Heute, am Fest der Taufe Jesu, feiern wir auch diese Zusage Gottes an uns. Was Jesus in seiner Taufe erfahren hat, diese Erfahrung will Gott auch uns schenken.
Versetzen wir uns doch einmal selbst in die Szenerie der biblischen Erzählung hinein. Lassen wir uns von ihren Bildern und Worten ganz persönlich ansprechen.
In die Tiefen des Lebens hinabsteigen
Jesus reiht sich unter die Menschen, die zu Johannes kommen. Zu diesen ganz normalen Leuten gehören auch wir: mit unseren Stärken und guten Seiten, mit unseren Schwächen, Fehlern und unserer Schuld. Auch wir sind Menschen auf der Suche nach erfülltem Leben. Jesus solidarisiert sich mit uns. Wie alle anderen steigt er ins Wasser hinab. Wasser, dieses alte Symbol, steht hier für dunkle und bedrohliche Seiten unseres Lebens: für aufwühlende Zeiten, in denen wir den Boden unter den Füßen zu verlieren drohen; für Phasen der Trauer oder der Depression, in denen uns alle Lebenslust und Energie hinweg fließt; für Angst, die uns zu überfluten droht; und nicht zuletzt für Schuld, in die wir uns immer wieder verstricken. In all dies steigt Jesus hinab und zeigt uns, wie wir heilsam damit umgehen können: Es gilt, solche Tiefen und Abgründe des menschlichen Lebens als gegeben anzunehmen, ohne aber uns darauf zu fixieren.
Sich dem Himmel öffnen
So richtet Jesus seinen Blick aus der Tiefe nach oben, zum Himmel. Und während er betet und sich für die Kraft Gottes öffnet, geschieht das Entscheidende. Für ihn öffnet sich der Himmel und Gottes Kraft durchströmt ihn. Ähnliche Erfahrungen können auch wir heute machen. Wenn wir Stille aushalten können, aber auch wenn wir sensibel sind für Gottes Wirken im Alltag, haben wir manchmal das Gefühl, dass die Zeit stehen bleibt und "der Himmel offen steht": Das erleben wir z. B. im Einssein mit der Natur; im unbeschwerten Spielen und Lachen mit Kindern; in der Begegnung mit Menschen, die uns so annehmen und lieben, wie wir sind; in einem erhebenden Gottesdienst; in Augenblicken innerer Klarheit über uns selbst und unser Leben. Solche wunderbaren Augenblicke können wir nicht selbst machen oder herbeiführen. Wir erleben sie als Geschenk, und gerade das macht sie so kostbar für uns.
Als geliebtes Kind von Gott angesprochen
In diesem besonderen Augenblick fühlt Jesus sich durch und durch von Gott angenommen. "Du bist mein Sohn, der Geliebte. An dir habe ich Gefallen." - so drückt die Bibel diese grundlegende Erfahrung Jesu aus. Mit diesen Worten spricht Gott auch uns an. Das muss nicht in einer blitzartigen Erkenntnis geschehen. Vielleicht dämmert es uns im Lauf unseres Lebens auch allmählich, dass wir wirklich Gottes geliebte Kinder sind - so wie er es uns in unserer Taufe zugesprochen hat.
"Du bist meine Tochter, mein Sohn, der Geliebte. An dir habe ich Gefallen." - so spricht Gott jede und jeden von uns persönlich an!
Das klingt vielleicht etwas abgehoben. Aber wenn wir diesem Satz einmal nachspüren, kann er tief greifende Konsequenzen für unser Leben haben, nämlich für unsere Einstellung und unseren Umgang mit uns selber, aber auch mit anderen.
Zunächst werde ich ganz persönlich angesprochen: "Du". Gott spricht mich nicht in einer meiner vielen Rollen an, nicht etwa als Hausfrau, Arbeitnehmer, Mutter, Großvater... Er spricht mein Wesen an, denn ich bin nicht, was ich leiste. Ich bin nicht, was die Leute von mir halten. Ich bin nicht, was ich habe. Auch wenn nichts Unrechtes daran ist, Erfolg zu haben, berühmt zu sein, Macht zu besitzen, ist der Wert meiner Person letztlich nicht darin verwurzelt, sondern im bedingungslosen Angenommensein von Gott. Er meint mich. So wie ich bin, auch wenn es mir schlecht geht, wenn ich schwach und krank bin, wenn ich traurig und müde bin, wenn ich gereizt und wütend bin, wenn ich grundlose Angst habe - ja sogar wenn ich schuldig geworden bin. Vor aller Leistung und trotz allen Versagens ist meine bloße Existenz ist Grund genug für Gott, mich als seine Tochter, als seinen Sohn anzusprechen.
"Du bist mein Sohn, meine Tochter" - das sagt auch etwas über Gottes Beziehung zu mir aus. Ich habe meinen Ursprung in ihm. Er ist mir Vater und Mutter, mit allen positiven Eigenschaften, die wir mit guten menschlichen Eltern verbinden: Gott verlässt mich nicht; er sorgt für mich und beschützt mich; er stärkt mir den Rücken und traut mir zu, dass ich auf eigenen Füßen stehe.
"Geliebte" nennt er mich, mit einer Liebe, die nicht an Bedingungen geknüpft ist. Ich kann aus dieser Liebe nicht herausfallen, egal, was ich tue. "Gefallen" hat Gott an mir, an meiner Person von Anfang an. Er muss nicht erst "Gefallen finden", wie es in manchen Übersetzungen auch heißt.
"Du bist meine Tochter, mein Sohn, der Geliebte. An dir habe ich Gefallen." - Dieser Satz gilt also nicht erst, wenn wir uns nach langer Anstrengung und Askese diese Liebe Gottes verdient hätten. Sie gilt mitten in unserem Dunkel, unserer Sünde und unseren alltäglichen Sorgen und Mühen. Gott ist uns auch und gerade dort nahe.
Gott spricht alle Menschen als seine geliebten Kinder an. Das wirkt sich auch auf unsere Beziehung zu anderen aus. Auch sie gilt es, ohne Vorleistung, mit ihren Fehlern und Schwächen zu akzeptieren. Wenn uns dies immer wieder gelingt, "öffnet sich der Himmel" und Gottes Reich wird ein Stück mehr Wirklichkeit.
"Du bist meine Tochter, mein Sohn, der Geliebte. An dir habe ich Gefallen." - In unserer eigenen Taufe haben wir diese Zusage Gottes gefeiert. Das Fest der Taufe Jesu schenkt uns die Möglichkeit, uns immer wieder daran zu er-innern und zu ver-inner-lichen: Wir sind und bleiben Gottes geliebte Kinder. Er hat an uns Gefallen um unserer selbst willen.
Claudia Simonis-Hippel, in: Bernhard Krautter/Franz-Josef Ortkemper (Hg.), Gottes Volk Lesejahr C 2/2006. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2006, S. 42-54.