Nur fest dran glauben
Wir befinden uns in der Zeit der Wirtschaftskrise - das weiß nun allmählich jeder. Ganz objektiv war die Situation auszumachen, als in Amerika nach zweifelhaften Investmentstrategien die ersten Banken in die Knie gingen und schließlich hier in Europa einige Unternehmen folgten. Bald ergriff die Situation verschiedene Zweige der Industrie und ihre Zulieferer. Inmitten dieser Situation vernimmt man plötzlich in den Medien Meldungen, die uns wissen lassen wollen, dass das Ende dieser Krise naht. Experten meinen ausmachen zu können, dass die Konjunktur wieder steigt, und nennen sogar Wachstumszahlen. Gleichzeitig aber hören wir immer noch von Konkursen und die Medien verbreiten Warnungen vor allzu viel Optimismus.
Angesichts so viel Widersprüchlichkeit wird einem vom Zuhören fast schwindelig. Klar - wer durch einen Konkurs betroffen ist, arbeitslos wurde und nicht gerade an einem goldenen Rettungsfallschirm von etlichen Millionen Euro Abfindung hängt, dem ist auch egal, welche Prognosen gerade verkündet werden - der will nur noch möglichst bald die eigene wirtschaftliche Haut retten. Wenn Sie aber nicht gerade allzu direkt betroffen sind und um ihre persönliche oder betriebliche Zukunft bangen müssen, haben Sie dann einmal in sich hinein gespürt, was all diese Wirtschaftsvorhersagen mit Ihnen machen?
Mal ehrlich: Wie oft können wir denn wirklich Prognosen mit unseren eigenen Erfahrungen abgleichen? Wenn ich gerade arbeitslos wurde, ist mir die wirtschaftliche Aussage 'es geht aufwärts' nur ein geringer Trost - wenn ich hingegen wirtschaftlich fest im Sattel sitze, berührt mich der Abwärtstrend ja nicht direkt. Oder?
Und doch: Wenn wir ganz tief in uns hinein hören, ist es doch vielleicht ein wenig anders. Macht sich nicht da, wo vorher der Frust regierte, angesichts einer positiven Vorhersage doch ein wenig Hoffnung breit? Und hat nicht doch jenen, die wirtschaftlich sorglos waren, die Botschaft von der Krise deftig Angst eingejagt?
Und tatsächlich ist es so, dass jene positiven Konjunkturvorhersagen, die wir ja gar nicht überprüfen können, bewirken, dass die Konjunktur wieder steigt: Die Menschen werden ein gutes Stück sorgloser, auch wenn die Nöte vielleicht groß sind. Sie werden um ein gutes Stück konsumfreudiger - und damit steigt die Konjunktur dann tatsächlich. Die gute Nachricht muss also nur verkündet werden, - sie erfüllt sich schließlich ganz von selbst. So einfach klappt das leider nicht immer, aber ein dahin gehender Trend ist durchaus festzustellen.
Die Alten haben es immer gewusst
"Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist, soll zum ebenen Weg werden. Und alle Menschen werden das Heil sehen, das von Gott kommt." - Mit dieser Vision aus dem Buch des Propheten Jesaja unterstreicht der Evangelist Lukas seine Beschreibung vom Kommen des Gottessohnes in diese Welt. Der fromme Jude kennt diese Prophetenworte. Und Lukas setzt darauf: Die Spannung, die aus der bislang unerfüllten Verheißung des Propheten erwachsen ist, soll sich endgültig in Jesus Christus lösen. Unabhängig von der Bedeutung der Worte im Zusammenhang des Jesaja-Buches - Lukas als Mensch des neuen Bundes glaubt fest an ihre Erfüllung durch den Täufer am Jordan, der das Kommen des Gottessohnes verkündete. Aus der Sicht des Evangelisten gleichen so diese Visionen der Propheten durchaus modernen Prognosen: Der Glaube an die Visionen macht sie zur Wirklichkeit, - sie sind dann keine leeren Versprechungen.
Und man darf fragen: Was wäre aus Jesus und seinem Wirken geworden, wenn ihn keiner erwartet hätte
Nicht ganz dicht?
Der deutsche Altbundeskanzler Helmut Schmidt wird hin und wieder zitiert mit den Worten: "Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen." So einfach ist das aber nicht. Auch wenn der Blick in die Zukunft, die hoffnungsvolle Vorausschau etwas Unwirkliches, etwas Nebulöses an sich hat, kann sie doch zur Triebfeder für Handeln und Glaube sein. Das gute erfolgreiche Handeln in den Dingen unseres Lebens wie auch der tragfähige Glaube als Ergebnis einer Vision ist dann selber nichts Diffuses mehr, sondern eine Kraft, eine Macht, die Leben tragen kann und Wirklichkeit verändert. Dass es auch für Visionen des Glaubens wichtig ist, dass sie in einer Realität ankommen, darauf verweist Lukas, wenn er die Erfüllung der prophetischen Vision durch Johannes in einem ganz konkreten Umfeld geschehen lässt: "im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius; Pontius Pilatus war Statthalter von Judäa", so hörten wir.
Wer Visionen hat, braucht also keinen Arzt, sondern eine konkrete Situation, wo Visionen Wirklichkeit werden können. "Wenn das Leben keine Vision hat, [...] dann gibt es auch kein Motiv, sich anzustrengen," so der Psychoanalytiker Erich Fromm. Und das gilt auch für den Glauben. Die Visionen der Propheten sind der Himmel, zu dem sich der Evangelist hinstreckt, der Horizont, in dem das Reden und Tun des Gottessohnes eine Deutung erhält.
Leben träumen und Träume leben
Und: Visionen sind nichts Starres, tragen in sich eine Dynamik, die uns am Leben hält. Wenn wir an diesem zweiten Advent einen nächsten Schritt auf die Feier der Menschwerdung Gottes zu gehen, dann - und auch immer wieder - dürfen wir uns auch mit unseren eigenen Visionen vom Leben auseinandersetzen und uns fragen, was wir sehen, erhoffen, ersehnen, wenn wir aus dem Glauben an die Frohbotschaft leben. Welche Vision von meinem Leben, von dieser Welt trage ich in mir? Wohin führe ich mein Leben aus dem Glauben?
Der Menschenrechtler Martin Luther King hat 1963 seine berühmte Freiheitsrede gehalten: "I have a dream - ich habe einen Traum" - wovon träumen Sie?