Am heutigen Tag des Judentums, soll von den Schriftlesungen besonders jene hervorgehoben werden, die auch in einem jüdischen Wochengottesdienst gelesen werden.
Die heutige Lesung aus dem 1. Buch Samuel und der Psalm 40 sind jüdische Schriften, die auch im christlichen Kontext gelesen werden. Sie erinnern, dass die Christen ihre Wurzeln im Judentum, in ihren Schriften haben. Wir sind eingeladen mit diesen Schriften in Dialog zu treten, und – so wie im Gottesdienst – unsere Beziehung zu Gott auch liturgisch im Lobpreis Gottes zu feiern.
Der Dialog – das Gespräch mit dem DU
Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber, geboren 1878 in Wien, gestorben 1965 in Jerusalem, hat diese Dialogfähigkeit des Menschen in seinem Buch „Ich und Du“ entfaltet. Basis, Grundlage zu dieser Darlegung von Martin Buber ist die jüdisch-mystische Theologie wie im Chassidischen Judentum und die christlich-mystische Theologie wie von Meister Eckhart. Aus dieser, das Judentum und das Christentum, umfassende Mystik heraus, erarbeitet er die Möglichkeit des Menschen in Dialog zu treten.
"Der Mensch wird am Du zum Ich", denn das Angesprochenwerden geht dem Ansprechen voraus. Der angesprochene Mensch, der „Ich“ sagen kann, unterscheidet sich vom „Du“ und geht nicht im „Du“ auf. Wichtig ist Martin Buber bei seiner Herangehensweise, dass das „Ich“ im „Du“ den „Ewigen“ zu sehen fähig wird, mit dem „Ewigen, Göttlichen“ in Kontakt, in Beziehung, ins Gespräch kommen kann.
So schreibt er: „Ihr ewiges Du haben die Menschen mit vielen Namen angesprochen. … Aber alle Gottesnamen bleiben geheiligt“ (aus „Ich und Du“). In dieser Darstellung vom jüdischen Philosophen Martin Buber ist der Dialog mit Gott, das Gespräch zu verstehen. Er, Martin Buber, übersetzt den Gottesnamen JHWH mit DU!
Der Psalm – ein ICH lobpreist Gott:
Ein Psalm ist ein aus der jüdischen Geschichte poetischer, bildreicher und von der Situation des Ich's geprägter Text, der vom Sprecher „dem Ewigen“ vor die Füße gelegt wird. In den Psalmen ist immer etwas Dramatisches, welches das ICH zur Sprache bringt. Ob nun Situationen der des Jubels, der Zuversicht, des Zorns, der Trauer, der Angst und Not zur Sprache kommen, sie haben als Fundament immer den Lobpreis Gottes: ER ist der Handelnde, die Zuversicht, seine Heilstaten werden in Erinnerung gerufen, möge sich seine Gerechtigkeit durchsetzen. Durch dieses Offenlegen der Aggressionen erspart sich das ICH selbst gewalttätig zu werden, denn Gerechtigkeit erwartet er vom „Ewigen“, den er für seine Taten lobpreist.
So lautet der hebräische Titel des Buches der Psalmen „Sefer Tehellim“ – Buch der Lobpreisungen! Die Psalmen wurden ursprünglich mit Saitenspiel begleitet.
Im Wort Psalm – vom altgriechischen Wort Psalmós abgeleitet – kommt dies zum Ausdruck. Als „gezupftes Lied“ könnte das Wort Psalmós erklärt werden.
Die „Leseweise“ im jüdischen Verständnis von den Psalmen ist das Rezitieren. Das Rezitieren der Psalmen ist hilfreich, vor allem in Zeiten der Not. Die Emotionen auf“sagen“, vor“tragen“ im Angesicht Gottes, lassen nicht vergessen, in welcher Not das ICH war. Dieses Erinnern geschieht immer im Blick auf Gottes Größe und dass Gott die Zuversicht, die Gerechtigkeit, die das ICH erhofft, ist – IHM gilt somit der Lobpreis.
Ein Davidpsalm
Ps 40,1 Des Chormeisters, von Dawid, ein Harfenlied. (Martin Buber)
In der hebräischen Bibel werden 73 Psalmen König David „zugeschrieben“. Er kann als „Vorbild“ betrachtet werden, das Leben des Königs David wird so in literarischer Form in den Psalmen dargestellt. Die Samuel-Bücher sind die Grundlage der David-Biographie, sind als Quelle der poetischen Darstellung von König David in den Psalmen zu sehen.
Der Psalm 40:
Der ganze Psalm 40, 1-18 ist so strukturiert, dass er „nur“ im Ganzen zu verstehen und als ganz zu lesen ist. Dann kann er seine poetische Dynamik, seine Dramatik, seine Spannung entfalten.
Die Verse 12 – 18 geben in bildlicher Sprache die aktuelle Situation vom ICH, vom Psalmisten wieder, und seine Hoffnung:
18b „Was mir aufhilft, was mich entrinnen macht, bist du: mein Gott, säume nimmer!“
Es ist die Erinnerung, an die Heilstaten Gottes, an IHN, den Handelnden, Verse 2-11, die dem „Klagenden“ Trost und Zuversicht und Hoffnung auf IHN, der wieder und wieder handeln wird an seinem Volk, gibt.
5 „O Glück des Mannes, der einsetzte IHN als seine Sicherheit und sich nicht kehrte an Ungestüme,in Täuschung Verstrickte!“
6 „Viel hast du getan, DU, mein Gott, deiner Wunderwerke, deiner Planungen an uns - nichts ist diranzureihn! -, will ich melden, will ich reden, Übermenge sind sie dem Erzählen.“
Diesem „Ewigen, der groß und gerecht ist“ schildert der Psalmist seine Situation, seine innere Verfasstheit:
13 „ Denn mich umzingeln Bösgeschicke bis zur Unzahl, meine Fehler holen mich ein, dass ichaufzusehn nicht vermag: Übermenge sind sie, mehr als Haare meines Haupts, - und mein Herzverlässt mich.“
14 „Lasse, DU, dir‘s gefallen mich zu erretten, DU, zu meiner Hilfe eile!
In dieser Zuwendung zu „ Adonai“* liegt der Lobpreis schon im Voraus zugrunde:
4 „Und er gab mir in den Mund neuen Gesang, Preisung unserem Gott. Viele schauen und erschauern und werden sicher an IHM. …“
8 „Nun spreche ich: Da komme ich mit der Rolle eines Buchs, auf mir ist‘s geschrieben: …“
Man spürt richtig, wie dem Psalmist die Zunge gelöst wird, wie er Worte findet, die das vor Gott bringen, was ihn bewegt aus der Erinnerung an die Taten Gottes.
Anmerkungen:
„Adonai“ – In der jüdischen Tradition wird der Gottesname nicht ausgesprochen, sondern ersetzt, häufig durch: Adonai.
Übersetzung von Martin Buber: Zum heutigen Tag des Judentums wurde die Übersetzung von Martin Buber genommen – er wurde 1925 von einem christlichen Verleger gefragt, ob er eine Bibelübersetzung machen würde. Mit seinem Freund Franz Rosenzweig hat er mit der Bibelübersetzung aus dem Hebräischen begonnen. Es war ein Lebensprojekt von Martin Buber, welches erst 1961 vollendet war. Martin Buber erinnerte 1961 in seiner Ansprache an ein Gespräch mit Franz Rosenzweig:
„Unter Bibel versteht heut der Christ nur das Neue Testament, etwa mit den Psalmen, von denen er dann noch meist meint, sie gehörten zum Neuen Testament. Also werden wir sie missionieren.“ Und Buber schließt mit den Worten: „Ich bin sonst ein Gegner alles Missionierens... Aber diese Mission da lasse ich mir gefallen, der es nicht um Judentum und Christentum geht, sondern um die gemeinsame Urwahrheit, von deren Wiederbelebung beider Zukunft abhängt. Die Schrift ist am Missionieren. Und es gibt schon Zeichen dafür, dass ihr ein Gelingen beschieden ist.“
Psalm 40:
1 Des Chormeisters, von Dawid, ein Harfenlied.
2 - Erhofft, erhofft habe ich I h n,
und er hat sich zu mir geneigt,
hat mein Stöhnen erhört.
3 Hoch zog er mich
aus dem brodelnden Loch,
aus dem Moorschlamm,
stellte auf Gestein meine Füße,
festigt meine Schritte.
4 Und er gab mir in den Mund
neuen Gesang,
Preisung unserem Gott.
Viele schauen
und erschauern
und werden sicher an I h m.
5 - O Glück des Mannes,
der einsetzte I h n
als seine Sicherheit
und sich nicht kehrte
an Ungestüme,
in Täuschung Verstrickte!
6 - Viel hast du getan,
Du, mein Gott,
deiner Wunderwerke,
deiner Planungen
an uns
- nichts ist dir anzureihn! -,
will ich melden,
will ich reden,
Übermenge sind sie dem Erzählen.
7 Nach Schlachtmahl, Hinleitspende
gelüstets dich nicht:
Ohren hast du mir gebohrt.
Darhöhung, Entsündungsgabe
heischest du nicht.
8 Nun spreche ich:
Da komme ich
mit der Rolle eines Buchs,
auf mir ists geschrieben:
9 Zu tun dein Gefallen,
mein Gott, habe ich Lust,
deine Weisung ist meinem Innern inmitten.
10 Ich bringe Wahrhaftiges aus
in großer Versammlung,
da, meine Lippen verhalte ich nicht,
selber weißt du es, Du,
11 deine Bewährung hülle ich nicht
mitten mir im Herzen,
dein Betreuen,
dein Befreiertum
spreche ich aus,
nicht verhehle ich
deine Huld,
deine Treue
großer Versammlung.
12 Du, enthalte du mir dein Erbarmen nicht vor!
deine Huld,
deine Treue
mögen stets mich behüten!
13 Denn mich umzingeln
Bösgeschicke bis zur Unzahl,
meine Fehle holen mich ein,
daß ich aufzusehn nicht vermag:
Übermenge sind sie,
mehr als Haare meines Haupts, -
und mein Herz verläßt mich.
14 Lasse, Du, dirs gefallen
mich zu erretten,
Du, zu meiner Hilfe eile!
15 Zuschanden müssen werden und sich schämen zumal,
die mir nach der Seele trachten, sie hinzuraffen,
zurückprallen, zu Schimpfe werden,
die an meinem Bösgeschick sich erlustigen,
16 erstarren zufolge ihrer Schande,
die zu mir sprechen: Ha! ha!
17 Entzücken sollen sich, sich freuen an dir alle,
die nach dir trachten,
stets sollen sprechen:
»Groß ist Er!«,
die dein Befreiertum lieben.
18 Ich hier,
gebeugt und bedürftig, -
mein Herr plane für mich!
Was mir aufhilft,
was mich entrinnen macht
bist du:
mein Gott, säume nimmer!
(aus dem Hebräischen von Martin Buber- Franz Rosenzweig 1929)
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