Gefährliche Botschaft des heutigen Evangeliums
Der Text des heutigen Evangeliums ist ein gefährlicher Text. Die vermeintliche Aussage Jesu, man könne den Tag des Weltuntergangs, den Tag des Jüngsten Gerichts voraussagen, hat schon zahllose Menschen beschäftigt, sie in Sekten abwandern lassen, deren Glaubenshauptinhalt hauptsächlich die Prophezeiung des nahen Weltuntergangs war und ist. Manche hat dies sogar hin zu extremen Gruppen geführt, die in tödlichen Fanatismus ausarteten. Einer der spektakulärsten Fälle war 1996 der Tod von 53 Menschen, die der Gruppe der sogenannten Sonnentempler angehörten und die den Weltuntergang für das Jahr 2000 ankündigten. Die nächste Prophezeiung steht unmittelbar vor der Tür. Am 19. November findet die Premiere eines Films statt, der den Weltuntergang am 21. Dezember 2012 in allen Schrecknissen ausmalt. Denn, so die Filmmacher, zu diesem Datum läuft der Kalender der Mayas aus. Der ist gerade in. Dazu ist nur zu sagen, dass die alten Mayas aus Mittelamerika zwar erstaunliche Kalenderbauten errichtet haben, aber deshalb sind sie, bei aller hohen Kultur, noch lange nicht die Weltweisen schlechthin.
Zeit des Weltendes erkennbar
Der Text des heutigen Evangeliums gibt aber tatsächlich Rätsel auf. Die Buchstabengläubigen unter den Bibellesern lesen den Zeitpunkt des Jüngsten Gerichts heraus, ungläubigen Menschen sagen dagegen, der Text zeige, dass die Bibel eine Sammlung längst überholter Vorstellungen unwissender Menschen sei, denn dass die Sterne vom Himmel fallen, könne doch nur jemand sagen, der keine Ahnung hat, was Sterne eigentlich sind.
Betrachten wir den Text und zwar zunächst den zweiten Teil. Da heißt es: "Der Feigenbaum sei euch ein Gleichnis. Wenn seine Zweige zu treiben beginnen, und die Blätter hervor kommen, erkennt ihr daran, dass der Sommer nahe ist. Ebenso sollt ihr, wenn ihr dies alles geschehen seht, erkennen, dass das Ende vor der Türe steht." Jesus scheint also zu behaupten, man könne aus verschiedenen Zeichen erkennen, wann der Weltuntergang kommt, sein Zeitpunkt sei also berechenbar.
Der Zeitpunkt des Weltendes nicht berechenbar
Dagegen steht aber der letzte Satz, in dem Jesus sagt: "Jenen Tag aber und die Stunde kennt niemand, auch nicht die Engel des Himmels, auch nicht der Sohn, sondern nur der Vater." Ähnlich lauten auch die anderen einschlägigen Stellen der Schrift. Wenn aber nicht einmal die Engel, ja nicht einmal der Sohn, der Sohn Gottes selbst, das Datum des Weltendes weiß, dann will Jesus mit der größtmöglichen Bestimmtheit ausdrücken, dass der Zeitpunkt des Weltuntergangs eben nicht berechnet werden kann.
Widersprüche
Ja, was ist nun? Kann man jetzt den Zeitpunkt des Weltuntergangs berechnen oder nicht. Jesus scheint sich total zu widersprechen, ja er fügt zu alledem noch einen weiteren Widerspruch hinzu: Denn in dem Satz dazwischen heißt es: "Amen, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, ehe dies alles geschieht." Der Weltuntergang hätte also schon zu Zeiten Jesu erfolgen müssen, und die Jünger hätten ihn noch erlebt. Ja, könnte man ganz respektlos sagen, das ist ja die reinste Narretei. Da kennt sich ja kein Mensch mehr aus.
Der Zielpunkt der Botschaft Jesu
Die Narretei liegt nicht bei Jesus und der Hl. Schrift, sondern bei uns und den Untergangspropheten, wenn man so ungeschickt ist, nicht zu beachten, dass die Hl. Schrift aus einer sehr fernen Zeit stammt und aus einer uns sehr fremden Kultur und Denkungsweise. Man muss nicht nur den altgriechischen Urtext ins Deutsche übersetzen, sondern auch die Denkungsart jener Zeit in die unsere. Eine der Formen, in der man damals allgemein religiöse Botschaften vermittelte, war die so genannte Apokalyptik, für die wir heute keine Entsprechung mehr haben. Aber was sie besagen will, ist durchaus verständlich zu machen. Man muss lediglich stets bedenken, dass die Hl. Schrift kein Interesse hat, die Leute über den Weltenbau oder die Sterne zu belehren, nicht über den Verlauf der Weltgeschichte, damit auch nicht über ihr Ende. Es liegt Jesus nicht das Geringste daran, die Neugierde der Leute zu befriedigen, wann denn die Welt zu Ende sei. Jesus und seine Jünger nehmen vielmehr die Erscheinungen der sichtbaren Welt als Bilder, um damit die Menschen zu einer richtigen Lebensweise anzuleiten.
Apokalyptische Redeweise
So nimmt Jesus das Bild der Zukunft, in der die Welt von einer Katastrophe in die andere taumelt, als Bild dafür, was den Menschen nicht erst in der Zukunft, sondern die Menschen jeder Zeit, in jedem Augenblick der Gegenwart bedroht.
Diese apokalyptische Redeweise will sagen: Die Welt ist kein sicherer Platz. Sie ist keine bleibende Stätte, in der man sich gemütlich einrichten kann, und keine anderen Gedanken zu haben braucht, als das Leben zu genießen oder es möglichst weit zu bringen. Endzeit bedeutet: Des Menschen Zeit ist immer begrenzt, ist nur eine kleine Weile, weshalb das Dahinfließen von Tagen und Jahren uns stets drängen soll, ernst zu machen mit dem, was Gott von uns erwartet. Denn so heißt es im Psalm 38. "Meine Hütte bricht man über mir ab, man schafft sie weg wie das Zelt eines Hirten. Wie ein Weber wirst du, o Gott, mein Leben zu Ende weben, du schneidest mich ab wie ein fertig gewobenes Tuch."
"Du schneidest mich ab wie ein fertig gewobenes Tuch" Das gilt für einen jeden von uns, ob jung oder alt, es ist das Bild unserer zukünftigen Schicksals. Wir wollen beten und hoffen, dass unser Leben, das Gott entgegennimmt, dann wirklich ein fertig gewobenes Tuch ist und kein Fetzen, mit dem Gott nichts anfangen kann.
Martin Stewen (2021)
Bernhard Zahrl (1997)