Die Jünger, die von Emmaus zurückgekehrt waren, erzählten den Elf, was sie unterwegs erlebt und wie sie ihn, Jesus, erkannt hatten. - So beginnt unser heutiges Evangelium. Und wieder geschieht es: Während sie reden tritt Jesus selbst in die Mitte der Jünger. So wie es schon beim Emmausgang der beiden Jünger gewesen war: Sie hatten sich über alles unterhalten, was sie erlebt hatten, sich über Fragen und Zweifel ausgetauscht - und Jesus kam in ihre Mitte und beteiligte sich am Gespräch und legte die Schrift aus, so dass für die beiden später sagten: Brannte nicht unser Herz, als er mit uns sprach?
Wir leben fast 2000 Jahre später. Doch offensichtlich will uns der Evangelist Lukas hier eine Erfahrung der ersten Gemeinden mitgeben, die uns immer noch zur wirklichen Begegnung mit Christus führen kann: Redet miteinander! Redet über euren Glauben, über eure Zweifel und Fragen, und über das, was ihr erlebt habt - und ihr werdet spüren, dass Christus selbst sich dann in eurer Mitte bewegt.
Offensichtlich beginnt Christentum, oder besser gesagt: Die Erfahrung des lebendigen Christus - in der Gemeinschaft. Im Reden über Erlebtes, über Erhofftes, über Enttäuschungen und Freude. Eben im Austausch von ganz konkreten Erfahrungen. Wenn wir die Geschichten des Lebens miteinander teilen, dann dürfen wir damit rechnen, dass Jesus sich zu uns gesellt. - Doch werden wir ihn erkennen?
Im Glauben erkennen
Vielleicht hätten wir gerne Anteil an der Erfahrung, dass Jesus sich uns so zeigt, wie den Jüngern. Ganz leibhaftig, indem er uns Hände und Füße zeigt, oder sogar gebratenen Fisch mit uns isst, oder sonst etwas tut, worin wir ihn ganz wirklich und sichtbar erkennen. Doch auch wenn der Evangelist Lukas diese Beweise der wirklichen und leibhaften Auferstehung deutlich ausführt - er macht auch deutlich, dass diese äußeren Zeichen seltsamerweise nicht zum eigentlichen Erkennen führen.
Die beiden Emmausjünger hatten Jesus, als er mit ihnen wanderte, nicht erkannt. Und hier sehen die Apostel zwar sofort, dass es Jesus ist - doch trotz aller Beweise heißt es: Sie konnten es vor Freude immer noch nicht glauben.
Erkennen von Jesus im echten Sinn geschieht nicht in diesen Erscheinungen. Erkennen geschieht vielmehr im Begreifen der größeren Zusammenhänge in Gottes Plan.
Der Heilsplan Gottes
Jesus deutet ihnen die Schrift. Er öffnet ihnen so nicht nur die leiblichen Augen für die Erfahrung der Auferstehung, sondern er öffnet die inneren Augen für die Wege Gottes. Und damit erschließt er den Jüngern und allen, die Gottes Wirklichkeit begreifen wollen, einen größeren Horizont. Er deutet die Schrift. Das bedeutet: Das Heute der Auferstehung wurde bereits vor vielen hundert Jahren in Bildern gesehen. Jesus war also nicht nur ein vorbildlich lebender Mensch war, sondern wirklich der Messias. Der Heilsplan Gottes über alle Jahrtausende hinweg, ist in ihm erfüllt. Seine Botschaft und seine Wirklichkeit sind größer als Raum und Zeit.
Durch die Schrift erhalten auch Leiden und Tod eine neue Deutung: Im Erkennen, dass Liebe durch dunkle Wege führt, eröffnet sich in der Beziehung zwischen Mensch und Gott ein neues Verständnis. Gott ist nicht der Wünscheerfüller der Menschen, sondern gleichzeitig souveräner Herrscher und Freund, der die Partnerschaft, die echte Beziehung zu uns sucht. Er nimmt uns nicht aus diesem Leben mit seinem Schmerz und seinen Fragwürdigkeiten heraus, sondern teilt genau dieses Leben in allen Höhen und Tiefen mit uns.
Ein neues Selbstverständnis der Jünger
Doch nicht nur Raum, Zeit, Liebe und Gottesbeziehung werden durch das Wort der Schrift in neuem Zusammenhang verstanden. Die Schrift schenkt den Jüngern ein neues Selbstverständnis: Sie werden zu Zeugen dieser wunderbaren Botschaft für die Welt.
Doch bevor der Auferstandene die Schrift deutet, steht das Leben. Die Jünger erzählen von ihren Erlebnissen, in den anderen steckt noch tief der Zweifel - und in diesem Gespräch ist Jesus plötzlich da.
Nicht nur ausgebildete Seelsorger und Seelsorgerinnen können diese Erfahrung bestätigen. In vielen Situationen, in denen Christen sich in ehrlicher und offener Weise von ihrem Leben berichten, geschieht es, dass Christus sich auf eine besondere Weise dazugesellt und wir seinen Geist spüren. Oft nicht einmal im Reden, sondern auch im Schweigen und im Miteinander Dasein.
Und es geschieht, dass wir im Hören auf unser Herz spüren, dass Christus zu uns spricht. Er deutet uns die Schrift. Plötzlich ist ein Gedanke da, ein Bibelwort wird ausgesprochen, oder eine tröstende und heilige Wirklichkeit durchweht die Stille.
Unspektakulär
Oft sind es keine spektakulären Offenbarungen, die sich uns da zeigen. Vielmehr dürfen wir ganz unscheinbar die Gegenwart Jesu spüren.
Aus einem Krankenbesuch, den jemand lange vor sich hergeschoben hat, gehen beide nun gestärkt und befreit auseinander; ein schwieriges Gespräch endet mit einer unerwarteten Lösung, die alle Gesprächspartner im Vorfeld nicht für möglich gehalten hätten; ein Wort, das während des Bibelabends ausgesprochen wurde, verändert die Perspektive auf den Alltag.
Noch viel mehr solche leisen Erfahrungen gibt es, in denen der Auferstandene plötzlich in unserer Mitte ist und uns sein Wort mit auf den Weg geben will. - Doch lassen wir es zu?
Erzählt einander, hört einander zu
Der Evangelist Lukas fordert uns in seinem letzten Kapitel dazu auf: Erzählt euch von eurem Leben! Von Freude und Angst, von Liebe und Trauer, von dem, was ihr erlebt und erhofft. Dann wird sich der Auferstandene zu euch gesellen.
Hört einander zu und öffnet euer Herz für die leisen Impulse, die der Auferstandene euch füreinander schenken will. Denn er ist da. Wirklich, wahrhaftig, nicht als Geist - sondern als einer, der immer noch etwas vom Fleisch und Fisch versteht, den ihr zum Leben braucht.