Am Fest von Peter und Paul, der beiden "Apostelfürsten", wie wir sie nennen, findet durchwegs der hl. Petrus größere Beachtung, während der hl. Paulus ein wenig hinter ihm zurück tritt. Einmal wohl deswegen, weil wir in den Evangelien über Petrus erfahren, wie er im Kreis der Apostel mit Jesus gelebt hat, wie er sich ihm gegenüber verhalten hat. Dann aber, weil Petrus der Erste im Apostelkollegium ist, der Fels, auf dem Jesus seine Kirche gegründet hat. Doch vielleicht gibt es noch einen anderen Grund. In Petrus, dessen Weg von Schwachheit und Wankelmut gezeichnet ist, finden wir uns selbst eher wieder als in Paulus. Dieser ist nach seiner Umkehr konsequent und ohne Wenn und Aber seinen Weg gegangen. Schauen wir jetzt zuerst auf Paulus und fragen wir uns, ob und wie wir uns an ihm orientieren können.
Vom Verfolger der Jüngergemeinde Jesu zum Völkerapostel.
Paulus ist in der Schule des Pharisäers Gamaliel zu einem gesetzestreuen Juden herangebildet worden. Er hat die meisten, wie er einmal schreibt, in der Treue zum jüdischen Gesetz übertroffen (Gal 1, 14; Phil 3, 6). Die Jünger und Jüngerinnen Jesu - "Anhänger des neuen Weges" genannt (Apg 9,2) - erachtete er als Gotteslästerer und gesetzeslose Menschen und hat sie als Eiferer für Gott bis auf den Tod verfolgt (Apg 22, 3 f.). Doch dann nahm sein Leben eine Wende. Als er auf dem Weg nach Damaskus war, um die Männer und Frauen, die er dort finden würde, zu fesseln und nach Jerusalem zu bringen, da stürzte er zu Boden. Er hörte eine Stimme: "Saul, Saul, warum verfolgst du mich". Auf seine Frage, wer er sei, sagte dieser zu ihm: "Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt; dort wird dir gesagt werden, was du tun sollst" (Apg 9, 1-6). Paulus musste erkennen, dass er aus blindem Eifer einen falschen Weg eingeschlagen hatte. Und nun hat Gott ausgerechnet ihn als sein Werkzeug erwählt, nicht nur den Söhnen und Töchtern Israels das Evangelium zu verkünden, sondern allen Völkern (Apg 9, 15).
Durch die Gnade Gottes bin ich was ich bin.
Das "Damaskuserlebnis" hat den Saulus noch auf eine andere, noch tiefer greifende Weise zum Paulus gemacht. Er wurde zu der Einsicht geführt: Alles, was ich bisher getan habe, war eitles Rühmen aufgrund perfekter Gesetzeserfüllung. Jetzt jedoch "suche ich nicht meine eigene Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz hervorgeht, sondern jene, die durch den Glauben an Christus stammt, die Gerechtigkeit, die Gott aufgrund des Glaubens schenkt" (Phil 3, 9; vgl. auch Gal 2, 6). Die Gesetze Gottes sind nicht abgeschafft, doch "das Gesetz" kann nicht der Weg zum Heil sein. Paulus setzt allein auf die Gnade: "Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin" (1 Kor 15, 10). Aus Gnade sind wir gerettet, durch Glauben. Die einzige Vorbedingung, die Gott an uns stellt, ist der Glaube. Dass wir ihm seine Liebe glauben, uns ihr öffnen! Doch selbst das ist schon im voraus von der Gnade Gottes bewirkt (Eph 2, 10). "Gott ist es", lesen wir im Brief an die Gemeinde von Philippi, "der in euch das Wollen und das Vollbringen bewirkt, noch über euren guten Willen hinaus" (Phil 2, 13). Und was wir dann selber zu tun vermögen, verdanken wir allein der schenkenden, freigebigen Güte Gottes.
"Aus Gnade seid ihr gerettet" (Eph 2, 8) - dieses Wort aus dem Brief des Paulus an die Christengemeinde von Ephesus könnte man das Evangelium, die Frohe Botschaft in den Paulinischen Schriften nennen. Es berührt die Herzmitte unseres Glaubens. Mit ihm ist angesprochen, worauf wir unsere Hoffnung setzen können: auf die Erlösung, die von Gott kommt. Wir können uns nicht selbst erlösen. Gott allein vermag uns zu erretten aus unserer dem Tod verfallenen Existenz, er kann uns befreien von Sünde und Schuld. Aus Gnade seid ihr gerettet, das bedeutet: Gott schenkt uns alles "gratis", umsonst (das Lehnwort "gratis" ist abgeleitet von lat. gratia, Gnade).
Aus Gnade seid ihr gerettet - dies sagt Paulus im Blick auf die uns in Christus zuteil gewordene Erlösung. "Dadurch", schreibt er den Christen von Ephesus, "dass er (Gott) in Christus Jesus gütig an uns handelte, wollte er den kommenden Zeiten den überfließenden Reichtum seiner Gnade zeigen. Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft - Gott hat es geschenkt - nicht aufgrund eurer Werke, damit keiner sich rühmen kann" (Eph 2,8f.). Dieses Glaubensverständnis des Paulus ist für die Christenheit, für uns Christen wegweisend geworden. Wir können uns nicht genug bewusst machen, dass wir nicht durch die Werke des Gesetzes gerettet werden, sondern allein im Glauben an Gottes Gnade. Im Glauben an seine Liebe, die all unserem Tun zuvor kommt. Helmut Thielecke hat es auf den Punkt gebracht: "Gott liebt uns nicht, weil wir so wertvoll sind, sondern wir sind so wertvoll, weil Gott uns liebt." So kann ich mich fragen: Glaube ich Gott seine grenzenlose bedingungslose Liebe? Weiß ich mich von ihr getragen, wenn ich Gutes vollbringe? Oder rühme ich mich meiner guten Werke, wie es Paulus getan hat, ehe er einsah, dass allein Gott es ist, der das Gute im Menschen bewirkt?
Petrus kann Jesus nur schwer verstehen.
Der Glaubensweg des Petrus verlief anders. Zu den Ersten, die Jesus in seine Nachfolge gerufen hatte, gehörte Simon Petrus (vgl. Mt 4, 18 f., Mk 1, 16, Joh 1, 41-43) Und er war es auch, der den Glauben an Jesus als den von Gott gesandten Messias bezeugte. In allen drei synoptischen Evangelien wird von diesem Bekenntnis in Cäsarea Philippi berichtet. Auf die Frage Jesu, für wen seine Jünger ihn halten, hatte ihm Petrus als ihr Wortführer geantwortet: "Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes" (Mt 16, 15; vgl. Mk 8, 29, Lk 9, 20). Unmittelbar auf dieses dem Petrus von Gott eingegebenen Bekenntnis folgt wiederum bei allen drei Synoptikern die erste Leidensankündigung Jesu, auf die Petrus mit Unmut reagierte. Indem die Evangelisten beides aufeinander folgen ließen: Zuerst das Messiasbekenntnis des Petrus und dann der Versuch, Jesus von seinem Leidensweg abzubringen, wollten sie das Zwiespältige in Petrus deutlich machen. In seinem Unverständnis angesichts der Gewaltlosigkeit Jesu erleben wir einen anderen Petrus als den, der sich vorher zu Jesus als dem verheißenen Messias bekannt hatte.
Petrus suchte zu verhindern, dass Jesus den Ältesten, den Hohenpriestern und Schriftgelehrten ausgeliefert und getötet wird. "Da nahm Petrus ihn beiseite", lesen wir bei Matthäus, "und machte ihm Vorwürfe; er sagte: Das soll Gott verhüten, Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!" (Mt 16, 22). Man darf darin nicht ein Mitleidsmotiv sehen. Petrus reagierte so, weil er sich den Weg Jesu ganz anders vorgestellt hatte. Ihm schwebte vor, dass er mit göttlicher Machtfülle das Reich Gottes in Israel aufrichten werde. Die Antwort Jesu auf die Vorwürfe des Petrus ist hart: "Weg von mir, Satan, geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern, was die Menschen wollen" (Vers 23). Mit seinen abwehrenden Worten und mit seinen menschlichen Vorstellungen von einem messianischen Reich wurde Petrus, ohne sich dessen bewusst zu sein, zum Helfershelfer Satans. Der hatte Jesus schon vor dessen öffentlichem Wirken in der Wüste in Versuchung geführt, das Reich Gottes mit menschlichen Mitteln herbei zu führen.
Petrus in seinem Wankelmut.
Wie verlief der weitere Weg des Petrus? Jesus war nach dem Abendmahl mit seinen Jüngern zum Ölberg hinausgegangen und hatte vorausgesagt, dass sie alle an ihm irre würden und zu Fall kämen. Dabei zitierte er ein Wort vom Propheten Sacharja: "Ich werde den Hirten erschlagen, dann werden sich die Schafe zerstreuen" (13, 7). Auf die sich großmütig gebende Beteuerung des Petrus: "Auch wenn alle an dir Anstoß nehmen - ich nicht!", antwortet Jesus, dass er ihn noch in der kommenden Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, dreimal verleugnen werde. Petrus glaubte ihm das nicht und beteuerte noch stärker: "Und wenn ich mit dir sterben müsste - ich werde dich nicht verleugnen". Das haben auch die anderen Jünger so gesagt (Mk 14, 26-31; vgl. Mt 26, 30-35, Lk 22, 31-34).
Wie hat sich Petrus indes bei der Auslieferung Jesu an den Hohen Rat verhalten? Im Johannesevangelium lesen wir, dass er, als Jesus im Garten Getsemani gefangen genommen wurde, noch bei Jesus war, dass er sein Schwert zog und einem Diener des Hohenpriesters das rechte Ohr abhieb. Jesus wies daraufhin auf seinen gewaltlosen Leidens- und Todesweg hin, darum solle Petrus nicht vom Schwert Gebrauch machen (Joh 18, 10f.). In allen vier Evangelien wird dann davon berichtet, in welch ungeheuerlicher Weise Jesus seinen Herrn verleugnet hat. Das geschah im Hof des Hohenpriesters, wo einige Mägde und eine Pförtnerin in Petrus einen Gefolgsmann Jesu erkannten. Als Petrus es mit der Angst zu tun bekam, ließ er sich zu seinem schändlichen Verhalten hinreißen. "Da fing er an, sich zu verfluchen und schwor: Ich kenne den Menschen nicht" (Mt, 26, 74; vgl. Mk 14, 71). Aber dann erinnerte er sich an das Wort Jesu, dass er ihn dreimal verleugnen werde. Das Lukasevangelium spricht davon, dass ihm Jesus auf seinem Weg zum Hohen Rat begegnete, dass er sich zu Petrus umwandte und ihn anblickte (Lk, 22, 61). Da ging Petrus hinaus und weinte bitterlich.
Stärke deine Brüder!
Jesus hat nicht nur vorausgesagt, dass Petrus ihn verleugnen werde, sondern auch, dass er umkehren werde. "Simon, Simon, der Satan hat verlangt, dass er euch wie Weizen sieben darf. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht erlischt. Und wenn du dich wieder bekehrt hast, dann stärke deine Brüder" (Lk 22, 31f.). Jesus hatte den Simon Petrus niemals fallen gelassen. Und dieser hat trotz seines aus Feigheit und Angst geborenen Wortes: "Ich kenne diesen Menschen nicht" zu Jesus gestanden. In der so genannten Galiläischen Krise, als viele wegen seiner anstößigen Brotrede in der Synagoge von Kafarnaum sich von Jesus abwandten, hat er "die Zwölf" gefragt, ob auch sie gehen wollten. Da hat sich Petrus wieder zu ihrem Wortführer gemacht und gesagt: "Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes" (Joh 6, 67-69).
Petrus, der nach Jesu Auferstehung zu einem tiefen Glauben an Jesus gefunden hat, vermochte dann auch seine Weggenossen auf ihrem Glaubensweg zu stärken. Er hat sich zusammen mit Paulus für die Öffnung der judenchristlichen Gemeinde auf die Nichtjuden eingesetzt, hat sie von der Bindung an das Mosaische Gesetz befreit. Aber Petrus ist dann doch wieder einmal wankelmütig geworden. Er hatte keine Scheu, mit Nichtjuden zu essen, tat das aber auf einmal nicht mehr, weil er sich vor gesetztreuen Juden fürchtete. Daraufhin ist ihm Paulus offen entgegengetreten (vgl. Gal, 2, 12-14).
Petrus, der oberste Hirte der Kirche
Wir hören im 21. Kapitel, im Schlusskapitel des Johannesevangeliums, dass Petrus das oberste Hirtenamt in der Kirche anvertraut wurde. Jesus fragt ihn dreimal: "Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich?" Einmal fragt er ihn sogar: "Liebst du mich mehr als diese?" - gemeint waren die anderen Jünger. Und Petrus antwortet: "Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe." Als Jesus den Petrus zum dritten Mal fragt, ob er ihn liebe, da wurde dieser traurig und gab Jesus zur Antwort: "Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich lieb habe." Nachdem Petrus seine Liebe zu Jesus bezeugt hatte, wurde er zum obersten Hirten der Kirche berufen. "Weide meine Lämmer" - "Weide meine Schafe."
Es ist dann noch die Rede von dem Jünger, "den Jesus liebte" und der im Abendmahlssaal an seiner Brust gelegen hatte. Zu ihm wendet sich Petrus um und fragt Jesus, was denn mit diesem werde. Petrus hat sich vielleicht selber nicht für würdig, für fähig erachtet, die Kirche zu leiten. (vgl. 21, 15-23). Jesus hat nicht Johannes, der ihn am besten verstanden hat und ihm auf dem Weg der Erniedrigung gefolgt ist, zum obersten Hirten seiner Kirche erwählt, sondern Petrus, der ihn verleugnet hatte. Wie bei Paulus, der vom Verfolger der Jüngergemeinde Jesu dazu berufen worden war, den nichtjüdischen Völkern das Evangelium zu verkünden, so hat sich auch bei Petrus Gottes Kraft in menschlicher Schwachheit erwiesen (vgl. 2 Kor 12, 12, 9). Das kann auch uns Hoffnung und Zuversicht geben. Wenn wir schuldig geworden sind, dann werden wir aufgefangen von der Liebe Gottes. So kann Schuld zur heilsamen Schuld werden.
Augustinus hat in einer Predigt zum Fest Peter und Paul gesagt: "Petrus siegte dreimal in der Liebe, weil er dreimal in Vermessenheit der Furcht unterlegen war. In der Liebe wurde gelöst, was in der Furcht gebunden war." Er wollte damit sagen: Das dreimalige Bekenntnis, dass er seinen Herrn liebe. macht die dreimalige Verleugnung, dass er ihn nicht kenne, zunichte. Das Wort des Augustinus: "In der Liebe wurde gelöst, was in der Furcht noch gebunden war" kann auch uns gelten. Jeder von uns ist auf seine Weise in manchem noch gebunden an Dinge, die nicht zu Gott führen. Jesus will uns von Wankelmut und Unentschlossenheit befreien, er will uns frei machen für die Liebe. Doch da sind wir ganz auf Gottes Hilfe angewiesen, wie auch Petrus genau wie Paulus ihre Umkehr nicht aus eigener Kraft zustande gebracht haben. Dies meint Augustinus, wenn er sagt: "Ich glaube nicht Petrus, sondern ich glaube dem, dem Petrus glaubte (nämlich Christus) und der von Christi Worten aufgerichtet wurde." Wir können uns in Petrus in unserer menschlichen Schwachheit wiedererkennen. Wir dürfen als schwache Menschen Jesus glauben, dass er uns wie Petrus aufrichtet und uns weiter führt in seiner Nachfolge.
Ein anderer wird dich gürten.
Im Anschluss an die Beauftragung des Petrus zum obersten Hirtenamt in der Kirche sagt Jesus zu ihm: "Als du noch jung warst, hast du dich selbst gegürtet und konntest gehen, wohin du wolltest. Wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nichts willst" (Joh 21, 18). Die Evangelien zeigen Petrus und die anderen Jünger als Menschen, die den Weg Jesu nicht verstanden hatten. Sie waren geflohen, als Jesus verurteilt und gekreuzigt wurde. Aber dann wurden sie dorthin geführt, wohin sie selber nicht wollten und haben mit ihrem Tod Zeugnis abgelegt für Jesus und sein Evangelium. Wie Petrus und Paulus können auch wir auf unserem Lebensweg, auf unserem Glaubensweg manchmal erfahren, dass wir zu etwas hingeführt worden sind, was wir so nicht gewollt haben. Dass nicht immer das, was wir uns gewünscht hätten, gut für uns gewesen wäre. Dass gerade in leidvollen Erfahrungen uns ein tieferer Sinn erschlossen hat. Auch uns gilt das Wort Jesu: Ein anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst.
Martin Stewen (2013)
Hans Hütter (1997)