer Tat konnten wir dich überraschen, du kannst nicht leugnen. Jetzt haben wir dich. Siegesgefühle, ertappt zu haben, strahlen sie aus.
Auf Ehebruch der Frau stand im alten Israel die Todesstrafe durch Steinigung. Für Männer galt sie nicht - genauer: sie gingen ohne jede öffentliche Strafe aus. Schon diese Ungerechtigkeit hätte - menschlich gesehen - zu vorsichtigem Handeln herausfordern müssen. Aber diese Männer rührt das Unrecht nicht. Ihnen kommt nicht im Geringsten in den Sinn, der Frau z.B. zuzureden, den Weg der ehelichen Untreue aufzugeben. Die Männer sind davon besessen: Sie soll für ihre Tat bluten. Steinigen! Das ist das einzige, worauf sie aus sind, wonach sie trachten.
Wir wissen nicht, welche Gedanken und Gefühle sich in der Frau geregt haben. Jedenfalls verteidigt oder rechtfertigt sie sich nicht. Welche Chance hätte sie bei diesen Männern auch gehabt! Sie schweigt. Unschuldig ist sie nicht. Still und wortlos bekennt sie sich zu ihrem Versagen.
festgenagelt
Ich vermute, dass beim Hören dieses Bibeltextes eine Reihe von Bildern vor ihren Augen standen, z.B.: Wann glich ich schon einmal dieser Frau? Wo habe ich das Triumphgefühl meiner Umgebung erlebt und zu spüren bekommen? Andere wurden Augenzeugen meines Versagens. Sie konnten mich festnageln. Leugnen oder beschönigen war nicht möglich. Die Sache und Situation war eindeutig. Meine Blöße, meine Scham bewegten ihr Herz nicht. Sie hatten mich im Griff. Das war ihnen wichtig. Endlich konnten sie offen über mich herziehen. Sie hatten die Fakten in der Hand und das Recht auf ihrer Seite. Ihr Steine Werfen konnte für sie straflos beginnen.
Aber auch das andere Bild wird uns vor Augen gestanden haben: Gehöre ich in meinem Verhalten gelegentlich zu diesen Männern? Wie gehe ich mit anderen um, bei deren Versagen ich Augenzeuge wurde. Wie verhalte ich mich, wenn ich etwas Peinliches oder Ehrenrühriges von jemandem weiß? Bin ich aufs Ertappen anderer aus? Beschäme ich unnötig? Welche Hilfe erfährt der andere durch mich in seinem Versagen?
Worte der Barmherzigkeit
Jesus sagt der Frau: Ich verurteile dich nicht. Geh, aber halte dich künftig von der Sünde fern. Er sagt ihr nicht: Geh, es ist schon alles in Ordnung.
Wie schön wäre es, wenn auch wir Worte der Barmherzigkeit fänden, die das Versagen nicht verharmlosen, mit denen aber Ermutigung und weitere Verbundenheit zugesprochen würde.
Wenn wir uns die Frau in ihrem Ehebruch sachlich und in Ruhe anschauen, eröffnen sich einige Fragen:
Was hat sie zu ihrer Tat, zu ihrer Sünde veranlasst? Hat sie sich einfach von Lust und Begierde treiben lassen oder hat sie auch länger mit sich gerungen und gekämpft - und ist am Ende dann doch schwach geworden? Handelt es sich um eine einmalige Verfehlung oder war Ehebruch inzwischen ihre Haltung geworden?
Nicht unbedeutend wäre auch die Frage: Trägt die Frau allein die ganze Schuld an ihrem Ehebruch? Könnte es nicht auch sein, dass sie sehr intensiv, raffiniert und gezielt vom Mittäter verführt worden ist, so dass eventuell auf seiner Seite sogar die weitaus größere Schuld zu suchen ist?
Vom Ehemann dieser Frau hören wir nichts. Ist er der unschuldig Geprellte? Oder war sein Verhalten gegenüber seiner Frau auch entwürdigend und erniedrigend, gewalttätig und brutal, in allem so überfordernd, dass es die Kräfte der Frau überstieg? Ist der Ehemann völlig unschuldig oder hat er durch sein Wesen und Verhalten auch dazu beigetragen, dass sich seine Frau von ihm entfernte und in ihrer Not in die Arme eines anderen flüchtete?
Wer ist in welcher Weise schuldig?
Alle genannten Beispiele zeigen: Wer sich dem Versagen eines Menschen gegenüber sieht, tut gut daran, vorsichtig mit der Beurteilung umzugehen. Die Schuld des Sünders ist oftmals nicht seine rundum alleinige. Darum ist es noch zu wenig, wenn wir uns im Gegensatz zu den Männern, die die Frau steinigen wollen, nur des Steine Werfens enthalten. Ich meine, wir müssten zusätzlich die Frage stellen: Bin auch ich ein Stück in die Schuld des anderen mit verwickelt?
Von der Frau, die stumm vor Jesus steht, könnten wir das Schweigen lernen. Es ist nicht schön, wenn wir uns verfehlen und dabei auch noch ertappt werden. Aber auch ohne ertappt zu werden, würde uns auszeichnen, wenn wir wenigstens uns und Gott unsere Schuld und Sünde ehrlich eingestehen würden. Jesus will ja auch an uns handeln, wie er an dieser Frau mit ihrem Ehebruch gehandelt hat: Geh, schlag einen neuen Weg ein. Mühe dich, das Versagen zukünftig zu meiden. Auf diese Worte Jesu hin entschlossen neu ans Werk zu gehen, ist sinnvoller als mit Selbstvorwürfen in der Trauer über sich und seine Sünde länger hängen zu bleiben.
Reue
Reue heißt nicht trauern, sondern
- entschlossen neu beginnen,
- aus den bösen Erfahrungen sich hüten lernen,
- hilfreiche Vorsichtsmaßnahmen einbauen,
- Gott inständig um seinen Beistand für die Zukunft bitten.
Entschlossen neu ans Werk gehen sage ich auf dem Hintergrund, dass sich Erlösung an uns nicht von allein, sondern nur mit uns vollziehen kann. Erlösung besteht nicht darin, dass Gott unsere Sünden auswischt. Erlösung ereignet sich an uns dadurch, dass Gott uns wegen unserer Schuld nicht seine Liebe entzieht und steinigt, wie es die Männer mit der Frau vorhatten. Aber nach der Vergebung vonseiten Gottes sind auch wir wieder an der Reihe, mit dieser gewährten Huld mitzuwirken.
Wer auf Gottes Liebe nicht mit Umkehr antwortet und mit neuer Hingabe an das Gute, verweigert sich, jene Verantwortung für sich zu übernehmen, zu der er fähig wäre. Gott hat uns nicht als Menschen geschaffen, die jeder Verantwortung enthoben sind. Nein, wir sind Wesen, die er am Werk der Erlösung beteiligt. Jeder muss seine Erlösung auch selbst mitgestalten, sonst ändert sich nichts.
Verantwortung übernehmen
Die Ehebrecherin, eine schweigende Frau, ausgeliefert denen, die lieber gnadenlos Richter spielen anstatt ihren Mitmenschen eine Brücke zu bauen. Sie schweigt, weil es wahr ist, dass sie sich grob vergangen hat.
Diese schweigende Frau stellt mit ihrem Schweigen und ihrem Ausgeliefertsein unüberhörbar Fragen an uns und unser Verhalten im Umgang mit Menschen, die versagt und gefehlt haben.
Für gute Antwort unsererseits stellt uns der Evangelist Johannes das Verhalten Jesu vor Augen. Seine Antwort ist kein billiges Auswischen der Schuld und Sünde - und damit wäre alles erledigt. Seine Antwort lautet: Mach dich auf. Werde aktiv. Geh. Übernimm Verantwortung für dich. Ergreife die Chance der bleibenden Gnade und Liebe Gottes zu dir. Wechsle die Seite vom Bösen zum Guten. Und tue es mit aller Kraft.